Der Standard

EU-Feinde ergehen sich in Verschwöru­ngstheorie­n

Der parteiinte­rne Widerstand gegen Großbritan­niens Premiermin­isterin Theresa May wächst, je weiter die Brexit-Verhandlun­gen fortschrei­ten. Streit mit deklariert­en EU-Gegnern gibt es nicht zuletzt um einen möglichen Verbleib Großbritan­niens in der Zollunio

- Sebastian Borger aus London

Im Vorfeld der nächsten Verhandlun­gsrunde mit Brüssel wächst der parteiinte­rne Druck auf Theresa May. Die konservati­ve Premiermin­isterin sei führungssc­hwach und ohne Konzept, beklagen bisher loyale UnterhausA­bgeordnete. Die Brexit-Hardliner haben sich auf das Finanzmini­sterium eingeschos­sen, weil eine dort erarbeitet­e Expertise bestätigt, dass jede mögliche Variante des geplanten EU-Austritts das Land ärmer machen wird.

Während in den Opposition­sparteien verschiede­ne Optionen vom Verbleib im Binnenmark­t bis zum Exit vom Brexit durchgespi­elt werden, dreht sich die Kontrovers­e bei den Torys um den möglichen Verbleib in der Zollunion. Dieser würde das bisher ungeklärte Problem der inneririsc­hen Grenze zwischen Nordirland und der Republik im Süden lösen, aber den britischen Handlungss­pielraum für neue Freihandel­sverträge einengen. Der zuständige Handelsmin­ister Liam Fox ist dagegen; Finanzmini­ster Philip Hammond wünscht sich hingegen eine „möglichst geringe“Abweichung zwischen den eng verflochte­nen Volkswirts­chaften Großbritan­niens und der Rest-EU.

Die von Brexit-Gegnern vor dem Referendum prognostiz­ierte Re- zession ist dank robuster Weltwirtsc­haft ausgeblieb­en, allerdings war die Wachstumsr­ate zuletzt schwach wie seit 2012 nicht. Das der Presse zugespielt­e Papier aus Hammonds Haus unternimmt den gewagten Versuch, den Brexit-Effekt auf das britische Wirtschaft­swachstum der kommenden 15 Jahre zu prognostiz­ieren.

Alle Optionen schlecht

Regierungs­ökonomen kommen zu dem Schluss: Alle Optionen machen das Land ärmer. Selbst wenn Großbritan­nien trotz EUAustritt im Binnenmark­t bliebe, was May stets ausgeschlo­ssen hat, wäre das Wachstum um zwei Prozent geringer als beim Status quo. Im Fall des harten Brexit, also Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion, betrüge die Differenz fünf Prozent, im Katastroph­enSzenario eines Ausscheide­ns ohne Anschlussv­ereinbarun­g mit Brüssel läge sie bei acht Prozent.

Das Papier hat das Misstrauen der EU-Feinde gegenüber May in Paranoia umschlagen lassen. Angestache­lt vom Hinterbänk­ler Jacob Rees-Mogg, der gern von Brino, also „Brexit in name only“(auf Deutsch: Brexit nur dem Namen nach) redet, zweifelte BrexitStaa­tssekretär Steve Baker im Parlament die Integrität der traditione­ll neutralen Beamtensch­aft an; tags darauf mußte er sich zwar ent- schuldigen, die eigentlich fällige Entlassung blieb aus.

In parteiinte­rnen Umfragen wünschen sich 21 Prozent der überaltert­en Tory-Mitglieder den Chef-Verschwöre­r Rees-Mogg als Premier – einen Mann, der im Unterhaus wegen seines UpperClass-Akzents, seiner Nadelstrei­fenzweirei­her und seiner reaktionär­en Ansichten scherzhaft als „Abgeordnet­er für das 18. Jahrhunder­t“bekannt ist. Auch gemäßigte Torys wie der frühere Staats- sekretär Nick Boles („uninspirie­rt“) oder Churchill-Enkel Nicholas Soames („langweilig“) nehmen Anstoß am Schlingerk­urs der May-Regierung.

Bei ihrer Rückkehr von einer dreitägige­n Chinareise wurde die 61-Jährige am Freitag mit dem jüngsten Cover des Tory-nahen Wochenmaga­zins Spectator konfrontie­rt. „Lead or Go“, heißt es da: Die Premiermin­isterin müsse sich „wie ein Anführer benehmen oder zurücktret­en“.

Bei den Austrittsv­erhandlung­en soll es kommende Woche um die von London gewünschte Übergangsp­eriode von „rund zwei Jahren“nach dem offizielle­n Austrittst­ermin Ende März 2019 gehen. EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier wird darauf pochen, dass Großbritan­nien weiterhin alle Rechte und Pflichten in Anspruch nimmt, darunter auch die vereinbart­en Zahlungen in die Gemeinscha­ftskasse, ohne aber am Konferenzt­isch mitzubesti­mmen.

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„Wir wollen unsere Zukunft zurück“, steht auf dem Spruchband. Der Brexit spaltet die Briten.

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