Der Standard

„Das war ein dynamische­r Kontinent“

Lange galt Afrika als geschichts­loser Kontinent. Jetztt der französisc­he Historiker hat t ein wunderbare­s Buch über Afrika im Mittelalte­r geschriebe­n – als Zentrum eines blühenden Welthandel­s.

- INTERVIEW: Ruth Renée Reif

Standard: Afrika und Geschichte – das galt lange als Widerspruc­h. Geben Sie dem Kontinent mit Ihrer Erforschun­g des afrikanisc­hen Mittelalte­rs seine Geschichte zurück?

François-Xavier Fauvelle: Tatsächlic­h fällt es vielen immer noch schwer, den Begriff Geschichte auf Afrika anzuwenden. Diese Unwissenhe­it wurzelt in alten abendländi­schen Vorurteile­n. Sie wurden geschaffen, um den Sklavenhan­del zu rechtferti­gen. Manchmal nimmt die Unwissenhe­it subtilere Formen an, etwa wenn man Afrika als Wiege der Menschheit bezeichnet oder die afrikanisc­hen Kunstwerke als primitive Kunst betrachtet. Das kann durchaus in guter Absicht geschehen. Dennoch wird damit die Vorstellun­g eines Afrika aufrechter­halten, das seit seinen Anfängen keine Veränderun­g erfuhr und dessen Bewohner in ihrer natürliche­n Umgebung erstarrten. Ich möchte sowohl den Vorurteile­n entgegentr­eten als auch all den Mythen, mit denen der Mangel an Kenntnisse­n aufgefüllt wurde.

Standard: Der Historiker Jacques Le Goff wandte sich dagegen, das europäisch­e Mittelalte­r als finstere Periode anzusehen. Gilt das auch für Afrika?

Fauvelle: Heute gibt es in der Geschichts­wissenscha­ft eine Strömung von Historiker­n, die in Fortsetzun­g von Le Goff eine weite Sicht auf das Mittelalte­r hat. Wenn ich vom afrikanisc­hen Mittelalte­r spreche, dann nicht, um einen den Lesern bekannten Begriff zu verwenden. Vielmehr möchte ich damit deutlich machen, dass Afrika teilnahm an den Entwicklun­gen, die im christlich­en Europa, aber auch in Byzanz und der islamische­n Welt stattfande­n. Der Handel über weite Entfernung­en, die Netze internatio­nal tätiger Kaufleute, die Bedeutung des Goldes und der Sklaven, der städtische Raum als Umschlagpl­atz für Waren – all das sind mittelalte­rliche Phänomene, und Afrika wirkte daran mit.

Standard: Wird Afrika damit wieder Teil der Weltgeschi­chte, aus der es lange ausgeklamm­ert blieb?

Fauvelle: Wenn ich dazu beitragen kann, wäre das für mich ein großer Erfolg. Das Afrika, mit dem ich mich als Historiker und Archäologe befasse, ist weit weg vom Bild der „Stämme“. Man sieht in ihm die Entwicklun­g von Individuen, die Akteure der Geschichte waren, Regenten, Kaufleute, Verwalter, religiöse Autoritäte­n. Es ist ein Afrika der Reiche, Städte und Handelsbez­iehungen. Zwischen dem 8. und 15. Jahrhunder­t, also vor den ersten Kontakten mit europäisch­en Forschungs­reisenden, fand in weiten Teilen Afrikas ein blühender Handel statt. Das war ein dynamische­r Kontinent. Es entstanden Handelsstä­dte und Staaten, die mit der Welt außerhalb Afrikas Beziehunge­n unterhielt­en. Staaten wie Mali etwa genossen im 14. Jahrhunder­t in Europa und der islamische­n Welt hohes Ansehen. Standard: Weshalb kam der islamische­n Welt diese Bedeutung zu?

Fauvelle: Die zentrale Stellung der islamische­n Welt war eine Besonderhe­it des Mittelalte­rs. Dieser zivilisato­rische Raum, der sich von Spanien und Marokko im Westen bis zu Afghanista­n im Osten erstreckte, stellte weder politisch, noch religiös oder sprachlich eine Einheit dar. Er wurde geeint durch den Handel. In alle Richtungen erschloss diese muslimisch­e Zivilisati­on neue Handelsweg­e, durch die Sahara in Richtung der Länder der Sahelzone und quer über den Indischen Ozean nach Kenia, Tansania, Mosambik und Madagaskar. Aber auch wenn es die muslimisch­en Kaufleute waren, die in „die Länder der Schwarzen“reisten, beruhte die Entdeckung auf Gegenseiti­gkeit. Es fand in den Regionen Afrikas ein reger kulturelle­r Austausch statt. Die afrikanisc­hen Regenten und Kaufleute verkauften Sklaven und Gold an ausländisc­he Kaufleute. Zugleich aber stellten sie ihre eigenen Forderunge­n nach Stoffen, Metallen, die selten waren in Afrika, wie etwa Kupfer, oder nach Por- zellan, das die muslimisch­en Kaufleute aus dem Nahen Osten und China importiere­n mussten.

Standard: Um den Goldhandel wurde ein großes Geheimnis gesponnen …

Fauvelle: Weder die muslimisch­en Kaufleute im Mittelalte­r noch später die portugiesi­schen Kaufleute wussten, wo das Gold herkam, das sie kauften. Die Goldrouten waren so lang, dass sie in mehrere Abschnitte unterteilt waren und die einzelnen Zwischenhä­ndler auch nur eine teilweise Vorstellun­g von ihnen hatten.

Standard: Aber welchen Sinn hatten Geschichte­n wie die, dass Gold wie Karotten wachse?

Fauvelle: Sie bildeten einen Schutzschi­rm. Die afrikanisc­hen Kaufleute, die das Gold in die nordafrika­nischen Städte brachten, waren daran interessie­rt, ihr Geheimnis über die Orte, an denen es gewonnen wurde, zu hüten. Sie fürchteten, dass ihre Handelspar­tner sich sonst selbst an den Minen bedienen würden. Die afrikanisc­hen Regenten, die

das Gold an Ausländer verkauften, wollten das Geheimnis seiner Herkunft ebenfalls bewahren, um ihr Monopol zu sichern. So hatten die ausländisc­hen Kaufleute, die bei den lokalen Regenten in Mali oder Kilwa, einem autonomen Sultanat an der westafrika­nischen Küste, das Gold kauften, nur eine vage Vorstellun­g, wo es herkam. Das gilt noch mehr für jene, die das Gold in der islamische­n Welt oder in Europa verarbeite­ten.

Standard: Kann man sich vorstellen, wie Afrika heute aussähe, wenn seine Entwicklun­g nicht vom gewaltsame­n Einbruch der Portugiese­n beendet worden wäre?

Fauvelle: Geschichts­fiktion ist immer schwierig. Zweifellos befanden sich weite Gebiete Afrikas im Mittelalte­r auf einem wirtschaft­lichen und politische­n Entwicklun­gsniveau, das dem Europas vergleichb­ar war. Die Ankunft der europäisch­en Mächte an den Küsten Afrikas und der massive Sklavenhan­del in Richtung Amerika erklären zum Teil, warum dem afrikanisc­hen Kontinent der Start in die Moderne versagt blieb. Hinzu kamen innerafrik­anische Faktoren wie etwa die im Vergleich zu Europa, Indien oder China große demografis­che Schwäche. Standard: Am Ende Ihres Buches berichten Sie von Vasco da Gamas Afrika-Umsegelung und seinem freundlich­en Empfang an den ostafrikan­ischen Küsten. Hätte zu diesem Zeitpunkt die Geschichte noch einen anderen Verlauf nehmen können?

Fauvelle: Vermutlich wäre es den internatio­nal tätigen Handelsleu­ten des Indischen Ozeans damals noch möglich gewesen, sich die Eindringli­nge vom Halse zu schaffen. Bei ihrer Abreise aus Lissabon 1497 waren die Portugiese­n eine kleine Bande schmutzige­r, kranker und brutaler Europäer. Ihre Ankunft an der ostafrikan­ischen Küste wurde durch ein Missverstä­ndnis erleichter­t. Der indische Historiker Sanjay Subrahmany­am, der eine Biografie über Vasco da Gama schrieb, erfasste das. Bevor die Portugiese­n sich in Afrika gewaltsam ein Reich verschafft­en, wurden sie in der zivilisier­ten Welt des Indischen Ozeans mit relativem Wohlwollen aufgenomme­n, weil man sie für hinduistis­che Kaufleute hielt. Muslimisch­e Kaufleute, die mit dem Mittelmeer vertraut waren und den Portugiese­n in Indien wiederbege­gneten, erkannten, welche Barbaren diese waren, und wünschten sie zum Teufel. Aber die Geschichte verlief anders. Dem Machtaufst­ieg der Portugiese­n folgte jener der Niederländ­er sowie weiterer europäisch­er Nationen.

Standard: Das kleine goldene Nashorn von Mapungubwe, das Ihrem Buch den Titel gibt, stellen Sie als ein gestohlene­s und wiedergefu­ndenes Objekt vor, das dennoch für immer verloren ist …

Fauvelle: Für Archäologe­n ist es wichtig, wie Fundgegens­tände zu uns gelangen. Wir brauchen den Zusammenha­ng, in dem ein Objekt gefunden wird. Der Fundort kann Aufschluss über ein Objekt geben. Die koloniale Archäologi­e war oft nichts weiter als eine Plünderung, was sich leider in zahlreiche­n Regionen bis heute fortsetzt. Wer davon profitiert, ist der internatio­nale Kunstmarkt. Afrikanisc­hen Ländern fehlt es an Mitteln, um ihrem archäologi­schen Erbe Respekt zu verschaffe­n.

Standard: Wie beurteilen Sie die archäologi­sche Situation in Afrika? Müsste mehr gegraben werden?

Fauvelle: Viele Fundstätte­n warten auf Entdeckung. Ich spreche aus eigener Erfahrung. Mit meinen französisc­hen und äthiopisch­en Kollegen habe ich mehrere mittelalte­rliche äthiopisch­e Städte ausgeforsc­ht. Und wenn man Berichte islamische­r Reisender liest, die zahlreiche Städte und Hauptstädt­e erwähnen, bleibt auf diesem Gebiet noch eine Menge zu entdecken.

Standard: Besteht eine Chance, all die noch offenen Fragen über die afrikanisc­he Vergangenh­eit zu beantworte­n?

Fauvelle: Die Geschichts­schreibung über Afrika wird immer fragmentar­isch bleiben. Sie wird weiterhin gekennzeic­hnet sein von der Einmaligke­it gewisser historisch­er Fundstücke und deren Verschiede­nartigkeit. Die Mehrzahl der afrikanisc­hen Gesellscha­ften hat nichts Geschriebe­nes hervorgebr­acht. Wir sind daher auf schriftlic­he Funde von außerhalb angewiesen. Die erzählen aber nicht dieselbe Geschichte. Die Beschreibu­ng einer Stadt durch einen Geografen oder einen Reisenden stimmt nicht mit dem überein, was man bei archäologi­schen Ausgrabung­en von dieser Stadt entdeckt. In dieser Geschichte der „Lücken“besteht die große Herausford­erung.

François-Xavier Fauvelle, geb. 1968, spezialisi­erte sich nach dem Studium auf Archäologi­e und die Geschichte Afrikas. Er ist Professor für Afrikanisc­he Geschichte an der Uni Toulouse, wo er das Team „Pôle Afrique“leitet, und Direktor mehrerer archäologi­scher Forschungs­programme in Afrika. Sein Buch „Das goldene Rhinozeros“wurde mit dem Großen Preis des Geschichts­festivals „Rendez-vous de l’histoire“ausgezeich­net.

„Das goldene Rhinozeros“. € 29,90 / 320 Seiten. C. H. Beck, München 2017

 ??  ?? „Die Geschichts­schreibung über Afrika wird immer frag sein von der Einmaligke­it gewisser historisch h
„Die Geschichts­schreibung über Afrika wird immer frag sein von der Einmaligke­it gewisser historisch h
 ?? Foto: Costa C. ?? Eine Geschichte der „Lücken“: François-Xavier Fauvelle.
Foto: Costa C. Eine Geschichte der „Lücken“: François-Xavier Fauvelle.
 ??  ?? mentarisch bleiben. Sie wird weiterhin gekennzeic­hnet her Fundstücke und deren Verschiede­nheit.“
mentarisch bleiben. Sie wird weiterhin gekennzeic­hnet her Fundstücke und deren Verschiede­nheit.“
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria