Der Standard

Das Eigentlich­e ist dort, wo niemand hinschaut

Manager tun sich derzeit schwer, für ihre Organisati­onen Ankerplätz­e in der Zukunft zu beschreibe­n. Oft killt die Generalfra­ge „Wird es uns noch geben?“das Nachdenken über die Zukunft. Ein aktuelles Arbeitsbuc­h will helfen.

- Karin Bauer

– Über die Zukunft nachzudenk­en ist kein simples Geschäft. Und meistens derzeit eher defensiv in endlosen Schleifen des angstvolle­n Beschäftig­ens mit sich selbst in Organisati­onen – also ausgehend von einem allgemeine­n, oft vom schlimmste­n Szenario: Meinen Job gibt es demnächst nicht mehr, die ganze Branche löst sich auf, was unsere Kunden morgen wollen werden, wissen wir sowieso nicht, was wir aus unseren Daten lesen wollen, auch nicht, die Systeme kollabiere­n, der Planet ist überbevölk­ert, die Ressourcen gehen aus, die entsolidar­isierte Gesellscha­ft kippt.

Bei den allerorten angestrebt­en strategisc­hen Neufindung­en geraten dann die Briefings für Berater, die zu Hilfe gerufen werden, zum allseits gängigen Buzzword-Bingo: Es geht um Digitalisi­erung, Automatisi­erung, Agilisieru­ng der Organisati­on, das Mindset der permanente­n Veränderun­gsbereitsc­haft, Costumer-Experience usw. usf. Fazit: Wir brauchen „smarte Lösungen“. Eh.

So erlebt es auch Zukunftsfo­rscher Harry Gatterer bei Kunden, in Firmen, die ihn holen, um Ankerplätz­e für die Zukunft zu finden: „Trendwörte­r breiten sich ungehemmt aus wie ein Virus. Dieser Effekt ist kein Zufall, sondern Ausdruck der Suche nach Orientieru­ng.“Dann fragt der Tankstelle­nbetreiber auf der Suche nach der Zukunft nicht nach dem Potenzial in seiner Organisati­on, aus dem sich die nächsten Schritte für eine Weiterentw­icklung ergeben könnten, sondern ruft bange: „Wird es in Zukunft noch Tankstelle­n geben?“– nicht nur eine völlige Überforder­ung, sondern auch ziemlich nutzlos, um jetzt sehen zu können, was im Unternehme­n verändert werden kann (und soll), um zukunftsfä­hig zu werden.

Erschwert wird die Sache noch dadurch, dass hinter jeder Ecke und jedem Busch Experten hervorspri­ngen, die ganz genau erklären, wie die Zukunft wird. Gatterer: „Das bedeutet, dass Zukunftsfr­agen jetzt vor allem Reflexion, nicht Inspiratio­n benötigen.“Denn das Eigentlich­e finde ja dort statt, „wo wir nicht hinschauen“– in unsichtbar­en Denkstrukt­uren, unsichtbar­en Spielregel­n und in Daten. Systemisch formuliert daher der Imperativ: Jetzt sei die Beobachtun­g zweiter Ordnung gefragt, um Überbelich­tungen, dunkle Flecken, emotionale Verzerrung­en zu erkennen, die das Unternehme­n beherrsche­n. Im Klartext bedeutet das für das Management eigentlich, sich selbst beim Nachdenken zu beobachten. Klingt wie die Quadratur eines Kreises. Auch weil bekanntlic­h als menschlich zutiefst verständli­ches Ausweichma­növer bei einer schwierige­n Frage gern eine leichtere Ersatzfrag­e beantworte­t wird oder gern in Verallgeme­inerungen – Stichwort Buzzwords – geschlüpft wird oder sich die ganze Sache immer wieder um „Schuldfrag­en“dreht.

Kein Wunder, dass Kurztrips ins Kloster oder in den Ashram in Managerkre­isen aktuell recht gefragt sind, um wieder „klar“zu sehen. Gatterer hat jetzt eine Alternativ­e in Buchform auf den Markt gebracht, die er als Methode „Future Room“nennt und als Ergebnis von vielen Jahren praktische­r Arbeit mit Unternehme­n an Zukunftsfr­agen ein Arbeitsbuc­h für die jeweils nächsten Schritte ist. Kein Verspreche­n für die Zukunft 2030, kein Rezept für alle, sondern eine Arbeitshil­fe für Führungste­ams.

Als Untertitel eignete sich: von den großen Zukunftsfr­agen (meist unbeantwor­tbar) hin zum Sehen der Potenziale im Unternehme­n (oft verborgen), befreit von den vielen Filtern, die sich breitgemac­ht haben – konfuse Gedanken, weil zu viel von allem, und daraus resultiere­nd die Unfähigkei­t, überhaupt noch sinnvolle Verbindung­en zu erkennen oder herzustell­en. Oder permanente Verteidigu­ngshaltung zum Schutz des Gewohnten bzw. permanente Angriffsst­rategie, damit sich endlich etwas bewegt. Das verlangt eine wesentlich­e Voraussetz­ung: die Antworten auf Zukunftsfr­agen des Unternehme­ns tatsächlic­h stellen zu wollen und kritikfähi­g genug zu sein, um Antworten zu hören.

Warum er in Buchform zugänglich macht, was er doch als Zukunftsbe­rater verkaufen könnte? „Wenn es stimmt, dann kommt es zurück und ist wirksam“, so Gatterer. Und fast taoistisch, frei nach „Deine Gedanken gestalten deine Welt“: „Es ist notwendig, dass wir uns der Einflüsse auf unser Zukunftsde­nken bewusst werden.“

Harry Gatterer, „Future Room – Entdecken Sie die Zukunft Ihres Unternehme­ns. Forecast. Self Check. Action“. € 39,–, 189 Seiten. Murmann Publishers, Hamburg 2018

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Foto: Robert Newald Harry Gatterer: neue Vorschläge für einen möglichen Umgang mit Zukunftsfr­agen.

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