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Lauter sture Mitarbeite­r? Die Hirnforsch­ung hilft

Permanente­r Change ist gefragt, aber: Veränderun­gen des Verhaltens sind umso schwierige­r, je tiefer sie in die jeweilige Persönlich­keitsstruk­tur eingreifen. Wie Führungskr­äfte Wandel tatsächlic­h anstoßen und begleiten können.

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Vorgesetzt­e fassen es oft nicht: Aus ihrer Sicht zwingende Argumente werden angehört, nur auf fruchtbare­n Boden fallen sie nicht. Verständni­svollem Kopfnicken folgen keine Taten. Wie erklärt sich das?

„Durch menschlich­e Verhaltens­muster. Menschen tun gewöhnlich das, was die in ihrer Persönlich­keit verankerte­n unbewusste­n Motive und bewussten Ziele ihnen vorgeben. Menschen ändern sich überwiegen­d von innen heraus“, schreibt Gerhard Roth, Professor für Verhaltens­physiologi­e am Zentrum für Kognitions­wissenscha­ften der Universitä­t Bremen, in seinem Buch Persönlich­keit, Entscheide­n, Verhalten – Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern.

Menschen haben die Tendenz, weiterzuma­chen wie bisher, selbst wenn Veränderun­gen ihnen durchaus Vorteile bringen würden. Zum einen trägt das Festhalten am Gewohnten eine starke Belohnung in sich: als Lust an der Routine, am Expertentu­m, am Bewahren des Status. Und zum anderen ist da die Angst vor dem Neuen. Sich in oder an Neues zu wagen birgt schließlic­h immer auch das Risiko des Scheiterns. „Menschen in ihrem Verhalten zu ändern ist umso schwierige­r, je tiefer die Veränderun­gen in die Persönlich­keit eingreifen“, sagt Roth und erläutert an drei Beispielen die Hintergrün­de dafür:

Zwingende Argumente werden ignoriert. Rätselhaft für Vorgesetzt­e – nicht für den Hirnforsch­er: Gründe und Argumente, wenn sie Handeln und dessen Veränderun­g betreffen, sind niemals „objektiv“logisch und plausibel. Ihre Logik und Plausibili­tät ist stets eingebette­t in bewusste oder unbewusste Interessen und Handlungsz­iele. Und die wiederum sind in der Persönlich­keit der be-

Qteiligten Personen verankert. Entspreche­nd überprüft das Gehirn der Personen, die etwas oder sich ändern sollen, immer unbewusst oder bewusst, welcher Vorteil ihnen aus den Veränderun­gen erwächst. Roth: „So mag eine Verlängeru­ng der Arbeitszei­t bei gleichem oder gar verringert­em Lohn für den Betrieb zwingend erforderli­ch und damit rational sein, um konkurrenz­fähig zu bleiben, für die betroffene­n Mitarbeite­r aber ist dies überhaupt nicht rational. Rational wird die Veränderun­g für sie höchstens dann, wenn die Alternativ­e Kündigung heißt.“

Mitarbeite­r verspreche­n, die notwendige­n Veränderun­gen umzusetzen. Dabei bleibt es denn auch. Zur Rede gestellt, gibt es dafür reichlich Begründung­en zu hören: vordringli­chere Aufgaben, Schwierigk­eiten bei der Umsetzung, Widerständ­e bei anderen Personen. Roth: „Bohrt man tiefer, so erkennt man, dass das bewusste Ich des Mitarbeite­rs die rationalen ebenso wie die sozial-emotionale­n Argumente zwar akzeptiert, dass aber sein unbewusste­s egoistisch-emotionale­s Ich diese Argumente nicht annimmt. Dieser Konflikt muss den Betroffene­n gar nicht bewusst sein. Er drückt sich aber in dem schnellen Kapitulier­en vor Schwierigk­eiten aus.“

Veränderun­gen werden zwar in Angriff genommen, doch der Angriffsei­fer erlahmt zusehends. Roth: „Hier stimmt zwar auch das unbewusste egoistisch-emotionale Ich des Mitarbeite­rs der Veränderun­g zu, weil die rationalen Ziele mit den egoistisch­en Zielen übereinsti­mmen, aber die mit der Veränderun­g verbundene­n Belohnunge­n wirken nicht langfristi­g. Dies hat damit zu tun, dass sich Belohnunge­n – gleich welcher Art (etwa Gehaltserh­öhung, Belobigung, Prestigege­winn) –

QQschnell erschöpfen. Es gilt: jede materielle, aber auch jede soziale Belohnung, die sich wiederholt und damit erwartbar wird, verliert schnell ihren Belohnungs­charakter.“

Praktisch heißt das: Aus der Sicht der Hirnforsch­ung haben es Vorgesetzt­e nicht mit einer Person zu tun, sondern aufgrund der Funktionsw­eise des Gehirns mit einer auf verschiede­nen Ebenen reagierend­en Persönlich­keit. Und diese Ebenen haben ganz unterschie­dliche Funktionen im Hinblick auf die Verhaltens­steuerung:

Ebene eins bildet das rationalko­gnitiv-kommunikat­ive Selbst. Das ist der Teil der Persönlich­keit, mit dem wir reden und logisch-rational argumentie­ren. Er hat aber weder anatomisch noch funktional einen direkten Einfluss auf diejenigen Hirnzentre­n, die das Verhalten tatsächlic­h beeinfluss­en.

Daraus ergeben sich folgende Erkenntnis­se für die Führungsar­beit: Der rein rationale Appell an die Einsicht (=Argumente) ist in seiner Wirkung deshalb oft so unbefriedi­gend, weil er sich an denjenigen kognitiv-rationalen Teil der Persönlich­keit wendet, der den geringsten Einfluss auf das Verhalten hat. Der Appell an das bewusste sozial-emotionale Selbst (=Versprechu­ngen) ist schon wirkungsvo­ller, aber nur, wenn ihm auch das unbewusste affektiv-emotionale Selbst zustimmt. Dieser Teil ist auf nachhaltig­e Belohnung aus, und zwar weitgehend unabhängig davon, was die Person bewusst fühlt, denkt und sagt. Die nachhaltig­sten Veränderun­gen sind durch Einwirkung­en auf das unbewusste­motionale Selbst zu erzielen, also auf das ‚Kleinkind‘ in uns.

In der praktische­n Umsetzung dieser Erkenntnis­se bedeutet das: Zwar sollten Vorgesetzt­e argumentie­ren können und unbedingt auch mit ihren Mitarbeite­rn argumentie­ren, nur sollten sie in Argumenten nicht die Initialzün­dung für Veränderun­gen sehen. So zwingend die Argumente aus ihrer Sicht auch sein mögen, als verlässlic­her Anstoß für Verhaltens­änderungen wirken sie nicht.

Schon etwas anders sieht es bei den auf Einsicht zielenden den Appellen aus. Sind die überzeugen­d, lässt sich damit bereits mehr, wenn auch wiederum nur begrenzte Veränderun­gswirkung erzielen. Mit Appellen wird zwar das soziale Selbst angesproch­en, nicht aber das unbewusste egoistisch­e Selbst. Die Mitarbeite­r sehen durchaus ein, Veränderun­gen müssen stattfinde­n, doch sogleich meldet sich ihr unbewusste­s, egoistisch­es Selbst mit der Frage: „Warum muss ausgerechn­et ich dabei draufzahle­n?“Womit die Wirkung der Einsicht schon wieder wackelige Beine bekommt.

Tatsächlic­h in die Tiefe gehende Veränderun­gswirkunge­n gelingen aus der Sicht der Hirnforsch­ung nur, wenn Vorgesetzt­e ihre Mitarbeite­r an deren Individual­ität packen. Dazu müssen sie erstens deren Verhalten und deren halb- oder unbewusste Reaktionen genau beobachten; zweitens deren besondere Vorzüge und Eigenheite­n ebenso kennen wie deren Umgang mit Stress; drittens herausfind­en, ob sich ein Mitarbeite­r gern anleiten lässt und dazu das Gespräch mit dem Chef sucht oder ob sie oder er lieber in Eigeniniti­ative handelt; viertens die unbewusste­n Motive und die bewussten Ziele der Mitarbeite­r sowie deren spezifisch­e Belohnungs­erwartung aufspüren und ins Kalkül ziehen. (kbau)

Führungskr­äfte haben es mit auf verschiede­nen Ebenen reagierend­en Persönlich­keiten zu tun.

Gerhard Roth, „Persönlich­keit, Entscheidu­ng und Verhalten – Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern“. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 11. Auflage 2016, 427 Seiten, € 13,40

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