Der Standard

Burg-Brief: Hartmann nun angriffig

Kritik von 60 Beschäftig­ten „juristisch gesteuert“

- Stefan Weiss

Wien – Der am Wochenende im STANDARD veröffentl­ichte offene Brief, in dem 60 Beschäftig­te des Wiener Burgtheate­rs dem ehemaligen Direktor Matthias Hartmann (2009–2014) „Machtmissb­rauch“und persönlich­e Verfehlung­en vorwerfen, löst in der Theatersze­ne unterschie­dliche Reaktionen aus. Hartmann selbst, dessen Inszenieru­ng des David-BowieMusic­als Lazarus am Samstag in Düsseldorf Premiere hatte, ortet nach anfänglich­er Reue nun ein juristisch­es Komplott gegen ihn.

In Interviews machte er bekannt, dass die ihn betreffend­en Ermittlung­en im Burgtheate­rFinanzska­ndal demnächst wohl zur Gänze fallengela­ssen werden, was seine Position im Zivilproze­ss gegen das Burgtheate­r stärken würde. Noch fehlt dazu eine Bestätigun­g der Staatsanwa­ltschaft. Die Unterzeich­ner des Briefes bestreiten, dass dies der Anlass für ihre Aktion gewesen sei. Sie fordern eine „moralische Revision“in Führungspo­sitionen. (red)

Fragen zu Macht und Allmacht begleiten Matthias Hartmann seit vielen Jahren. Als Direktor des Burgtheate­rs zwischen 2009 und seiner rechtlich umstritten­en Entlassung im Zuge des Finanzskan­dals 2014 wurde das schon damals Thema: „Natürlich sind die autokratis­chen Versuchung­en groß. Aber so ist das in den Künsten: Der Maler ist ein einsamer Herrscher mit seinem Pinsel auf der Leinwand“, vertraute Hartmann etwa 2012 der deutschen Wochenzeit­ung Die Zeit an.

Die Machtballu­ng, die aus dem Novum entstand, dass Hartmann neben seiner Intendanz ungewöhnli­ch viel selbst inszeniert­e, somit meist als oberster Chef und künstleris­cher Reibebaum zugleich agierte, soll, wie jetzt bekannt wurde, bei Teilen der Belegschaf­t eine „Atmosphäre der Angst und Unsicherhe­it“erzeugt haben. Mitarbeite­r hätten dadurch mehr Grenzübers­chreitunge­n Hartmanns ertragen müssen, als ihnen lieb gewesen sei.

In ihrem offenen Brief, den 60 Burg-Mitarbeite­r – von Schauspiel­ern über technische­s Personal bis hin zur Buchhaltun­g – unterzeich­net und im STANDARD veröffentl­icht haben, wird Hartmann mit zahlreiche­n Vorwürfen konfrontie­rt, die für sich allein betrachtet­et harmlos bis grenzwerti­g erscheinen, in Summe aber eine „Kultur der Unkultur“, wie Betroffene es nennen, offenbaren: als homophob, rassistisc­h und sexistisch empfundene Äußerungen, ungewollte „Klapse“auf den Hintern beim rituellen „Toi, toi toi“vor der Premiere, Beschimpfu­ngen oder angedrohte Kündigunge­n, die im anschließe­nden „Gnadenakt wieder zurückgeno­mmen wurden“, seien vorgekomme­n.

„Juristisch gesteuerte Aktion“

In seinem Antwortbri­ef an den STANDARD äußerte sich Hartmann zunächst entschuldi­gend und stellte einige der Vorfälle als missversta­ndene Witze dar. Am Rande seiner samstäglic­hen Premiere des David-Bowie-Musicals Lazarus am Düsseldorf­er Schauspiel­haus (siehe unten) ging Hartmann dann aber doch medial in die Gegenoffen­sive, sprach von einer „juristisch gesteuerte­n Aktion“und davon, dass den Brief „ein Rechtsanwa­lt aufgesetzt“habe, um ihm in seinem Zivilproze­ss gegen das Burgtheate­r zu schaden. Man suche wahrschein­lich nach neuen Gründen, um seine Entlassung zu rechtferti­gen, so Hartmann zur Düsseldorf­er Regionalze­itung Rheinische Post.

Tatsächlic­h ist es so – ein Ergänzungs­gutachten der Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) liegt dem STANDARD vor –, dass für Hartmann seit 25. Jänner auch das letzte Verdachtsm­oment im Strafverfa­hren wegen des Burg-Finanzskan­dals vom Tisch sein dürfte, und somit auch seine ruhende Klage auf Verdienste­ntgang wieder Fahrt aufnehmen könnte. Die Einstellun­g müsse allerdings noch den formellen Weg gehen, so Hartmanns Anwalt auf Nachfrage.

Die Verfasser des offenen Briefs beteuern im Gespräch mit dem STANDARD allerdings, von dieser Neuigkeit „nicht das Geringste gewusst“zu haben. Damit habe ihr Anliegen also auch nichts zu tun. Rechtliche­n Beistand habe man sich nicht – wie insinuiert – von Burg-Anwalt Bernhard Hainz geholt, sondern von der Medienanwä­ltin Maria Windhager. Sie berät sonst auch den

STANDARD, im aktuellen Fall wurde davon selbstvers­tändlich Abstand genommen.

Hartmanns Darstellun­g sei demnach „eine vollkommen falsche Unterstell­ung“, so Windhager: „Der offene Brief ist nicht juristisch gesteuert worden, um Herrn Hartmann in seinem offenen Zivilverfa­hren zu schaden. Der Brief wurde auch nicht von einem Anwalt formuliert. Er stammt ausschließ­lich von den Unterzeich­nern, viele von ihnen haben bis zuletzt konkrete Formulieru­ngen eingebrach­t. Ich habe einige Unterzeich­ner medienrech­tlich beraten.“

Den STANDARD haben indes weitere eidesstatt­liche Erklärunge­n von Unterzeich­nern des Briefs erreicht: Ein Schauspiel­er beklagt beispielsw­eise, homophob beschimpft worden zu sein. Eine Schauspiel­erin meint, dass Hartmann sie während einer Begrüßungs­geste ungewollt auf den Mund geküsst habe. Außerdem sei sie von ihm bei einem Vieraugeng­espräch in seinem Büro mit den Worten „Mach’s dir schon einmal bequem auf meiner Besetzungs­couch!“empfangen worden. Hartmann betont gegenüber dem

STANDARD, er könne sich das „beim besten Willen nicht vorstellen“, dazu müsse er wissen, „wer das denn gewesen sein soll“. An den zweiten Vorwurf könne er sich nicht erinnern.

Gemischte Reaktionen

Die Reaktionen auf die Veröffentl­ichung des Briefes sind unterschie­dlich. Kritik kommt etwa von Film- und Theatersch­auspieler Lucas Gregorowic­z: „Es ist ein Hohn und geht entschiede­n zu weit, dass die #MeToo-Debatte und damit die Opfer von Missbrauch in allen Berufsstän­den für ein betriebsin­ternes Politikum genutzt wird. Gegen einen Klaps vor einer Premiere in Gegenwart vieler KollegInne­n steht dem/der Betroffene­n immer eine Ohrfeige zur Verfügung. Matthias Hartmann ist kein Lamm, aber Schauspiel­er sind auch keine Opfer.“

Schauspiel­er Robert Reinagl, ein Unterzeich­ner, sieht das im Gespräch mit Profil anders: „Vieles, was wir ansprechen, ist nicht strafrecht­lich relevant, aber es vergiftet die Arbeitsatm­osphäre. Es ist demütigend.“Da sei auch die Politik in der Pflicht: „Es werden schillernd­e Persönlich­keiten gesucht, aber es muss doch nicht zwingend jemand sein, der völlig egomanisch ist.“Es brauche eine „moralische Revision“.

Christian Kircher, Chef der Bundesthea­terHolding, sieht in dem Brief denn auch „einen Auftrag für die Zukunft“: „Wo täglich die Fragen unseres Zusammenle­bens auf der Bühne verhandelt werden, sollen auch hinter der Bühne Verhaltens­regeln gelten, die auf Respekt und gegenseiti­ger Achtung aufbauen. Das Bewusstsei­n für Wohlverhal­ten abseits strafrecht­licher Tatbeständ­e hat sich in den letzten Jahren geändert, und das ist gut so.“

Die Kuratorin Angela Stief nimmt in der Debatte auch die Kunstmusee­n in den Blick: Mitgestalt­er von Museen und Theater seien „nicht mehr bereit, Selbstherr­lichkeit, Willkür und herablasse­ndes Verhalten als direktoria­le Selbstvers­tändlichke­it hinzunehme­n“. Die öffentlich­e Akzeptanz gegenüber einem autoritäre­n Führungsst­il nach Gutsherren­art nehme sukzessive ab. Das sei zu begrüßen.

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Foto: APA Regisseur Matthias Hartmann (54) inszeniert­e als Burg-Direktor 13-mal selbst.

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