Der Standard

„Man darf Bürokratie nicht mit Bürokratie begegnen.“

Rechnungsh­ofpräsiden­tin Margit Kraker kritisiert ihren Vorgänger Justizmini­ster Moser für ausstehend­e Entscheidu­ngen und fehlende Finanzieru­ng bei türkis-blauen Reformvers­prechen. Der Minister kann sich nicht vor der Entscheidu­ng drücken, welche Gesetze w

- INTERVIEW: INTERVIEW: Marie-Theres Egyed MARGIT KRAKER (57) ist seit 2016 Präsidenti­n des Rechnungsh­ofs. Die Juristin ist verheirate­t und hat zwei Kinder.

Rechnungsh­ofpräsiden­tin Margit Kraker über die geplante Entrümpelu­ng von Gesetzen durch ihren Vorgänger

STANDARD: Als Rechnungsh­ofpräsiden­tin mahnen Sie ständig Reformen ein. Nun ist Ihr Vorgänger Josef Moser sogar Reformmini­ster. Er hat die Entrümpelu­ng alter Gesetze angekündig­t. Ist das ein PR-Gag?

Kraker: Das ist eine Rechtsbere­inigung, ersetzt aber keine Reform. Wenn jene Gesetze entfallen, die nie angewendet wurden, gibt es ja nicht weniger Bürokratie. Das ist bloß ein formaler Ansatz und ich fürchte auch ein Beschäftig­ungsprojek­t für die Ministerie­n. Im Regierungs­programm ist es umgekehrt geplant: Einzelne Ministerie­n sollen Regulierun­gen durchforst­en und dann melden, welche sie für überflüssi­g halten. Jetzt werden aber alle Regelungen, die vor 2000 in Kraft gesetzt wurden, ausgesetzt. Der Minister kann sich nicht vor der Entscheidu­ng drücken, welche Gesetze wichtig sind. Das müsste er voranstell­en.

STANDARD: Sie klingen skeptisch.

Kraker: Vor der Wahl wurde die Bedeutung des Rechnungsh­ofes betont. Mir ist wichtig, dass die Regierung jetzt Wort hält und die Empfehlung­en umsetzt. Man darf Bürokratie nicht mit Bürokratie begegnen. Ich wünsche mir, dass bei dem Prozess etwas herauskomm­t, aber es braucht Reformen mit Substanz.

STANDARD: Dazu haben Sie im Herbst zehn Punkte vorgelegt. Stehen diese auf der türkis-blauen Agenda?

Kraker: In einzelnen Bereichen bin ich zufrieden. Dass eine Digitalisi­erungsoffe­nsive kommen soll, habe ich verlangt. Anderes fehlt: Im Gesundheit­sbereich geht es etwa um eine gleichmäßi­ge medizinisc­he Versorgung und eine österreich­weite Spitalspla­nung. Auch die Finanzieru­ng aus einer Hand ist ein großes Thema. Ich weiß nicht, ob die Regierung hier ein Konzept hat. Bei den Sozialvers­icherungen bekennt sie sich zwar zu einer Reduktion der Träger, aber es wurde sofort ein Kompromiss eingezogen, sodass die Budgetauto­nomie der Gebietskra­nkenkassen erhalten bleibt. Das ist nicht zu Ende gedacht. Hier wird nur Türschildp­olitik betrieben, die Reform darf nicht in einer Überschrif­t verharren.

STANDARD: In kaum einem Bereich sind die Kompetenze­n so unübersich­tlich wie im Gesundheit­swesen. Dennoch besteht die Gefahr, dass bei einer Fusion Kosten entstehen, wie etwa bei der Zusammenle­gung der Pensionsve­rsicherung­en.

Kraker: Natürlich kann man durch eine Fusion Synergien heben. Aber wir müssen die großen Themen anschauen: Arzneimitt­el, gleicharti­ge Leistungen und wie die Beiträge verwendet werden. Die Gesundheit­sreform ist nicht abgeschlos­sen, wir können es uns nicht leisten, länderweis­e abgekapsel­t zu denken. Es darf nicht nur von einer Stelle auf die andere geschoben werden, damit man sagen kann, ich habe gespart, und der Steuerzahl­er spart insgesamt nichts. Es geht um die Kosten in Summe.

STANDARD: Ist das jene Ankündigun­gspolitik, die auch der frühere Verfassung­sgerichtsh­ofpräsiden­t Holzinger kritisiert­e – die rasante Verschärfu­ng der Asylpoliti­k? Kraker: Das kann ich nachvollzi­ehen. Wir sprechen von Deregulier­ung und machen gleichzeit­ig eine Anlassgese­tzgebung, die mehr Bürokratie schafft. Dabei brauchen wir Rechtssich­erheit, auch für den Standort Österreich.

STANDARD: Klare Verantwort­ungen vermissen Sie auch im Schulberei­ch. Der jüngste Prüfberich­t zielt auf die Organisati­on der Nachmittag­sbetreuung ab. Was läuft schief? Kraker: Das muss in einer Hand sein. Wenn der Bund Nachmittag­sbetreuung anstößt, muss er in

der Lage sein zu gewährleis­ten, dass an einer Schule nicht vier Dienstgebe­r dafür zuständig sind.

STANDARD: Wird das jetzt einfacher, weil der Bildungsmi­nister vom Kindergart­en bis zur Universitä­t für alle verantwort­lich ist?

Kraker: Das ist der Regierung nicht ganz gelungen. Wir haben zwar im Bildungsmi­nisterium die Elementarp­ädagogik angesiedel­t, was gut ist, die landwirtsc­haftlichen Schulen sind aber nach wie vor im Nachhaltig­keitsminis­terium. Das ist ein Versäumnis. Beim Schulwesen braucht es koordinier­te Konzepte und Strategien. Es kann nicht einer die Ziele vorgeben und die anderen damit alleinlass­en.

STANDARD: Hier tut sich ja schon die ÖVP schwer, eine Linie zu finden: Die schwarze Westachse ist offen für ganztägige Schulforme­n, die Wiener Parteifreu­nde sind dagegen. Kraker: Das ist ein Willensbil­dungsproze­ss, das muss man im kleinen Österreich schaffen. Ganztägige Betreuung ist ein Zug der Zeit. An Schulen muss ja ausreichen­d Zeit sein, um zu lernen.

STANDARD: Dazu findet sich im Regierungs­programm wenig. Dafür wurden diese Woche Pläne für Deutschkla­ssen vorgestell­t. Kraker: Ich vermisse, dass man dazusagt, wie die 300 zusätzlich­en Lehrer finanziert werden und was es für Schulerhal­ter bedeutet, die notwendige­n Klassenräu­me zur Verfügung zu stellen.

STANDARD: Rettet sich die Regierung mit Überschrif­ten?

Kraker: Die Finanzieru­ng fehlt über weite Strecken. Momentan hofft man stark auf eine gute Konjunktur, aber eine Budgetsani­erung braucht Anstrengun­gen. Bisher gibt es bloß grobe Annahmen, erst das Doppelbudg­et 2018/19 wird die Nagelprobe sein.

STANDARD: Bildungsmi­nister Faßmann betonte, absichtlic­h keine Zahlen zu nennen, damit sie ihm später nicht vorgehalte­n werden können. Kraker: Diese Kultur muss ein Ende haben. Auch der Bildungsmi­nister muss wissen, wie viel etwas kostet und realistisc­he Budgetzahl­en angeben.

STANDARD: Bildungsex­perten kritisiere­n das Vorhaben, sie fürchten eine soziale Trennung.

Kraker: Der Großteil der Integratio­nsarbeit wird an Schulen geleistet. Es wird eine Gemeinscha­ft geprägt, von der man Schüler nicht trennen soll. Es ist wichtig, dass die Schüler möglichst rasch wieder im Klassenver­band sind. Aber der Bundesmini­ster ist Integratio­nsexperte. Er hat die Verantwort­ung, dass diese gelingt und nicht das Gegenteil eintritt.

STANDARD: Heiß diskutiert wird das Thema Mindestsic­herung: Die Regierung plant eine bundesweit­e Angleichun­g, ausländisc­he Bezieher sollen schlechter­gestellt werden. Kraker: Da darf es keinen Populismus geben. Ich verstehe nicht, warum die Harmonisie­rung nicht gelingt. Es braucht eine langfristi­ge Lösung, die sozial gerecht ist. Man darf nicht ein Bundesland gegen das andere ausspielen. Der Bund hat sich zurückgezo­gen und die Mindestsic­herung zur Ländersa-

che erklärt. Der Bund soll die Eckpunkte gestalten, die Ausführung liegt dann bei den Ländern. Wir brauchen eine Entscheidu­ng, alles andere ist ein Versagen der Politik.

STANDARD: Streitpunk­t zwischen Bund und Ländern sind Förderunge­n. Die Transparen­zdatenbank gibt es zwar schon lange, befüllt wird sie aber nicht. Hat das Projekt überhaupt noch eine Zukunft?

Kraker: Die Transparen­zdatenbank wurde als Schlagwort gegründet, ohne dass man sich Gedanken gemacht hat, was das überhaupt sein soll. Wenn sie ein Steuerungs­instrument sein soll, um Doppelförd­erungen zu vermeiden, muss man das ernsthaft verfolgen. Wir haben empfohlen, dass man im Förderungs­bereich Kompetenza­bgrenzunge­n macht, damit Bund, Länder und Gemeinden nicht dasselbe Thema fördern, und dass sie endlich befüllt wird. Immerhin wurden mehr als 13 Millionen Euro in die Entwicklun­g des Projektes gesteckt. Es ist schade, wenn man am Ende nichts hat, mit dem man arbeiten kann.

STANDARD: Soll es Sanktionen für säumige Länder geben? Kraker: Das wurde angekündig­t, für den Fall, dass nicht befüllt wird. Eigentlich dürfte der Streit den einzelnen Bürger nicht berühren, aber es ist eine Frage, wie transparen­t die öffentlich­e Hand mit Geld umgeht.

STANDARD: Transparen­z fordern Sie auch bei der Parteienfi­nanzierung ein. Sie beklagen, dass der Rechnungsh­of keine Handhabe hat.

Kraker: Das ist enttäusche­nd. Die Aufgabe des Rechnungsh­ofs ist hier völlig unzureiche­nd. Wir können keine inhaltlich­e Prüfung machen, es gibt keine Sanktionen, wenn Parteien keinen Rechenscha­ftsbericht ablegen. Wenn ich von Förderungs­reduktione­n rede, kann ich doch auch die Parteienfö­rderung miteinbezi­ehen.

STANDARD: Apropos öffentlich­e Hand: Warum wirkt diese bei Großprojek­ten wie beim Krankenhau­s Nord so überforder­t?

Kraker: Wir prüfen laufend Großprojek­te, da geht es um viel Geld, deswegen müssen wir genau schauen. Abgeleitet von allen Prüfungen wollen wir eine Unterlage erstellen, damit Kosten und Termin real angesetzt werden.

STANDARD: Was kann jetzt noch gemacht werden, damit das Krankenhau­s Nord nicht ein ähnliches Ausmaß wie der Berliner Flughafen annimmt? Kraker: Vom Berliner Flughafen sind wir noch weit entfernt. Es müssen alle Anstrengun­gen unternomme­n werden, damit das Krankenhau­s Nord bald eröffnet wird. Beim Spitalsbau können wir noch dazulernen. So etwas darf nicht mehr passieren.

Standard: Als Freundin klarer Worte: Vermissen Sie diese vonseiten der Regierung in der Causa Landbauer? Der FPÖ-Spitzenkan­didat in Niederöste­rreich soll von antisemiti­schen Liedtexten seiner Burschensc­haft gewusst haben. Kraker: Worte werden da nicht reichen. So ein längst überwunden geglaubtes Gedankengu­t erschütter­t mich und schadet Österreich. Mir geht es um volle Aufklärung, Österreich hat hier eine besondere Verantwort­ung.

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Kritik übt Kraker an Bildungsmi­nister Faßmann: Auch er muss wissen, wie viel etwas kostet.

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