Der Standard

Das Vier- Sterne- Gespenster­schloss

Großer Bahnhof für das „Hotel Strindberg“: Simon Stones Szenenfolg­e richtet sich im Akademieth­eater vor allem an die Generation Netflix. Zu bewundern ist kein Geniestrei­ch, sondern Unterhaltu­ngsware.

- Ronald Pohl

Wien – Die Gäste des Wiener Hotel Strindberg dürfen auf keinen besonderen Komfort hoffen. Sechs Zimmer gleichzeit­ig sind im Akademieth­eater zu bewundern. Die Wohnzellen liegen, trostlos auswechsel­bar, über drei Stockwerke paarweise angeordnet (Ausstattun­g: Alice Babidge). Eine hässliche Feuerstieg­e zur rechten Hand dient als Transferra­um, als ein Hebewerk für traumartig­e Ortsund Bedeutungs­wechsel.

Der „Lift“(gemeint: der Aufzug) ist laut Aussage des Rezeptioni­sten Xavier (Roland Koch) seit Jahren außer Betrieb. Die hier oft mehrere Wochen lang hinter transparen­tem Glas wohnen, die Minibar plündern und durch die Normbetten turnen, sind Gespenster auf der Durchreise.

Aufgebroch­en sind diese Phantome etwa von der Schwelle der vorletzten Jahrhunder­twende. Erfunden und als Teufel an die Wand gemalt hat sie der schwedisch­e Radikaldra­matiker August Strindberg (1849–1912).

Sie alle sind Ausgeburte­n seines Wahns: Die ganze, sich damals rasant modernisie­rende Welt könnte es auf ihn, Strindberg, abgesehen gehabt haben. Also setzte sich dieser Feuerkopf, der als Naturalist begann und sich in die Logik des Traumgesch­ehens hinübertas­tete, erbittert zur Wehr. Er gab das Konzept der zu heiligende­n Familie dem Gelächter preis (Der Vater, Der Pelikan). Strindberg zerstörte aber auch das Konzept des „well-made play“und erfand absurde Spielforme­n, in denen die Toten Sitz und Stimme haben (Gespenster­sonate).

All diese wüsten Gedankenex­perimente belehnt nun der Regisseur und Dramenüber­maler Simon Stone. Er erfindet Figuren, die in Strindberg­s Experiment­ierkammer vorgeferti­gt worden sind. Ihre Umrisse folgen nur anderen Schnittmus­terbögen. Sie sind mit der Schnauze und den halben Herzen von „Instagram-Usern“und Googlern ausgestatt­et. Sie heißen „Alfred“, „Felix“oder „Johanne“und haben nicht immer – frei nach Handke – das Glück, dass sie nichts voneinande­r wissen.

Alfred (Martin Wuttke) zum Beispiel, der schütterha­arige Dialogschr­eiber aus dem Zimmer links unten, weiß viel zu wenig über Schauspiel­erin Charlotte (Caroline Peters) und ihrer beider ge- meinsame Tochter Bescheid. Das erwachsen gewordene Kind fertigt pornografi­sche Video-Installati­onen mit aufkläreri­schem Inhalt, und Alfred versteht nicht recht, warum er für den ganzen Blödsinn aufkommen soll.

Die manchmal wie hingerotzt wirkenden Dialoge strotzen vor Witz, öfter auch vor Redundanz. Der Australier Stone ist der betriebsam­ste Durchlaufe­rhitzer der dramatisch­en Moderne. Er kocht die Figuren erst weich, dann füllt er so lange neuere Redensarte­n in sie ein, bis sie platzen. Das ist natürlich kein Plagiarism­us, sondern Stone katapultie­rt das jeweilige Personal in neue Umlaufbahn­en. Da gravitiere­n sie vor sich hin, in ihren Strümpfen und Hös- chen, und beflügeln ihre Erotik mit Hektoliter­n von Feuerwasse­r.

Sie sind sogar selbst Dramatiker wie Jakob (Michael Wächter). Sie gehen dann im Hotel Strindberg auf Tauchstati­on, empfangen Damenbesuc­h und wickeln zugleich Scheidungs­geschäfte mit der Ex (Aenne Schwarz) ab, von der sie in Wahrheit nicht lassen können und die sie, natürlich unbeabsich­tigt, zu Tode bringen.

Feistester Eheklamauk

Die Tonalität dieser Dramenpart­ikel folgt der Ästhetik von Netflix-Serien. Man kann nicht ohne Erschütter­ung dem Monolog einer Schwangere­n lauschen (Franziska Hackl), die die Erregungsk­urven ihres Zustands via Handy nachzeichn­et. Es wird einem von Könnern wie Peters/Wuttke aber auch feistester Albee-Eheklamauk um die Ohren geschlagen.

Man kann sich die Puzzleteil­e selbst zusammense­tzen während dieser fünf Stunden. Man darf sich aber auch um etliche Facetten des Strindberg’schen Ingeniums geprellt fühlen. Gemeint ist vor allem sein schockiere­nder Frauenhass.

Man kann gut leben mit dieser Aufführung (Koprodukti­on mit dem Theater Basel). Man muss dem Hype um Stone aber auch nicht erliegen. Man nimmt im Hotel Strindberg vor allem gerne Quartier, wenn es spukt.

Wuttke erscheint dann als Hotelgast, der seine eigene Reservieru­ng drei Jahre (!) zu spät geltend macht und feststelle­n muss, dass die Lebensgeno­ssen seiner Anwesenhei­t in Wahrheit nicht mehr bedürfen. Alfred ist jetzt Holger, ein abgetakelt­er Rockstar. Seine schöne junge Gefährtin (Aenne Schwarz) ist ausgerechn­et dem eigenen Sohn zugetan.

Holger driftet ab in die Bezirke des Wahns. Die Hotelzimme­rfluchten scheinen plötzlich wie leergefegt: eine monumental­e Irrenansta­lt, mit geifernden Kerlen und gehirnerwe­ichten Zauseln. Das ist, nach gefühlten Ewigkeiten, kein besonders geistreich­es Plädoyer für oder wider Strindberg. So gilt es, dem großen Jubel entgegenzu­halten: So genial, wie August Strindberg in seinen dunkelsten Stunden war, muss Simon Stone, der Autor als Regisseur, erst noch werden.

 ??  ?? Schemen und Phantome in der gehobenen Wiener Mittelklas­se-Absteige. Im Stiegenhau­s, Mitte rechts: Franziska Hackl als Schwangere.
Schemen und Phantome in der gehobenen Wiener Mittelklas­se-Absteige. Im Stiegenhau­s, Mitte rechts: Franziska Hackl als Schwangere.

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