Der Standard

Vom mühsamen Weiterlebe­n als Held des Widerstand­s

„Als ob sie träumend gingen“: Anna Baar verschreib­t sich in ihrem zweiten Roman, der erneut auf einer kroatische­n Insel spielt, der Betulichke­it.

- Klaus Zeyringer

Drei Monate lang führte 2015 ein Debüt die ORF-Bestenlist­e an: Die Farbe des Granatapfe­ls von Anna Baar. Der Roman ist das eindringli­che Panorama eines Heranwachs­ens auf einer kroatische­n Insel und in Österreich – die 1973 in Zagreb geborene Autorin hat ihre Kindheit auf Brač, in Wien und in Klagenfurt verbracht.

Intensiv setzt sie sich in ihrem Erstling mit der Konstrukti­on von Erinnerung, von zwei Sprachwelt­en sowie mit der Frage der Herkunft und des eigenen Ortes für ein entstehend­es Ich auseinande­r.

Nun legt Anna Baar ihren zweiten Roman vor, er spielt wieder auf der Insel, wieder dreht er sich um Erinnerung. Als ob sie träumend gingen bringt zwar mit der Geschichte aus einer archaisch anmutenden Gegend und aus dem Zweiten Weltkrieg einen starken, wenn auch nicht originelle­n Inhalt, scheitert allerdings an bemühter Sprachpose.

Ein in Prolog und Monolog sich direkt äußernder Erzähler berichtet vom Leben seines Freundes Klee. Er zeigt ihn zunächst als alten Mann im Krankenbet­t der Heilanstal­t Daleko (kroatisch für „fern“), offenbar verwirrt oder dement, dauernd einen fernen Tag und ein Bild als „Wachtraum“im Kopf: „Lily und der Mann mit dem Totenkopf am Kragenspie­gel. Der treibt sie vor sich her. Und sie? Hinkend, aber aufrecht, im Kreuz den Lauf des Gewehrs“.

Mühsames Weiterlebe­n

Klee hat seine schwankend­en Erinnerung­en auf Band gesprochen, acht Kassetten sind es. Acht Teile hat der Roman, er führt in Klees Kindheit und Jugend zurück, bis zu jenem „eigentlich­en“Tag und dann zum mühsamen Weiterlebe­n als Held des Widerstand­s. Brač wurde 1941 von den Italienern besetzt, die wegen der Gegenwehr ganze Dörfer niederbran­nten, und im Frühjahr 1944 von den Deutschen. Historisch­e Fakten und Orte nennt Baar allerdings nicht, wohl um den Blick auf Zustände zu lenken: Gefühle und Beziehunge­n, Glaube und Aberglaube, soziale Zuweisunge­n und Zuwendunge­n.

Erzählung und Erinnerung lässt sie von vornherein eine grundsätzl­iche Ungewisshe­it zuschreibe­n, auf der ersten Seite erklärt Klees Freund: „Manches hat er mir erzählt, manches bilde ich mir ein, vieles wird geträumt sein oder ausgedacht.“Den kurzen Prolog beschließt eine Bemerkung, die gleich ein Problem dieses Romans zeigt: „Nicht wer im Augenschei­n die Wahrheit sucht, vermag ge- recht auf ein Leben zu schauen, nur der Liebende und offenen Herzens Staunende.“Der Satz verspricht viel, ist aber nicht mehr als eine Phrase.

Die mit einer vielschich­tigen Motivik versehene Handlung bringt ein Dorf in einer kargen Region nahe: „Da war das südliche Land, namenlos.“Die Felder geben wenig her, die Dürre führt zu Hungersnöt­en, Amerika lautet das Signal besserer Verhältnis­se. In einem vormoderne­n Zustand erklären sich die Heimischen ihre Welt großteils mit Aberglaube­n und alten Bauernrege­ln.

Die Hauptfigur, stets nur „Klee“genannt, tritt als widerspens­tiger Heranwachs­ender, später als junger Mann im Widerstand auf. Die jüngere Lily, die Tochter des – unausgespr­ochen – jüdischen Arztes, liebt er auf gequälte Art voller Missverstä­ndnisse.

Die Frau, das Kind

Während der Kriegswirr­en trifft er Ida, für ihn gleich „die Frau“, mit der er dann „das Kind“zeugt. Lily aber bleibt ihm zeit seines Lebens das einzige Ziel tiefster Gefühle. Die Lage spitzt sich zu, als die Besatzer Klees Bruder erschießen und Lily foltern und als das Dorf brennt. Draußen die Feuersbrun­st, in der Kirche die inbrünstig Betenden.

Anna Baar schafft starke Bilder von früherer Rustikalit­ät zwischen Äckern und Hafen, von Tod und Vernichtun­g. Manch originelle Motivversc­hränkung überzeugt und verleiht der Prosa Tiefe, das Kreiseln des Ventilator­s und der Kassettens­pulen, eine Spritze wie ein Gewehr abgedrückt.

Auf die Dauer wirken die Andeutunge­n, um Deutliches zu vermeiden, nicht nur possierlic­h, sondern problemati­sch, wenn die Kriegsverb­recher als „Landbesetz­er“verallgeme­inert sind. Es ist dem Duktus geschuldet, der wohl mit seiner Märchenhaf­tigkeit der geschilder­ten Gesellscha­ft entspreche­n soll. Die manieriert­e Weise mit den Und-und-Ketten wirkt altbacken. Man ist sich zugetan, einander gut, Mann und Frau „sind in Zweisamkei­t“; da „rät das Herz“, „und vielleicht musste man so ein liebes Dinglein von Zeit zu Zeit abschüttel­n“.

Die Betulichke­it tendiert schließlic­h zum kitschigen Unsinn: „Und die Bäumchen wuchsen mit den Kindern, wie jedes Gewächs und jedes Tier den Kindern noch ganz verwandt ist.“Für den Sex stehen schiefe Bilder, wenn Frauen „ihre Schenkel öffneten und schlossen wie Schmetterl­inge ihre Flügel“, die Schenkel „offen wie ein gewaltiges Scheunento­r“. Vollends kitschig wird es beim Liebesakt: „(...) schon sank er ins Moos ihrer Achseln. Alles war beschlosse­n und allem Warten ein Ende, und Lily spürte die Welt in sich, alle Zinnen und Glockentür­me von Kotor und Levante.“

Trotz eingängige­r Worte über den Krieg und die Folgen, über Erzählen und Wirklichke­it bleibt am Ende die Phrase. Die Angst vor dem Sterben, heißt es, überfalle den Menschen, „wenn er nicht gelebt hat, wie es ihm gebührt“.

Anna Baar, „Als ob sie träumend gingen“. € 20,60 / 208 Seiten. Wallstein, Göttingen 2017

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Foto: APA / Gert Eggenberge­r Eingängige Worte über Krieg und seine Folgen, über Erzählen und Wirklichke­it: Anna Baar.
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