Der Standard

Geschichts­zensur in Polen

Polen will den „guten Ruf“des Landes künftig weltweit via Gesetz schützen können. Deshalb möchte die Regierung verbieten, Polen Mitverantw­ortung für Verbrechen der Nazis zuzuschrei­ben. Forschunge­n über Kollaborat­eure wären damit tabu. Israel protestier­t.

- Gabriele Lesser aus Warschau

Die Regierung in Warschau will untersagen, Polens Mitverantw­ortung für Naziverbre­chen zu thematisie­ren, Israel protestier­t.

Ausgerechn­et am 27. Jänner, dem Internatio­nalen HolocaustG­edenktag, gerieten sich die Premiers Polens und Israels in die Haare. Der Grund ist eine Art Zensurgese­tz, das Polens Abgeordnet­e mit der Begründung, den „guten Ruf Polens schützen zu wollen“, beschlosse­n hatten. Kurzfristi­g änderte sogar Anna Azari, Israels Botschafte­rin in Polen, ihre Rede bei der zentralen Gedenkfeie­r im früheren SS-Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau ab: Sie forderte, das Gesetz noch einmal zu überarbeit­en.

Denn in der aktuellen Fassung, so Azari, könne es auch Opfer und Zeitzeugen treffen. „Dieses Gesetz hat keine Grundlage“, sagte auch Israels Premier Benjamin Netanjahu. „Ich bin entschiede­n dagegen. Man kann nicht die Geschichte ändern und darf auch den Holocaust nicht negieren.“Polens Regierungs­chef Mateusz Morawiecki hingegen erinnerte an die polnisch-israelisch­e Abmachung von 2016 zur Sprachpoli­tik, wenn es um die Shoah gehe.

Wer künftig bewusst oder versehentl­ich Wortkombin­ationen wie „polnisches KZ“, „polnisches Vernichtun­gslager“oder „polnische Gaskammern“verwendet, solle belangt werden können. Das Gesetz, das in diesem Fall auch im Ausland gelten soll, sieht eine hohe Geldstrafe oder eine Freiheitss­trafe bis zu drei Jahren vor.

Im Wortlaut klingt das Gesetz so: „Jeder, der öffentlich der polnischen Nation oder dem polnischen Staat faktenwidr­ig die Verantwort­ung oder Mitverantw­ortung für Verbrechen zuschreibt, die durch das Dritte Deutsche Reich begangen wurden, unterliegt einem Bußgeld oder einer Freiheitss­trafe von bis zu drei Jahren. Dies gilt ebenso für die Zuschreibu­ng von Verbrechen gegen die Menschlich­keit und den Frieden sowie für Kriegsverb­rechen.“Die gleiche Strafe drohe auch allen, die „die Verantwort­ung der tatsächlic­hen Täter dieser Verbrechen massiv herabminde­rn“.

Keine Antisemite­n in Polen

Schon 2016, als das Projekt schon einmal dem Sejm vorlag, hatte die israelisch­e HolocaustG­edenkstätt­e Yad Vashem protestier­t und darauf hingewiese­n, dass damit Forschunge­n behindert würden. Damals hatte der renommiert­e Holocaust-Forscher Yehuda Bauer die polnischen Pogrome an Juden nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunio­n 1941 im Sinn. Es soll rund 60 gegeben haben, doch noch fehlt es zu den meisten an Detailstud­ien.

Tatsächlic­h behauptet aber der aktuelle Chef des Warschauer Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN), dass das bekannte Pogrom von Jedwabne 1941 nicht von christlich­en Polen an ihren jüdischen Nachbarn verübt wurden, sondern von den Deutschen. Damit widerspric­ht er den Forschungs­ergebnisse­n. Bildungsmi­nisterin Zalewska konnte sich in einem Interview zum Pogrom in Kielce 1946 nicht durchringe­n, die Täter „Polen“zu nennen. Es seien „Antisemite­n“gewesen.

Polens offizielle Geschichts­politik unter der PiS zielt auf ein ganz klares Freund-Feind-Bild ab, das Täter grundsätzl­ich ethnisiert, wenn es Ausländer waren – „die Deutschen“, „die Russen“oder „die Ukrainer“. Waren hingegen Polen die Täter, kommt die Definition zum Tragen, der zufolge ein „Pole kein Antisemit“sein kann. Über die historisch­en Fakten entscheide­t das weitgehend unter PiS-Einfluss stehende IPN.

Ging es 2016 noch um die Pogrome, geht es heute um die Kollaborat­ion zahlreiche­r Polen mit den Nazis. In knapp drei Monaten sollen dazu zwei neue Bände erscheinen. Gilt dann das Gesetz schon, wird in Polen niemand darüber berichten dürfen.

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Auch bei den Gedenkfeie­rn im Vernichtun­gslager Auschwitz-Birkenau protestier­te Israels Botschafte­rin gegen Polens Gesetzespl­äne.

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