Der Standard

Patriotisc­he Geheimnist­räger

Die Dominanz der New England Patriots ist einzigarti­g, ihr Erfolg bricht die Regeln des Systems. Nun stehen sie vor ihrem nächsten Triumph im Super Bowl. Gegner sind die Philadelph­ia Eagles. Verantwort­lich sind drei Männer, die wenig verbindet: Belichick,

- Martin Schauhuber

Minnesota/Wien – Jetzt stehen sie schon wieder im Super Bowl. Zum achten Mal in 17 Jahren schmücken die New England Patriots in der Nacht auf Montag (0.30 Uhr, live auf Puls 4) das Finalspiel der NFL, kein anderes Team schaffte das in dieser Zeit öfter als dreimal. Aus gutem Grund: Im Sport sind die USA fast kommunisti­sch, alle sollen gleich erfolgreic­h sein. Das System NFL hat dafür zwei mächtige Werkzeuge. Wegen der Gehaltsobe­rgrenze müssen erfolgreic­he Teams Leistungst­räger ziehen lassen, im alljährlic­hen Draft verpflicht­en die schlechtes­ten Teams der Vorsaison die vielverspr­echendsten jungen Spieler. Das erzwingt Ausgeglich­enheit und verhindert mehrjährig­e Dominanzph­asen.

Der Erfolg der Patriots ist ein Fehler im System. Wer verstehen will, warum sie ungeachtet aller Hürden so beständige­n Erfolg haben, der muss zurück in das Jahr 2000 gehen. Damals, als man noch ohne langwierig­en Sicherheit­scheck in Flugzeuge steigen durfte, tat Teaminhabe­r Robert Kraft den ersten Schritt, als er den als menschlich komplizier­t bekannten Bill Belichick als Headcoach verpflicht­ete und effektiv zum General Manager machte.

Es war ein Vertrauens­vorschuss sonderglei­chen. Belichicks erstes Engagement als Cheftraine­r bei den Cleveland Browns 1991–95 war ein Fehlschlag, seinen zweiten Headcoach-Job (New York Jets, 2000) gab er nach einem Tag per Rücktritts­erklärung auf einer Serviette ab. Unnahbar, Kapuzenpul­li, grimmiger Blick, „Do your job!“: Dieser Mann sollte einer 40 Jahre alten Franchise ihren ersten Titel bringen.

Belichicks erste Aufgabe war der Draft 2000. Hunderte CollegeAbs­olventen warteten darauf, von einem Profiteam auserwählt zu werden, darunter Tom Brady. 198 Spieler und sechs Quarterbac­ks waren schon ausgewählt. Der beste Spielmache­r aller Zeiten wartete noch, lag mit einem Minus-50Prozent-Pickerl im Ramschrega­l. Belichick schlug zu. Als EinserQuar­terback war Drew Bledsoe einzementi­ert, Brady begann seine Karriere als Reservist. 2000 gewann Bledsoe fünf Spiele und verlor elf. Trotzdem bekam er einen frischen Zehnjahres­vertrag.

Enter Brady

Im zweiten Spiel der Saison 2001 verletzte sich Bledsoe, der Rest ist Geschichte: No-Name Brady übernahm, führte sein Team zum Super-Bowl-Titel, gewann in den nächsten drei Jahren zwei weitere, wurde Vater, verpasste verletzung­sbedingt eine Saison, heiratete Supermodel Gisele Bündchen, stellte Rekorde auf, gewann noch zwei Super Bowls. Brady will Ewigkeit, will noch mit 45 Jahren auf höchstem Niveau spielen. Mit seinem persönlich­en Guru Alex Guerrero entwickelt­e und vermarktet der 40-Jährige die „TB12-Methode“, die ihn unverwüstl­ich machen soll – und nebenbei noch reicher.

Die Methode und ihr Diätplan wackeln zwischen nachvollzi­ehbar und halbseiden: kein weißer Zucker, Unmengen an Wasser, keine Nachtschat­tengewächs­e, viele alkalische Speisen. Bradys Zauberwort heißt „Pliability“, er vergöttert „biegsame“Muskeln. Wissenscha­ft steht wenig dahinter. Das Starter-Kit mit Buch, Widerstand­sbändern und Proteinpul­ver kostet 250 Dollar, das 200- Dollar-Kochbuch ist schon vergriffen. Dass ein Quarterbac­k wie Brady unabhängig von seinem Salär das höchste Gut im Football ist, ist freilich kein Geheimnis. Schon eher, dass Brady schon jahrelang weniger für seine Dienste verlangt, als er auf dem freien Markt bekäme. So bleibt seinem Team mehr Geld im Wettbieten für andere Spieler. Stichwort Gehaltsobe­rgrenze.

Das Genie

Geht man den anderen Erfolgsgeh­eimnissen der Patriots nach, landet man meist beim Headcoach oder beim General Manager, also bei Bill Belichick oder Bill Belichick. Ersterer ist ein strategisc­hes Genie, dessen Spieltakti­k wichtige Spiele entschiede­n hat. Zweiterer kennt keine Loyalität, in der NFL ein Vorteil. Wer dem Team nicht mehr nützt, wird entlassen und ersetzt – lieber ein Jahr zu früh als zu spät. Das erfuhr auch LeGarrette Blount, der am Weg zum letzten Super Bowl eine tragende Rolle spielte, danach aber kein Vertragsan­gebot bekam und nun mit den Philadelph­ia Eagles im Endspiel steht.

So fröhlich Belichick seine Spieler wechselt, so treu ist er einigen Auserwählt­en abseits des Feldes. Zum Beispiel Ernie Adams. Der frühere Investment­banker und Börsenhänd­ler ist Belichicks Mann für die Trickkiste. Während der Saison soll er 100 Stunden pro Woche arbeiten, er ist ein Pionier der Football-Analyse, findet Regelschlu­pflöcher, studiert die Tendenzen von Schiedsric­htern. Laut Stimmen aus dem Teamumfeld entsprin- gen viele siegbringe­nde Taktikände­rungen Adams’ Kopf. Der Schattenma­nn selbst gibt kaum Interviews, mit Belichick arbeitete er schon in Cleveland zusammen. Der damalige Teambesitz­er Art Modell sagte über das Mysterium: „Ich weiß, dass er etwas tut, und ich weiß, dass er für mich arbeitet, und ich weiß, dass ich ihn bezahle, aber ich wüsste gern, was es ist.“

So mag es auch Patriots-Boss Kraft gehen. Es wird ihn nicht stören. Der Milliardär hält seine schützende Hand über den streitbare­n Belichick und dessen Mitarbeite­r, grinst in die Kameras und kriecht zu Kreuze, wenn sein Kompagnon eine rote Linie überschrit­ten hat, wie 2007 bei „Spygate“, als die Patriots die Signale gegnerisch­er Coaches abfilmten. Der 76-jährige Kraft gilt als loyal, sammelt Turnschuhe und packt auch mal Breakdance-Moves aus. Er ist das Muster des coolen Großonkels, der vor vielen Jahrzehnte­n nach Amerika ausgewande­rt ist. Der Star der Familienfe­ier. Er und Belichick könnten kaum unterschie­dlicher sein.

Irgendwo dazwischen ordnet sich der perfekte Schwiegers­ohn Brady ein, unerbittli­che Erfolgsgie­r und gemeinsame Triumphe verbinden das Trio. Sonst – wenig. Vor dem Start der Playoffs sorgte ein Bericht von ESPN für Aufsehen, wonach sich Kraft, Belichick und Brady überworfen hätten. Die Patriots dementiert­en und zogen abermals in den Super Bowl ein. Den „Patriot Way“nennen sie das in Foxborough. Oder wie Ex-Spieler Kevin Faulk sagt: „Es geht nur ums Gewinnen.“

 ??  ?? Bill Belichick (li.) und Tom Brady (re.) sind das erfolgreic­hste Coach-Quarterbac­k-Duo der Footballge­schichte.
Bill Belichick (li.) und Tom Brady (re.) sind das erfolgreic­hste Coach-Quarterbac­k-Duo der Footballge­schichte.
 ??  ?? Nick Foles ist kein Tom Brady, seine Philadephi­a Eagles werden für die Patriots dennoch ein ernstzuneh­mender Gegner sein.
Nick Foles ist kein Tom Brady, seine Philadephi­a Eagles werden für die Patriots dennoch ein ernstzuneh­mender Gegner sein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria