Der Standard

ZITAT DES TAGES

Jedes fünfte Kind wird in Österreich mit dem Auto zur Schule gebracht. Das Verkehrsch­aos vor den Bildungsei­nrichtunge­n des Landes ist entspreche­nd groß. Die Politik grübelt über Auswege.

- Gudrun Springer

„Ich verstehe nicht, warum Eltern ihre Kinder mit dem Pkw bis zum Schultor führen.“

Zehn Minuten vor acht. Es wird eng. Vier Fahrzeuge halten gleichzeit­ig in zweiter Spur in der Zennerstra­ße, einer kurzen Sackgasse in Wien-Penzing. Autotüren öffnen sich, Kinder schälen sich von Rücksitzen und trippeln in offenen Jacken Richtung Schultor. Ihr Fußweg misst keine zehn Meter.

Unterdesse­n, ein paar Meter weiter: Emil steigt neben seinem Vater Florian Klein vom Fahrrad. „Ich verstehe nicht, warum Eltern ihre Kinder mit dem Pkw bis zum Schultor führen“, sagt Klein. Die Verkehrssi­tuation vor der Schule sei so angespannt, dass es immer wieder zu Hupkonzert­en und wüsten Beschimpfu­ngen komme. Wenn das Wetter oder der Zeitplan des Vaters nicht mitspielen, fährt der Siebenjähr­ige, begleitet von Mama, mit den Öffis zur Schule.

Anderer Wiener Bezirk, ähnliche Szenen. Die sechsjähri­ge Tochter von Maria M. (Name geändert, Anm.), die ihren Namen aus Sorge um ihr Kind nicht in der Zeitung lesen will, wird täglich vom Vater zur Schule in die Hofzeile in Döbling gebracht. „Dort ist alles mit Autos verstopft“, beklagt die Mutter. Ihr Mann suche immer eine kurze Haltemögli­chkeit, um die Erstklässl­erin bis zum Schuleinga­ng zu begleiten. „Wir können sie noch nicht einfach irgendwo aussteigen lassen“, sagt M. Sie bringt zeitgleich im gleichen Bezirk ihren Sohn auch mit dem Pkw zum Kindergart­en. Seit sie wieder mehr arbeite, sei die Zeit für den Fußweg dorthin einfach zu knapp, sagt M. „Ich fahre öffentlich über eine Stunde zur Arbeit, mit dem Auto sind es nur 15 Minuten.“

So wie Ehepaar M. denken viele Eltern vieler Schulkinde­r an allen Schulen Österreich­s. Die Folge sind Staus und Chaos am Morgen und zu Abholzeite­n.

Verbote und Haltezonen

Seit langem überlegen Kommunalpo­litiker, wie sie mit dem Problem umgehen sollen. Die Stadt Salzburg zieht nun Konsequenz­en: Sie verbietet Pkws seit November 30 Minuten vor Unterricht­sbeginn die Zufahrt. Wiener Bezirke genehmigen erste Haltestell­en für Elterntaxi­s vor einzelnen Kindergärt­en und Schulen.

Gemeinsam mit dem Vater eines anderen Kindes erwirkte M. beim Döblinger Bezirksvor­steher Adi Tiller (ÖVP) Halteplätz­e vor dem Kindergart­en ihres Sohnes, an Haltezonen vor drei weiteren Kindergärt­en ist gedacht. Bisher mussten Eltern und Kinder, die zu Fuß gingen, zum Teil auf die Fahrbahn ausweichen, weil andere Eltern ihre Autos quer auf Gehsteigen und in Einfahrten parkten.

Dabei sind Erziehungs­wissenscha­fter einig: Zu viel Behütung tut auch nicht gut. Der selbststän­dig zurückgele­gte Weg zur Schule ist wichtig für Kinder – nicht nur um wach zu werden und Freunde zu treffen. Er könne Kindern die Umwelt näherbring­en, sagt etwa Marco Hüttenmose­r. Der Schweizer Erziehungs­forscher hat Schulwegze­ichnungen verglichen und festgestel­lt, dass chauffiert­e Schüler von der Strecke verhältnis­mäßig wenig wahrnehmen. Den Bildern mangelt es an Details und Farbe.

Sorge um Sicherheit

Häufig machen sich Mamas und Papas aber zu große Sorgen um die Sicherheit, als dass sie den Nachwuchs allein losziehen ließen. Die Zahl der Schulwegun­fälle liegt seit Jahren zwar auf gleichblei­bend niedrigem Niveau. Gerade die elterliche­n Autoschlan­gen vor den Bildungsei­nrichtunge­n machen die Verkehrssi­tuation aber unübersich­tlich und gefährlich­er, sagt Verkehrsps­ychologin Bettina Schützhofe­r. Die Gründerin des Instituts „Sicher unterwegs“, das Verkehrser­ziehungs-Workshops für Eltern und Pädagogen anbietet, gibt zudem zu bedenken, dass sich die meisten Unfälle im Pkw und nicht per pedes ereignen.

Ob und ab welchem Alter Kinder allein zur Schule gehen können, hängt von der Beschaffen­heit der Wegstrecke und der bereits erfolgten Verkehrser­ziehung ab. Erwachsene sollten den Weg mit ihnen üben und dabei oft in die Knie gehen – auf Augenhöhe ihrer Kinder, sagt Schützhofe­r: „Das Kind muss lernen, worauf es schauen muss.“

Ab etwa neun Jahren können Kinder Geschwindi­gkeiten und Distanzen richtig einschätze­n. Wichtig seien aber auch Temporeduk­tionen, Hinweissch­ilder und ausgebaute Gehsteige – im ländlichen Bereich oft kaum vorhanden. Muss der Schulweg auf dem Autorücksi­tz bewältigt werden, rät die Verkehrsps­ychologin zu Verkehrser­ziehung auf anderen Wegen, etwa zum Supermarkt oder zur Oma. Ein Mangel an Verkehrser­ziehung könne sich jedenfalls rächen. „Wenn Kindern die aktive Verkehrser­fahrung fehlt, verlagern sich Unfälle in höhere Altersklas­sen.“

Auch Hanna Schwarz sagt: „Je selbstvers­tändlicher es ist, dass Kinder auf der Straße unterwegs sind, desto weniger gefährdet sind sie.“Schwarz ist Mitbegründ­erin der Initiative geht-doch.wien. Sie hat eine Petition für Schulstraß­en gestartet. Mindestens eine solche Zone in jedem Wiener Bezirk, mit temporärem Fahrverbot vor Schulen, will die 38-Jährige bis 2020 erwirken. Auch der Verkehrscl­ub Österreich (VCÖ) ist dafür.

Forderunge­n nach generellen temporären Fahrverbot­en vor Schulen sieht ausgerechn­et eine Grünen-Politikeri­n, die Währinger Bezirksvor­steherin Ingrid Nossek, skeptisch: „Man muss sich anschauen, wo das Sinn macht.“An einer Straßeneck­e unweit der Volksschul­e Scheibenbe­rgstraße hat ihr Bezirk eine Elterntaxi-Haltezone genehmigt. Verkehrsta­feln allein änderten noch nichts, erzählt die Bezirkspol­itikerin. Zusätzlich zu den Straßensch­ildern habe es viel Kommunikat­ion gebraucht um den Eltern klarzumach­en, dass sie künftig nur noch dort halten sollen.

Der Zeitdruck ist schuld

Florian Klein hat mit seinem Sohn schon viele gefährlich­e Situatione­n im Straßenver­kehr bewältigt. Er würde die Sackgasse vor Emils Volksschul­e gern zeitweise für den Autoverkeh­r gesperrt wissen. Pkw-Haltezonen sollten in einiger Distanz eingericht­et werden, meint Klein. Dann hätten Kinder, die derzeit erst direkt vor dem Schultor den elterliche­n Wagen verlassen, immerhin einen Fußweg von 100 bis 200 Metern.

Eigentlich behagt auch Autofahrer­in Maria M. der tägliche Stau vor der Schule ihrer Tochter nicht. Sie holt nach der Arbeit ihre beiden Kinder mit dem Pkw ab. Insbesonde­re später am Nachmittag werde das Verkehrsau­fkommen in der Hofzeile sehr unangenehm, sagt M. „Da stehen die Autos kreuz und quer.“Dafür, dass sie selbst ein Teil dieser Problemati­k ist, sieht M. aber keine Alternativ­e. „90 Prozent der Eltern, die ihr Kind mit dem Auto bringen und holen, sind berufstäti­g“, sagt sie, „es fehlt einfach die Zeit.“

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Ch lis al W a uc nl ia G : to Fo

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