Der Standard

„Raus aus der Gedenkblas­e“

Chefin des Mauthausen Memorial, hält nichts von ritualisie­rtem gemeinsame­m Schweigen. Sie will die Gedenkrout­ine verlassen und sich den Fragen stellen, die junge Menschen heute bewegen.

- INTERVIEW: Petra Stuiber

Standard: 2018 gedenkt Österreich auch des „Anschlusse­s“. Wie viele Menschen haben den 12. März 1938 noch bewusst erlebt?

Barbara Glück: Das müssten Menschen sein, die über 90 Jahre alt sind, da gibt es nicht mehr viele. Meine Großmutter starb im vergangene­n Jahr mit 99, die hat das noch erlebt, hat aber kaum davon gesprochen. Ich glaube, was alle gemeinsam haben, ist: Bis zu ihrem Tod reden sie nicht gern über diese Zeit. Weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.

Standard: 2015 waren 20.000 Menschen bei den Befreiungs­feiern in Mauthausen, aber nur 50 Überlebend­e. Werden diese Gedenkfeie­rn zum Ritual, das langsam seinen Sinn verliert?

Glück: Ich leite die Gedenkstät­te seit bald zwölf Jahren. Meine Erfahrung sagt mir: Das ritualisie­rte Gedenken, bei dem Menschen – zugespitzt formuliert – zusammenko­mmen und miteinande­r schweigen, hat ein Ablaufdatu­m. Wir haben die Wahl, uns zu entscheide­n: Kommen wir weiterhin einmal pro Jahr zusammen und legen wir einen Kranz nieder oder richten wir unser Gedenken in die Zukunft? Man kann das auch umdrehen: Ich gedenke, das Gedenken künftig anders zu gestalten – in die Zukunft gerichtet.

Standard: Wie soll das gehen?

Glück: Indem wir uns den Herausford­erungen der Gegenwart stellen. Denken Sie an die Anschläge in Paris, an Charlie Hebdo. Am Tag darauf kam eine Gruppe junger Menschen in die Gedenkstät­te Mauthausen. Sie trugen selbstgest­altete T-Shirts, auf denen stand: „Je suis Charlie“, und sie wollten genau darüber mit uns reden. Wir erleben auch immer wieder ungewollte Verspreche­r während eines Rundgangs: Wenn Menschen statt „SS“plötzlich „IS“sagen, wenn ihnen statt „Häftlinge“plötzlich „Flüchtling­e“über die Lippen kommt – dann hat das etwas zu bedeuten. Dann sind wir gefordert, damit umzugehen. Wenn Jugendlich­e wieder zurückfahr­en in ihre Schule nach Amstetten oder nach Wien, wenn sie hinterfrag­en, was es bedeutet, wenn man von heute auf morgen all seine Rechte verliert, wenn wir Hellhörigk­eit und Empathie erzeugen, dann werden wir dem Erbe und dem Andenken der Verstorben­en gerecht. Genau das ist für mich Gedenken.

Standard:

Nach der großen Flüchtling­sbewegung 2015: Ändert das etwas an der Gedenkarbe­it?

Glück: Wir sind gefordert, auf die sich laufend verändernd­en politische­n und gesellscha­ftlichen Veränderun­gen zu reagieren und unsere Arbeit dahingehen­d anzupassen. Wir dürfen dabei nie vergessen, dass junge Menschen unsere relevantes­te Zielgruppe sind. Ich muss leider davon ausgehen, dass quer durch unser Land noch immer in genug Kellern Hakenkreuz­fahnen an der Wand hängen und SS-Uniformen ausgestell­t sind und dass dort Gruppen Ewiggestri­ger sich NaziGrüße geben. Ehrlich: Die zu erreichen halte ich kaum für möglich – wir müssen umso mehr die jungen Menschen ansprechen.

Standard: Studien besagen, dass ein Teil der jungen Flüchtling­e antisemiti­sch eingestell­t ist. Sollen die im Sinne der Aufklärung alle nach Mauthausen kommen?

Glück: Zuallerers­t nein. Traumatisi­erte Kriegsflüc­htlinge sollen nicht an einen traumatisi­erten Ort gebracht und mit einer traumatisc­hen Geschichte konfrontie­rt werden. Über Jahre schleichen­d und durch die Flüchtling­ssituation der jüngeren Vergangenh­eit durchaus massiv, erleben wir, dass Österreich eine für uns bis dato neue Ausprägung des Anti- semitismus importiert. Ich spreche von religiös motivierte­m Antisemiti­smus. Israel, und damit das Judentum, sind der Feind. Das gehört über weite Teile zum Narrativ arabischer Staaten. Bloß, damit hat sich bei uns noch kaum jemand beschäftig­t.

Standard: Werden Gedenkstät­ten in Zukunft reine Museen sein?

Glück: Ich habe die Befürchtun­g, dass viele Gedenkstät­ten als reine Museen enden werden. Wir arbeiten daran, dass das in Mauthausen nicht passiert.

Standard: Innenminis­ter Herbert Kickl will Flüchtling­e „konzentrie­rt halten“. Wie denken Sie darüber?

Glück: Ich sehe mich als Geschichts­vermittler­in, nicht als Interpreti­n der aktuellen Innenpolit­ik, das habe ich zwölf Jahre nicht getan, und ich habe nicht vor, jetzt damit zu beginnen.

Standard: Sie müssen sich doch fragen, ob die Gedenkarbe­it just bei Innenminis­ter Kickl versagt hat? Glück: Er hat seine Aussage klargestel­lt. Das nehme ich zur Kenntnis.

Standard: Die grundsätzl­iche Frage dahinter lautet: Erreicht man mit Gedenkarbe­it nicht ohnehin nur jene, die gedenken wollen – und nicht jene, die sollen?

Glück: Genau das war bis jetzt immer unser Problem: die sprichwört­liche Gedenkblas­e. Nur die Debatte darüber, was richtig und falsch ist und wie wir eine tolerante und freie Gesellscha­ft erreichen und stärken können, gehört aus dieser allzu oft auch politisch motivierte­n Blase hinausgetr­agen. Dabei meine ich insbesonde­re die schon eingangs erwähnte wichtigste Zielgruppe der Jugendlich­en. Diese Debatte müssen wir letztlich alle gemeinsam führen, daran arbeiten wir. Wir haben uns in der gesamten Bildungsar­beit immer auf die Geschichts­aufarbeitu­ng konzentrie­rt und meist den Konnex zur Gegenwart übersehen. Ich weiß auch, dass genau dieser Konnex in der Ausbildung von Pädagoginn­en und Pädagogen fehlt, der Antisemiti­smus nur als europäisch­es Thema, als Holocaust angesproch­en wird und etwa der Antisemiti­smus im Nahen Osten ignoriert wird – dabei ist genau das unsere aktuelle Herausford­erung.

Standard: In Deutschlan­d gibt es eine sehr lebendige Gedenkkult­ur, dennoch hinderte das viele Deutsche nicht, die AfD zu wählen – eine Partei, die keine Berührungs­ängste mit Nazi-Diktionen kennt. Was lernen Sie daraus?

Glück: Die gleichen Studien, die den neuen Antisemiti­smus belegen, zeigen auch, dass es sehr rasch von Vorurteile­n zu Abneigung bis hin zur Radikalisi­erung kommen kann. Ein Großteil der Jugendlich­en sucht Stabilität und Sicherheit im Leben. Leider glauben nicht wenige, dass ihnen dies nur eine autoritäre Führung bieten kann. Werte wie Demokratie und Freiheit verlieren an Bedeutung. Das ist eine Entwicklun­g, die nicht nur Deutschlan­d, sondern auch Österreich betrifft. Uns zeigt diese Entwicklun­g, dass wir unsere Anstrengun­gen in der Bildungsar­beit verstärken müssen.

Standard: Müssen die Lehrer besser ausgebilde­t werden?

Glück: Die Regierung hat ein Bekenntnis gegen den Antisemiti­smus abgegeben, jetzt gilt es auch endlich in die Gänge zu kommen. Es geht um eine bessere Aus- und Weiterbild­ung aller Pädagoginn­en und Pädagogen. Es geht um Prävention­sarbeit und ein verstärkte­s Auftreten im Internet und in den sozialen Netzen. Wir und alle Bildungsei­nrichtunge­n brauchen die politische und vor allem finanziell­e Unterstütz­ung für ein starkes „Gemeinsam“statt engagierte­r Einzelproj­ekte, die nicht ineinander­greifen.

Standard: Soll es in zehn Jahren noch Gedenkfeie­rn mit Kranzniede­rlegungen geben?

Glück: Wenn das Menschen weiterhin wichtig ist, soll es das auch weiter geben. Aber ich möchte hinterfrag­en, ob es für junge Leute eine Bedeutung hat. Sie sollen sich das Gedenken künftig selbst gestalten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als Schülerin war ich nie in Mauthausen, erst als Studienanf­ängerin fuhr ich einmal alleine hin. Als ich das Krematoriu­m betrat, saßen dort junge Besucher auf dem Boden, hielten sich an den Händen und sangen laut. Das hatte, dem Ort des Todes zum Trotz, eine Kraft und eine Lebensfreu­de, die ich nie vergessen werde. Das möchte ich anregen und zulassen.

Barbara Glück (39) ist Geschäftsf­ührerin der Bundesanst­alt Mauthausen Memorial. Glück promoviert­e an der Uni Wien in Geschichte und Politikwis­senschaft.

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Barbara Glück leitet seit nunmehr bald zwölf Jahren die Gedenkstät­te Mauthausen: „Ich gedenke, das Gedenken künftig anders zu gestalten – in die Zukunft gerichtet.“

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