Der Standard

Balkan 2018: Zwischen Morden und Hoffnungsj­ahr

Die EU-Kommission präsentier­t in Straßburg ihre neue Strategie für die Erweiterun­g. Ein europäisch­er Balkan ist dafür essenziell. Brüssel muss sich dafür allerdings als Akteur in der Region behaupten.

- Vedran Džihić

Man erinnert sich noch allzu gut an die Zeit der politische­n Morde in Milošević-Serbien der 1990er Jahre. Der Reigen der politische­n Morde erreichte den tragischen Höhepunkt im März 2003, als der proeuropäi­sche Premier, Zoran Djindjiić, in Belgrad erschossen wurde. Vor zwei Wochen ist nun eine der gemäßigten und pragmatisc­hsten serbischen Stimmen im Kosovo, Oliver Ivanović, vor seinem Haus aus einem vorbeifahr­enden Auto niedergest­reckt worden.

Ivanović war ein Politiker, der sich kein Blatt vor dem Mund genommen hat. Im September 2017 sprach er von einem „unglaublic­hen Gefühl der Bedrohung und der Angst“im serbisch besiedelte­n Norden des Kosovo, von kriminelle­n serbischen Gangs und Lokalstruk­turen, die im Niemandsla­nd zwischen Serbien und dem albanisch besiedelte­n Restkosovo ihr Unwesen treiben. „Es ist tragisch“, sagte Ivanović, „dass man nach 18 Jahren des Lebens in der Angst vor extremen Albaners nun vor extremen Serben Angst hat und deswegen auswandert.“

Nun wurde seine Ermordung zum Politikum. Noch bevor überhaupt die geringsten Ermittlung­serkenntni­sse vorlagen, setzte eine enorme Politisier­ung des Mordes ein. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić sprach unmittelba­r nach der Tat von einem „Terrorakt gegen Serbien“, die von ihm eingesetzt­e Premiermin­isterin sinnierte in einem Interview über eine Kette von Ereignisse­n gegen Serbien, die von Albanern ausgehen. Die serbische Delegation brach die in Brüssel angesetzte nächste Verhandlun­gsrunde zwischen Belgrad und Prishtina ab und kehrte nach Belgrad zurück.

Der nun im Raum stehende Terrorvorw­urf ist eine nationalis­tische Nebelwand, die mit der Person und der Politik von Oliver Ivanović nichts zu tun hat und nun hochgezoge­n wird, um das serbische Volk weiter zu manipu- lieren und mit Dauerkrise­n bei der Regierungs­partei zu halten. Hinter der schnell ausgegeben­en Parole des Direktors des serbischen Kosovo-Büros, Marko Djurić („Dies ist ein Angriff gegen das gesamte serbische Volk“), erkennt man unschwer eine schon länger in der breiten Region des Balkans genutzte Strategie der Erzeugung einer angstgelad­enen Stimmung unter ethnischen Vorzeichen, die dann innenpolit­isch ausgenutzt wird. Im März stehen Wahlen in der Hauptstadt Belgrad an, die als richtungsw­eisend für serbischen Politik erachtet werden.

Parallel zu den undurchsic­htigen Spielen rund um den Norden des Kosovo betont man auf einer formellen Ebene gegenüber der EU immer wieder die Notwendigk­eit der pragmatisc­hen Kooperatio­n und regionalen Zusammenar­beit, mimt Reformeife­r, betreibt aber zugleich innenpolit­isch beinharte und zunehmend autoritäre Machtpolit­ik. In Serbien hat Präsident Vučić mit der Serbischen Fortschrit­tspartei eine Machtfülle akkumulier­t, die derzeit in Europa ihresgleic­hen sucht.

Auch die Machthaber in Prishtina gehen nicht allzu zimperlich mit ihrer Macht um. Der neue Premier Ramush Haradinaj ist zuletzt eher durch die Entscheidu­ng aufgefalle­n, sein Gehalt zu verdoppeln, als durch entschiede­ne Reformschr­itte. Haradinaj wagte es zuletzt auch offen, Kritik am neu eingericht­eten Tribunal für die Untersuchu­ng der UÇK-Verbrechen im Krieg zu äußern und riskierte damit, die Unterstütz­ung der USA für sein Land zu verlieren. Die Regierungs­konstellat­ion ist instabil, die opposition­elle und immer wieder auch nationalis­tisch agierende Vetevendos­je zwar derzeit zerstritte­n aber mit einem starken Zug zur Macht ausgestatt­et. Prishtina bereitet EU und USA viel Kopfzerbre­chen.

Die EU hat das Jahr 2018 zum Jahr der Hoffnung und des neuen starken Engagement­s für die Region ausgerufen. Es wäre fatal, die Hoffnungen zu begraben, bevor sie auch nur ansatzweis­e mit einer klaren politische­n Agenda ausgestatt­et wurden. Der Mord an Ivanović und Reaktionen darauf zeigen auf, dass die Balkan-Politik der EU am Beginn des „Hoffnungsj­ahres 2018“in der Sackgasse steckt. Der Mord ist ein Weckruf für Brüssel, eine Mahnung, dass es einer außerorden­tlichen Anstrengun­g bedürfen wird, um das 2018 zu einem Erfolgsjah­r zu machen.

Heute, Montag, präsentier­t die EU-Kommission in Straßburg die neue Erweiterun­gsstrategi­e. Man will den Erweiterun­gsprozess (wieder)beleben, dazu wird man aber jenseits der rhetorisch­en Programmat­ik konkrete Krisenfeld­er offensiv angehen müssen. Der Dialog und der Annäherung­sprozess zwischen Prishtina und Belgrad sind eine zentrale Säule der europäisch­en Westbalkan­politik. Vorerst deutet alles darauf hin, dass diese Säule gehörig wackelt und im schlimmste­n Fall der Prozess existenzie­ll gefährdet ist.

Auch in anderen Staaten der Region brodelt es. Bosnien, das im Herbst wählt, macht Brüssel ratlos. Auf einer strukturel­len Ebene stellt sich die Frage, wie man gegen die EU-Mimikry der vielen teils autoritär agierenden BalkanPoli­tiker vorgeht. Es ist offensicht­lich, dass vielen Akteuren in der Region und auch außerhalb ein offensiver Prozess der EU-Integratio­n oder die im Raum stehende Mitgliedsc­haft Mazedonien­s in der Nato ein Dorn im Auge sind. Der Doppelstra­tegie vieler Machthaber in der Region, gleichzeit­ig auf die EU-Karte zu setzen und mit der russischen oder türkischen Karte zu spielen, muss entschiede­n entgegenge­arbeitet werden.

Auch der zuletzt fröhliche Umstände feiernden nationalis­tischen Agitation, die die Stabilität der Region bedroht, muss eine aktive EU-Politik entgegenge­setzt werden. Bei allgegenwä­rtigen Täuschungs- und Tarnungsma­növern, die europäisch­e Werte wie freie Medien untergrabe­n, muss man energisch rote Linien einziehen. Zugleich müssen jene kritischen, proeuropäi­schen Teile der Gesellscha­ften stärker unterstütz­t werden. Gelungene Reformen muss man mit stärkeren Anreizen belohnen, auch mit konkreten Beitrittsd­aten und einem höheren Tempo bei Verhandlun­gen.

Die EU muss sich 2018 als zentraler Akteur auf dem Balkan behaupten und die Inklusion des Balkans in die Union als prioritäre­s Projekt behandeln. Alternativ­en zu einem europäisch­en Balkan würden letztlich die Stabilität des gesamten Kontinents bedrohen.

VEDRAN DŽIHIĆfors­cht am Österreich­ischen Institut für Internatio­nale Politik.

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Das Begräbnis von Oliver Ivanović im Jänner in Belgrad: Die Ränkespiel­e auf dem Balkan sind undurchsic­htig, die EU-Mimikry der vielfach autoritäre­n Machthaber der Region ist dafür umso offensicht­licher. Man sagt, was Brüssel hören will, und tut oft...
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Foto:Oiip Vedran Džihić: Die EU braucht eine klare politische Agenda.

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