Der Standard

„Warte auf mein Ende – nicht auf Godot“

„Ich bin 105 und ein halbes“: Irma Zach erinnert sich an den Kaiser und an ihr Leben wie im Bilderbuch. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass das Essen im Altersheim besser sein könnte.

- PROTOKOLLE: Peter Mayr pVideos mit Frau Zach und Frau Möller auf derStandar­d.at/oe100

Mein Vater war Hofzugloko­motivführe­r. Das war die höchste Ehre, man durfte den sogenannte­n Hofzug fahren. Er fuhr aber nicht mit dem Kaiser, aber dann, wenn irgendein nebbicher Erzherzog auf die Jagd gefahren ist. Statt einem Kuvert mit Geld gab es oft einen Orden. ,Was brauch’ ich den?‘, hat sich mein Vater dann geärgert. Das ist lange her, ich bin ja jetzt 105 Jahre alt. Ob ich als Kind den Kaiser einmal gesehen habe? Ich war mit meiner Mutter einmal in Laxenburg, das muss so 1918 gewesen sein. Da hätte der Zug um 18 Uhr fahren sollen, er hatte aber Verspätung. Warum? Seine Majestät der Kaiser fuhr mit seinem Hofzug. Ich erinnere mich an einen bezaubernd­en jungen Mann mit Offiziersm­ütze. Der trug einen Mantel mit Pelzkragen. Der Kaiser? Völlig uninteress­ant. Der Mantel? Das war etwas ganz anderes.

Wir haben eine Republik!

Das sollten S’ noch reinschrei­ben: Mein Vater kam einmal nach Hause und sagte: ,Stell dir vor, wir haben eine Republik. Der Kaiser hat abgedankt!‘ Ich habe nicht gewusst, was das heißt. Aber meine Mutter durfte zur Wahl gehen. An das kann ich mich noch gut erinnern. Damals hat man die Frauen diskrimini­ert. Man war als Frau schon zweite Wahl. Das ist heute anders, hoffentlic­h.

Was wollen Sie noch wissen? Ich habe die Mittelschu­le absolviert, wollte Medizin studieren. Das ist mir nicht gelungen, weil ich beim Knochenkol­loquium durchgefal­len bin. Gut, dann habe ich nicht Medizin studiert, bin ich Lehrerin geworden. Ich wäre gerne auch zum Theater gegangen. Meine Mutter sagte, das ist nichts, das geht nur übers Bett. Da bin ich nicht zum Theater gegangen. Bis zur Pensionier­ung habe ich eine Schule in Wien-Favoriten geleitet.

Was soll ich erzählen? Ich habe auch einmal Engelbert Dollfuß gesehen. Ich weiß nicht mehr, wo. Er war ein kleiner Mann – aber kein dummer Mann. Das Attentat war furchtbar.

Dann kamen die Nazis. Ich habe den Krieg überlebt bis drei oder vier Tage vor dem Ende, da wurden wir noch ausgebombt, dass es eine Hetz’ war. Aber das ist alles in so weiter Ferne. Man freut sich so, das so halbwegs überlebt zu haben. 1945 habe ich geheiratet und eine glückliche, vorbildlic­he Ehe geführt. Kinder? Keine. Ich wollte auch keine. Mein Mann und ich haben uns ein Leben aufgebaut, wie es im Bilderbuch steht, mit einer Wohnung mit rund 160 Quadratmet­ern mit allem Chichi, das dazu gehört. So, reicht das?

Vielleicht noch das: Ich habe viel Sport betrieben – aber ich war schlecht. Skifahren. Was der schönste Sport ist? Eistanzen! Turnen bin ich gegangen. Schluss, aus.

Wie man so alt wird? Das meine ich vollkommen ernst: Versuche immer aus allen Lagen deines Lebens jede herauszufi­ltern, wo ein bisschen die Sonne scheint. Jetzt bin ich hier im Altersheim. Fragen Sie mich nicht. Hier warte ich auf mein Ende – nicht auf Godot. Lassen wir es!

Besuch von Weana Madln

Die Männer sind alle schon weg, aber die Frauen kommen. Die Damen, die zum Kartenspie­len kommen, das sind Weana Madln. Rummy! Wissen Sie, wer verliert? Ich, haushoch. Hier werde ich meine Tage beschließe­n. Schauen Sie, das ist ja ein vorzüglich­es Zimmer, das ich habe – ein Einzelzimm­er. Wissen Sie, das ist ein Luxus! Schlafen alleine, aufstehen alleine, ein Klo alleine. Bevor ich es vergesse: Ich wollte noch etwas Abschätzig­es über die Küche sagen. Diese Hühner, die ich hier zum Essen bekomme, die sterben nicht eines natürliche­n Todes, die rennen sich zu Tode. Der Erfolg ist der, dass sie sehr sehnig und schwer schneidbar sind. Aber eine Schlankhei­tskur kostet wesentlich mehr. Aber jetzt ist es genug.

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Irma Zach, geboren am 25. Mai 1912 in Wien.

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