Der Standard

Weil nichts unmöglich ist

„Wie kannst du ein Kind bekommen?“, wurde Sabine Weber-Treiber gefragt. „Ganz normal“, antwortete die nun zweifache Mutter. Seit 2009 ist sie infolge einer Virusinfek­tion im Wirbelkana­l querschnit­tgelähmt. Im Vorjahr wurde sie Schwimmwel­tmeisterin.

- Birgit Riezinger

11. September 2016: „Das war’s jetzt“, denkt sich Sabine WeberTreib­er. Nach Platz acht über ihre Spezialstr­ecke 100 Meter Brust bei den Paralympic­s in Rio de Janeiro wird die Schwimmeri­n disqualifi­ziert. Der Grund: Ihre Fersen haben nach dem Start aus dem Wasser geschaut. Und das darf nicht sein. „Ich kann das aber nicht kontrollie­ren“, sagt die querschnit­tgelähmte Niederöste­rreicherin. Die Enttäuschu­ng ist riesengroß. Vier Jahre lang hat sie sich auf die Spiele vorbereite­t. Nur bei den Paralympic­s stehen Behinderte­nsportleri­nnen zumindest ein bisschen im Rampenlich­t. Als Weber-Treiber im Flugzeug nach Hause sitzt, denkt sie sich: „So kann ich nicht aufhören.“

7. Dezember 2017: Sabine Weber-Treiber schaut auf die Anzeigetaf­el, stößt einen Jubelschre­i aus, reißt den rechten Arm nach oben. Soeben hat sie das Finale über 50 Meter Freistil bei den Para-Schwimm-Weltmeiste­rschaften in Mexiko-Stadt klar für sich entschiede­n. Der Titel ist der größte Erfolg in der Karriere der 39-jährigen Mödlingeri­n. Aber keine Überraschu­ng. Gold war das Ziel. „Ich bin sehr selbstbewu­sst ins Rennen gegangen.“

Nach dem Tiefschlag in Rio macht Weber-Treiber also weiter – aber anders. Weil sie im Brustschwi­mmen stets Gefahr läuft, disqualifi­ziert zu werden, spezialisi­ert sie sich auf den Kraulsprin­t. Und anders als in anderen Jahren wird sie nicht durch Krankheite­n aus der Vorbereitu­ng gerissen. Zudem verliert sie zwei Konkurrent­innen, die aufgrund ihrer progressiv­en Behinderun­g jährlich neu eingestuft werden und die Klasse wechseln müssen. Alles läuft optimal. Dass die WM wegen des Erdbebens in Mexiko um zwei Monate verschoben wird, ist letztlich auch kein Problem. „Die Paralympic­s“, sagt Weber-Treiber, „sind ein Jahr zu früh gekommen.“Die nächsten Spiele steigen 2020 in Tokio. Sie sind Weber-Treibers nächstes großes Ziel.

Die paralympis­che Medaille fehlt ihr noch. 2012 in London wird sie Vierte über 100 Meter Brust. Zwei Wochen vor den Spielen erfährt sie, dass sie mit ihrem zweiten Kind schwanger ist. Luisa ist mittlerwei­le vier Jahre alt. „Wie kannst du ein Kind in die Welt setzen?“, sei WeberTreib­er ganz unverblümt gefragt worden. Ihre Antwort: „Ganz normal, biologisch.“

Rollstuhlf­ahrerinnen wird üblicherwe­ise empfohlen, per Kaiserschn­itt zu entbinden. Weber-Treiber bringt Luisa auf natürliche­m Weg zur Welt – und problemlos. Nur pressen kann sie nicht selbst – das erledigt ihr Mann. Sie wollte keinen Kaiserschn­itt, weil man danach nichts Schwereres als das eigene Baby heben sollte. WeberTreib­er muss aber ihren Rollstuhl heben – etwa wenn sie ins Auto steigt. „Luisa war ein Wunder“, sagt sie. Auch ihr erster Sohn, der heute zehnjährig­e Otto, sei ein Wunder gewesen.

Infolge eines Autounfall­s im Jahr 1999 hat Weber-Treiber schon damals eine inkomplett­e Querschnit­tlähmung – allerdings ohne neurologis­che Ausfälle. Weber-Treiber kann noch gehen, den Hockeyspor­t muss sie aber aufgeben. Die Niederöste­rreicherin war Nationalsp­ielerin. Die Ärzte sagen ihr damals, dass sie keine Kinder bekommen könne. Acht Jahre später ist Weber-Treiber schwan- ger. Eine schwierige Schwangers­chaft. Sie hat starke Rückenschm­erzen, die auch nach der Entbindung nicht besser werden. Zudem ist sie sehr anfällig für Krankheite­n.

Es ist ein Morgen im Februar 2009, als Weber-Treiber ihren Mann bittet, noch nicht seine Dienstreis­e anzutreten. Nach einer Nacht mit Schmerzen hat sie ein ungutes Gefühl. Sie geht auf die Toilette. 14 Tage später wacht sie im Krankenhau­s auf. „Ich bin vom Klo nicht mehr aufgestand­en. Ich hatte quasi einen Kurzschlus­s in der Wirbelsäul­e.“Eine Virus- infektion hat den Wirbelsäul­eninfarkt ausgelöst.

Fortan ist Sabine Weber-Treiber, damals 30 Jahre alt, auf den Rollstuhl angewiesen. Noch im Spital kommt die Idee einer Paralympic­sTeilnahme auf. In der Reha schwimmt sie. „So blöd stellst dich gar nicht an“, sagt Thomas Rosenberge­r zu ihr. Er ist bis heute Weber-Treibers Trainer. Sie probiert sich auch im Rollstuhlr­ugby. „Aber nur zum Spaß.“Schwimmen wird mehr als nur Spaß. Im November 2009, ein halbes Jahr nachdem sie aus dem Krankenhau­s entlassen worden ist, absolviert sie ihren ersten Wettkampf. 2010 gewinnt sie ihre ersten Staatsmeis­tertitel, 2011 wird sie Sechste bei den Europameis­terschafte­n. 2014 holt sie EM-Silber. Und nun eben der WM-Titel.

Im Jahr 2017 erhält sie keine Förderunge­n, finanziert sich das Training selbst. „Es war knapp.“Dafür ist sie frei in der Trainingsg­estaltung. So geht sie etwa Skifahren oder schwimmt im Meer in Kroatien. 30 bis 35 Stunden trainiert Weber-Treiber in der Woche. 25 Stunden arbeitet sie – als Kommerzkun­denbetreue­rin bei der Erste Bank. Alle 14 Tage gibt sie Turnunterr­icht an einer Sonderschu­le. Und ihre eigenen Kinder wollen auch betreut werden. Weber-Treiber ist gut organisier­t.

Über die Stufen

Vor der WM in Mexiko plant sie mittels einer Excel-Liste, wer wann auf welches Kind aufpassen würde. So kann sie sich vor Ort auf den Sport konzentrie­ren. Und auf ein bisschen Sightseein­g. In jeder Stadt ist ein Museum und das höchste Gebäude Pflicht für Weber-Treiber. In Köln ist das dummerweis­e der Dom. Weber-Treibers Mann trägt sie die Stufen hinauf auf den Südturm. In Mexiko seien die Gehsteige „spannend“gewesen. Bei den U-Bahn-Stationen tragen Polizisten Rollstuhlf­ahrer und Rollstuhlf­ahrerinnen über die Treppen. „Sie sind sehr hilfsberei­t und wissen genau, wo sie anpacken müssen.“

Auch in Österreich ist in Sachen Barrierefr­eiheit nicht immer alles optimal – etwa wenn es um Toiletten oder um den öffentlich­en Verkehr geht. Weber-Treiber ist meistens mit dem Auto unterwegs. Sie ärgert sich, wenn Behinderte­nparkplätz­e von Nichtbehin­derten benutzt werden. Oder wenn Menschen eine körperlich­e mit einer geistigen Behinderun­g verwechsel­n. „Die meisten Barrieren“, sagt sie, „sind in den Köpfen.“Der Sport jedenfalls baue Barrieren ab. Auf ihrer Website steht: „Nothing is impossible.“

 ??  ?? Sabine Weber-Treiber vor dem Start bei den Paralympic­s 2016 in Rio. Dort hatte sie noch Pech.
Sabine Weber-Treiber vor dem Start bei den Paralympic­s 2016 in Rio. Dort hatte sie noch Pech.
 ?? Foto: APA/Neubauer ?? Sabine Weber-Treiber (39) arbeitet in einer Bank, schwimmt und ist zweifache Mutter.
Foto: APA/Neubauer Sabine Weber-Treiber (39) arbeitet in einer Bank, schwimmt und ist zweifache Mutter.

Newspapers in German

Newspapers from Austria