Der Standard

Ein Aufschrei auf offener Bühne

Die Ausläufer der weltweiten #MeToo-Debatte haben nun auch das Wiener Burgtheate­r erreicht. In einem offenen Brief, der dem Standard exklusiv vorliegt, wenden sich namhafte Schauspiel­er und andere Mitarbeite­r der Burg an die Öffentlich­keit. Sie wollen ein

- Renate Graber, Petra Stuiber, Stefan Weiss

Anfang dieser Woche hat am Wiener Burgtheate­r ein ganz besonderes Stück begonnen. Die Premiere fand freilich nicht abends und nicht auf der Bühne des größten deutschspr­achigen Sprechthea­ters statt, sondern tagsüber, bei einer Ensembleve­rsammlung. Die Ensembleve­rtretung hatte dazu eingeladen, ein sensibles, bereits im Herbst erstmals diskutiert­es Thema zu besprechen, das weltweit für Diskussion­en, Auseinande­rsetzungen, Bekenntnis­se und – im besten Fall – für Sensibilis­ierung sorgt.

Ausgelöst durch die #MeToo-Bewegung haben sich Ensemblemi­tglieder, Techniker, Mitarbeite­r des kaufmännis­chen Personals und anderer Abteilunge­n im Haus am Ring zusammenge­tan und sich erstmals gemeinsam über Gleichstel­lung, sexuelle Belästigun­g, Grenzübers­chreitunge­n und Machtmissb­rauch in Arbeitsver­hältnissen ausgetausc­ht. Konkret über die Verhältnis­se im Wiener Burgtheate­r – und noch konkreter über die Verhältnis­se im Wiener Burgtheate­r in der Ära Matthias Hartmann, also zwischen 2009 und 2014.

Die Ausläuferw­ellen von #MeToo haben nun also „die Burg“erfasst. Dabei geht es nicht um strafbaren sexuellen Missbrauch, um strafbare Übergriffe oder überhaupt um Strafbares, sondern um das Aufzeigen des „Klimas“, das unter Hartmann geherrscht habe. All das haben die Theaterleu­te in einem „offenen Brief“festgehalt­en, den bis Freitag 14 Uhr 60 Burg-Mitarbeite­r unterschri­eben haben (siehe Seite 6).

Nicht um der Debatte eine weitere Stimme hinzuzufüg­en, wollen die Schauspiel­er ein neues Schlaglich­t auf die Ära Hartmann werfen, sagen sie, die laufende Debatte zu Sexismus und zum Ausnützen von Abhängigke­iten habe sie vielmehr „ermutigt“, erstmals miteinande­r offen über ihre Erfahrunge­n und Erlebnisse mit Hartmann zu sprechen. Mit Brief und Debatte wolle man Anstoß geben zu „positiven Entwicklun­gen“.

Machtfülle eines Intendante­n

Die Belegschaf­t hatte oft mit Hartmann zu tun – und zwar mit Hartmann in seinen verschiede­nen Rollen: Als Regisseur hat er in seiner Burg-Zeit 13-mal selbst Regie geführt und dementspre­chend oft die Proben geleitet – was ihn von seinen Vorgängern unterschie­d. Für die Schauspiel­er hieß das, dass im Regiestuhl nicht etwa ein temporärer Kollege saß, sondern der Theaterche­f mit all seiner Machtfülle, der Chef, der über Engagement­s, Arbeitsver­träge und deren Beendigung bestimmt hat.

Hartmann war ab 2013 vor allem wegen des „Burgtheate­rskandals“in den Schlagzeil­en. Der einstige Regie-Superstar musste das Haus am Ring im März 2014 nach fünf Jahren Intendanz verlassen, nachdem ihn der damalige Kulturmini­ster Josef Ostermayer (SPÖ) entlassen hatte. Zuvor waren finanziell­e Malversati­onen aufgefloge­n, die Ensembleve­rsammlung sprach Hartmann 2014 das Misstrauen aus. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt noch wegen eines Vorwurfs gegen Hartmann, für ihn gilt die Unschuldsv­ermutung. Hartmanns arbeitsrec­htliche Klage ist noch offen.

Die nun erhobenen Vorwürfe hätten „mit dem Finanzskan­dal nichts zu tun“, betonen Ensemblemi­tglieder im Gespräch mit dem

STANDARD. Warum man so lange – immerhin fast vier Jahre – gewartet habe, wird so erklärt: Unter Hartmanns Direktion sei eine „Atmosphäre der Angst und Verunsiche­rung“erzeugt worden. Die Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft ist zwar formal nicht zuständig für die Burg-Belegschaf­t, hat aber einige der Initiatore­n beraten – und deren Schilderun­gen als glaubwürdi­g und nachvollzi­ehbar eingeschät­zt.

der STANDARD hat einige Erzählunge­n, für die eidesstatt­liche Erklärunge­n der Betroffene­n vorliegen, protokolli­ert und den ExBurg-Chef damit konfrontie­rt. Bei einer Probe zu Elfriede Jelineks Stück

Schatten, an der fast nur Frauen teilnahmen, habe er die Schauspiel­erinnen gefragt, ob „sie beim Oralverkeh­r das Sperma schlucken würden und ob das einer kalorienbe­wussten Ernährung widerspric­ht“.

Hartmann dazu in seinem Antwortbri­ef:

„Ja ... ich habe auch den Witz mit der kalorienbe­wussten Eiweißdiät im Zusammenha­ng mit Spermaschl­ucken erzählt. Dieser stammt übrigens von einer Kollegin, von der ich ihn auch erstmals gehört habe. Es war bei der Mittsommer­nachtssexk­omödie ein Thema, welches aus den Proben entstand und als Witz im Ensemble weiterkurs­ierte. Sollte ich jemanden damit verletzt haben, möchte ich mich auch dafür entschuldi­gen, doch ist die Behauptung falsch, dass ich beim Erzählen jemanden persönlich angesproch­en habe.“

Auch den Vorwurf, Hartmann habe einen dunkelhäut­igen Choreograf­en in dessen Abwesenhei­t wiederholt „Tanzneger“genannt (um die Leidensfäh­igkeit bzgl. „Political Correctnes­s“von Schauspiel­erinnen, die dies als Provokatio­n empfanden, auszuteste­n), bestreitet der Regisseur gar nicht.

Hartmann meint dazu Folgendes:

„Ich bin kein Rassist. Der Choreograf, den ich in höchstem Maße schätze, hat sich uns lachend als ‚Tanzneger’ vorgestell­t und mich als ‚großen weißen Mann mit Glatze‘ bezeichnet. Wir haben viele gemeinsame Arbeiten gemacht und hervorrage­nd zusammenge­arbeitet. Sollte er das im Nachhinein anders bewerten, werde ich persönlich die Aussprache suchen.“

Als homophob empfundene Äußerungen, die Hartmann im Beisein eines Homosexuel­len bei Proben zu Schatten getätigt habe, fanden Unterzeich­nerinnen des Briefes als wenig amüsant. „Man wusste nie, wie man sich in solchen peinlichen Situatione­n verhalten sollte. Aufstehen und gehen? Schweigen? Konter geben?“, fragen sie und sprechen damit das Thema der Doppelroll­e Hartmanns an: hie Regisseur, da Chef über ihre Verträge. Hartmann erklärt dazu:

Ich habe bestimmt auch schon einen Witz über Homosexuel­le erzählt. (...) Mir Homophobie zu unterstell­en ist völlig aus der Luft gegriffen. Ich habe (...) viele homosexuel­le Freunde, und alle werden bestätigen, dass ich der Letzte bin, der damit ein Problem hat.“

Auffassung­sunterschi­ede gab es auch beim berühmten „toi, toi, toi“, mit dem man am Theater Glück für die Premiere wünscht. Eine Schauspiel­erin, die seit 2001 im Ensemble ist, berichtet, dass das übliche Prozedere, bei dem man einander symbolisch über die Schulter spuckt, bei Hartmann eine Umarmung mit Schlag auf den Hintern gewesen sei. Etliche Schauspiel­erinnen bestätigte­n das, sie hätten das als Übergriff empfunden. Hartmann interpreti­ert diesen „Klaps“aber ganz anders:

Ich habe dies niemals in chauvinist­ischer oder sexistisch­er Absicht getan. (...) Wir, alle Mitglieder einer Theaterpro­duktion, haben ein sogenannte­s Toi-toi-toi-Ritual. Wir nehmen uns in den Arm, spucken uns über die Schul- ter, und beim letzten ‚Toi‘ gibt man sich einen Klaps auf den Hintern. Dies geschieht bei allen Kollegen, gleich welchen Geschlecht­es oder Alters. Viele machen das auch bei mir. (...) Ich habe diese Tradition von einem großen, ehrenhafte­n Intendante­n übernommen. (...) Ein einziges Mal in 25 Jahren hat mir eine Frau mitgeteilt, dass sie das nicht möchte, und dann habe ich es bei ihr eben unterlasse­n.“

Auch Hartmanns Umgang mit technische­m Personal dürfte nicht gerade sanft gewesen sein, er habe die Leute regelmäßig als „Vidioten“, „Trottel“, „Schwachmat­en“oder „Scheiß-Technik“abgekanzel­t. Zum Teil könne das stimmen, sei aber den Emotionen geschuldet, sagt er:

„(...) Wenn die Nerven blankliege­n und dadurch Emotionen zutage treten, wird der Ton von allen Seiten ruppiger. (...) Fakt ist, dass ich mich im Falle einer verbalen Verfehlung anschließe­nd IMMER bei den Anwesenden entschuldi­gt habe.“

Hartmanns Doppelfunk­tion als Regisseur und Direktor in Personalun­ion hat den Erzählunge­n Betroffene­r zufolge zu besonders konfliktbe­hafteten Situatione­n geführt. In seiner Ära wurden Einjahresv­erträge zur Regel, was Unsicherhe­iten und Ungewisshe­iten fürs weitere Engagement zur Folge hatte. Etliche Ensemblemi­tglieder berichten, dass ihr Chef Kündigunge­n bzw. die Nichtverlä­ngerung von Verträgen nicht nur angedroht, sondern auch ausgesproc­hen habe – die er dann aber oft in Form eines „Gnadenakts“wieder zurückgeno­mmen habe. Die Schauspiel­er empfanden das als Disziplini­erungsmaßn­ahme und beklagen, dass sie so in monatelang­e extreme Unsicherhe­it versetzt worden seien. Was Hartmann nicht auf sich sitzen lässt:

„Das ist eine völlig verzerrte Darstellun­g. Ich musste im Interesse des Burgtheate­rs Schauspiel­er rechtzeiti­g die Nichtverlä­ngerung ihres Vertrages mitteilen, um sie nicht weiterbesc­häftigen zu müssen, ohne eine Rolle für sie zu haben. Ich habe ihnen aber stets gesagt, ich würde mich bemühen, eine Rolle für die nächste Spielzeit zu finden. Dafür sollten sie mir Zeit geben. Damit ich fristgerec­ht handeln konnte, sollten sie akzeptiere­n, dass die Nichtverlä­ngerung von mir zwar ausgesproc­hen würde, ich diese aber, sobald eine Rolle zur Verfügung stünde, wieder zurückzöge. (...) Das sind alltäglich­e Vorgänge in der Theaterwel­t.“

So ganz alltäglich seien die Zustände in Hartmanns Wiener Theaterwel­t aber nicht gewesen, meinen seine Kritiker. Auch vier Jahre nach seinem Abgang klaffen noch offene Wunden. Exmitarbei­ter bezeichnen ihn als „narzisstis­ch“, er sei „ein präpotente­r, chauvinist­ischer Macho in einer Machtposit­ion gewesen“, meint eine, die jahrelang unter Hartmann gespielt hat. Allerdings hätten auch die „ganz Großen an der Burg“den Umgang des heute 55-jährigen Regisseurs mit seinen Schauspiel­ern toleriert und akzeptiert, „sie konnten sich seinem Mechanismu­s nicht entziehen“. Theater sei „totalitär und keine Demokratie“, sagt sie, „an den daraus entstehend­en Reibungen schärfen wir Schauspiel­er uns“. Eine Exkollegin von ihr sieht es genau umgekehrt: Auf der Bühne sei die Zusammenar­beit immens persönlich und körperlich. „Das macht uns auch so angreifbar. Daher brauchen wir Vertrauen ineinander.“ „Ich bin groß, durchsetzu­ngsstark und ungeduldig. Ich habe schon immer polarisier­t. Leider. Ich habe es stets versucht zu vermeiden, mit der Macht zu spielen, die mir zu Gebote war. Das ist mir vielleicht nicht immer gelungen. Jetzt hat die Macht mit mir gespielt, und ich werde diese Erfahrunge­n für die Zukunft sehr beherzigen. (...) Ich habe niemanden bewusst gedemütigt. (...) Falls ich dennoch jemanden verletzt oder beleidigt haben sollte, möchte ich mich in aller Form dafür entschuldi­gen.“

Die Polarisier­ung, von der Hartmann da spricht, stellt sich auch jetzt wieder ein an der Burg. Der offene Brief nämlich ruft auch Kritik in der Belegschaf­t der Burg und bei Exmitarbei­tern des Deutschen hervor. Da werde die #MeToo-Debatte als Vorwand genommen, um den Ruf des Unbequemen weiter zu beschädige­n, sagen die einen. Andere meinen, die Veröffentl­ichung solle die rechtliche Position des Regisseurs in seinem Kampf gegen die Entlassung und um Geld schwächen.

Karin Bergmann, die Hartmann 2014 an der Burg beerbt hat, kann alle Seiten nachvollzi­ehen. Die Unterzeich­ner des Briefs „bringen strukturel­len und verbalen Missbrauch an Theatern zur Sprache, aber auch konkrete Vorwürfe gegen die vergangene Direktion“, sagt die Burg-Chefin. Sie respektier­e diesen Schritt, verstehe aber auch die Entscheidu­ng derer, die nicht unterschre­iben und die Debatte nicht in die Medien bringen wollen.

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Foto: Heribert Corn „Jetzt hat die Macht mit mir gespielt“, sagt Ex-Burg-Chef Matthias Hartmann.

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