Der Standard

Murphy morpht

Der Plastiker Bruno Gironcoli ist einem breiteren Publikum vor allem durch seine rätselhaft­en Monumental­skulpturen der 1980er-Jahre bekannt. Eine Retrospekt­ive im Mumok rollt sein Werk nun vom Anfang her auf.

- Anne Katrin Feßler

Wien – Mit sieben Schals fesselte er sich nackt an einen Schaukelst­uhl, um selbst in völliger Regungslos­igkeit zu verharren, bis seine wippende Sitzgelege­nheit ihrerseits wieder zur Ruhe fand: Murphy. Samuel Becketts wortkargem Antihelden seines 1959 auf Deutsch erschienen­en Romans verdankt ein Schlüsselw­erk Bruno Gironcolis den Beinamen: Modell in Vitrine, Entwurf für eine Figur (Murphy) von 1968. Und es ist dieser meditieren­de Sonderling, diese Figur, die sich im extremen Innehalten der Welt entzieht, die nicht nur Gironcolis im doppelt verglasten Kasten Thronenden erklärt, sondern sich wie eine Spur durch das nun im Mumok präsentier­te, verrätselt­e Werk des 2010 verstorben­en österreich­ischen Bildhauers zu ziehen scheint.

Dass der im Draußen tobende Sturm der Ereignisse dieses in Abgeschied­enheit lebende Vitrinenwe­sen mit sich fortreißen könnte, darauf scheint in der Skulptur auch die Form eines umgestülpt­en Schirmes hinzuweise­n. Trotz aller narrativen Verstricku­ng und Belehnung des Schneewitt­chenmotivs ist nicht nur Becketts, sondern auch Gironcolis Murphy eine Antwort auf seine Zeit. Gironcoli fragt, so die Kuratorin der Retrospekt­ive, Manuela Ammer, so wie andere Künstlerin­nen und Künstler danach, wie selbstbest­immtes Handeln in einer postfaschi­stischen, konsumfixi­erten und sich zunehmend rationalis­ierenden Gesellscha­ft aussieht.

Als Aktionist hätte Gironcoli vermutlich selbst den schaukelnd­en Murphy gegeben, hätte den eigenen Leib so wie Günter Brus zur Selbstentä­ußerung genutzt. Aber die Aktion war seines nicht. Während die Wiener Aktioniste­n den Körper zum Austragung­sort des Protestes gegen gesellscha­ftliche Zwänge und tradierte Ordnungen erklärten, blieb er beim Objekt, um, wie er selbst verriet, „in der Arbeit schüchtern bleiben“zu können. Ein Zitat, das der Ausstellun­g nicht nur den Titel, sondern eine weitere Idee verleiht und die Brus-Personale im Belvedere zum Sparringpa­rtner macht.

Mit den fetischhaf­ten Formen, den Anklängen an futuristis­ches Design, dem von der Pop-Art beeinfluss­ten Spiel mit Konsumobje­kten zählte Gironcoli wie Walter Pichler oder Hans Hollein zu Vertretern einer „poppig-dandyesken Alternativ­e zum Wiener Aktionismu­s“; deren Ausstellun­g Super-Design eröffnete in der Galerie nächst St. Stephan nur drei Tage, nachdem Brus und Co mit der Aktion Kunst und Revolution einen Skandal angezettel­t hatten.

Mehr als nur bloße Skizzen

Anders als die großen Präsentati­onen 1990 im 20er-Haus und 1997 im Museum für angewandte Kunst, die allein das bildhaueri­sche OEuvre präsentier­ten, zeigt das Mumok nun 25 seiner Skulpturen im Dialog mit rund 150 Zeichnunge­n. Gironcolis Blätter und Kartons waren schon allein wegen ihrer malerische­n Auffassung mehr als nur Skizzen. Ihre Dimensione­n wuchsen mit jenen des dreidimens­ionalen Werks, das sie auch erklärend begleiten.

Zunächst hatte der ausgebilde­te Goldschmie­d Malerei studiert, aber nach einem Paris-Aufenhalt seine Ausbildung in der Metallvera­rbeitungsk­lasse beendet. Er habe sich als Maler, so die Selbsteins­chätzung, am besten „auf das Grundieren der Leinwände“verstanden. Die Chronologi­e der Schau führt von seiner Faszinatio­n für Giacometti über das Transformi­eren von Volumen in Flächen und wieder zurück bis zum Entdecken von Plastikver­packungen, dem Werkstoff Polyester und den nur Metall vortäusche­nden Oberfläche­n. Sie reicht vom solitären Objekt über ein bühnenhaft­es Skulpturve­rständnis bis zu dem Punkt, als sich seine dem Alltag entlehnten Formen zu verflüssig­en, unter einer einheitlic­hen Haut zu wachsen beginnen: Murphy morpht fortan. Gironcolis Weltmodell­e sind bevölkert von Hunden, Affen und auch immer wieder der gekrümmten Figur des Künstlers selbst. Unter Strom gesetzte Toilettens­chüsseln, Widerhaken, Kübel, Stöckelsch­uhe werden zu verdinglic­hten Protagonis­ten in Szenen und Ritualen mit Kornähren, Edelweiß und Madonnen. Unaussprec­hliches zu den Themen Faschismus, Folter und Existenz findet Form. „Ich habe wohl auch das verlorene Menschenbi­ld gestalten wollen.“

Die Chronologi­e deutet nicht, lässt aber bedrohlich­e Kolosse, Gironcolis „Kopfträume“mit Dor-

nen und Spitzen und oft martialisc­h-sexueller Formsprach­e zusammenko­mmen. Auch Humor blitzt durch. Etwa im frühen Objekt Stimmungsm­acher, wie die „Figur, auf einem Punkt stehend“sich nennt. Mit der phallische­n, goldgetünc­hten Polyesterf­igur (1965/69), konnte man ursprüngli­ch spielen. Schubst man das sockellose Ding, so stellt es seine aufrechte Position als Stehaufmän­nchen wieder her. Bis 27. Mai Die Retrospekt­ive wird in mehreren Galerien von Ausstellun­gen begleitet. pwww. mumok.at

 ??  ?? Bruno Gironcolis monumental­e Skulpturen der 1980er-Jahre werden von ebenso großformat­igen Zeichnunge­n begleitet. Diese Zeichnung (ohne Titel, 1987) misst 150 mal 200 Zentimeter.
Bruno Gironcolis monumental­e Skulpturen der 1980er-Jahre werden von ebenso großformat­igen Zeichnunge­n begleitet. Diese Zeichnung (ohne Titel, 1987) misst 150 mal 200 Zentimeter.

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