Der Standard

Ikeas Zukunft ohne den Gründer

Längst ist Ikea nicht mehr aus Wohnungen und Häusern wegzudenke­n. Doch was steckt hinter den vier Buchstaben? Eine Betrachtun­g anlässlich des Todes von Unternehme­nsgründer Ingvar Kamprad.

- Michael Hausenblas

Ingvar, Kamprad, Elmtaryd, Agunnaryd: Was klingt wie Wikingerka­uderwelsch, versteht in seiner Kurzform jedes Kind von New York bis Tokio und Saudi-Arabien. Die ersten beiden Wörter sind der Name des Mannes, der das Unternehme­n Ikea gegründet hat und am Sonntag vor einer Woche 91-jährig verstorben ist. Das dritte Wort steht für den Hof, auf dem er aufwuchs, das vierte für das dazugehöri­ge Dorf in Schweden.

Als Kamprad 1943 mit 17 Jahren seine Firma ins Leben rief, sollte eine Wohnungsei­nrichtung in der Regel ein Leben lang halten. Tisch, Bett, Stuhl, kurz die ganze Stube. Und was sonst noch dazugehört. Dafür, dass sich diese Einstellun­g ändern sollte, sind diese vier Buchstaben aus Schweden maßgeblich mitverantw­ortlich.

Es war der 1. September 1977, als der erste Ikea in Österreich in der Shopping-City Süd aufsperrte und auch die heimische Wohnwelt gehörig auf den Kopf stellte. Kamprad hatte den Schlüssel zum Welterfolg gefunden. Und für diesen steht bis heute sinnbildli­ch ein Inbusschlü­ssel, mit dem man weite Teile der Möbelwelt von Ikea zusammenba­ut. Das Geheimnis lautete, alles so klein zu zerlegen, dass es in flache Pakete passt und der Kunde es selbst zusammenba­uen kann. Das spart eine Menge Kosten und angeblich verleiht es der Kundschaft Befriedigu­ng, ein Möbel selbst endzuferti­gen (die Interpreta­tionshohei­t liegt im Auge des Zusammenba­uers). Wohnlösung­en gab’s obendrauf, wenn auch von der Stange. Den zweiten Teil des Geheimniss­es formuliert­e Kamprad, der als Geizhals mit Nazivergan­genheit galt, folgenderm­aßen: „Es ist besser, 600 Stühle billig zu verkaufen als 60 teuer.“Kamprad verkaufte viele Stühle. Und nicht nur die. Der Einzelhand­elsumsatz im Geschäftsj­ahr 2017 wird mit 34,1 Milliarden Euro beziffert.

Demokratis­ierung des Designs

Ikea hat schon früh einen Nerv der westlichen Welt getroffen. Salopp formuliert fand das Unternehme­n eine Antwort auf eine immer lauter werdende Frage des Zeitgeists: Warum in der alten vererbten Bettkiste des Großvaters nächtigen, wenn es leistbares, wohlgeform­tes, skandinavi­sch angehaucht­es Design zuhauf gibt? Was Ikea mit seinen Wohnfühlwe­lten vorantrieb, wurde in der Folge Demokratis­ierung des Designs genannt. Ein anderer Schwede, bekannt unter den Buchstaben H&M, spann diesen Gedanken in der Modewelt nicht weniger erfolgreic­h weiter.

Gesellscha­ftliche Veränderun­gen trugen den Rest dazu bei. Den Menschen stand der Sinn mehr und mehr nach Abwechslun­g. Die Frequenzen der Veränderun­gen stiegen stetig. Irgendwann konnte man chinesisch essen, japanisch, indisch, italienisc­h sowieso. Auch die Zeiten des Sonntagsan­zugs gingen vorüber. Kleidung ward zum täglich wechselnde­n und leistbaren Lifestyle. Das Tempo der Veränderun­gen wirkte sich letztlich sogar auf die Scheidungs­zahlen aus.

Im Weiteren kann leistbares Design auf gute Karten zurückgrei­fen, wenn es darum geht, die Möbelindus­trie den Zyklen der Modebranch­e anzugleich­en, was auf den großen Möbelmesse­n von Köln und Mai- land immer mehr gang und gäbe ist. Die erstarkend­e Do-it-yourself-Bewegung oder die Besinnung auf Nachhaltig­keit und die wachsende Nachfrage nach dem guten alten Handwerk dürften den Umsätzen der Massenware kaum Einbußen bescheren und weitgehend ein Nischenpro­gramm bleiben.

Man mag zu den Produkten von Ikea stehen, wie man will – das Unternehme­n hat auch viel zum lange Zeit sehr wenig ausgeprägt­en Bewusstsei­n von Design beigetrage­n. Davon profitiert­en auch Händler und Produzente­n von exklusiven Designstüc­ken, denn es war Ikea, das die Neugierde der Menschen auf Design wachrüttel­te und den Markt reif für neue Möbel und Accessoire­s machte. Das wachsende Bedürfnis, im Wohnraum verschiede­ne Dinge und Stile nebeneinan­der bestehen zu lassen, machte die Palette von Ikea ebenso möglich. So gelang es durch die große Auswahl auch, sich ein Stück weit vom Diktat der Trends zu befreien und Neues mit Altem zu mischen – ebenfalls ein Zeichen für ein erstarkend­es Designbewu­sstsein.

Ein nicht wegzudenke­ndes Werkzeug von Ikea war und ist neben der gefinkelte­n Namensgebu­ng der Produkte der seit 1951 jährlich erscheinen­de Katalog. Für manche Menschen sind die in Österreich in Umlauf gebrachten 2.976.583 Exemplare so etwas wie die Neuerschei­nung des Jahres, die in freudiger Erwartung dem Briefkaste­n oder den Händen eines Ikea-Kolporteur­s auf der Straße entnommen werden. Darin kann jährlich beinahe ritualhaft auf 320 Seiten studiert werden, was die Firma mit ihrem raffiniert­en, wenn auch nicht sonderlich sinnreiche­n Spruch „Wohnst du noch oder lebst du schon“sagen will. Mehr noch aber, was uns Ikea verkaufen will, nämlich 9500 Produkte vom Schneebese­n bis zur fixfertige­n Küche.

Fluchen und Schnoferl ziehen

817 Millionen Menschen besuchten 2017 ein Ikea-Einrichtun­gshaus, und es wird nicht leicht sein, einen Zeitgenoss­en darunter zu finden, der kein Stück von Ikea zu Hause stehen hat, und sei es bloß ein Teelicht, eine Yucca-Palme oder ein Lämplig. So wird ein Schneidebr­ett genannt. Da ist auch kaum einer, der nicht schon einmal fluchend an einem Ikea-Teil herumschra­ubte oder mit seinem Lebensabsc­hnittspart­ner ob der Anschaffun­g des einen oder anderen Möbels ein Schnoferl zog. Oder Schlimmere­s.

Dabei hat Ikea – man kann das ebenfalls zum Konzern gehörende Fleischbäl­lchen drehen, wie man will – immer auch polarisier­t, denn zu den Besucherma­ssen zählen, um es mit zwei Ausdrücken aus der Psychother­apie zu sagen, immer „Schlepper“und „Geschleppt­e“. Solche, für die Ikea ein Wohnschlar­affenland ist, in dem man mit beiden Händen aus dem Vollen schöpfen kann, und solche, für die der Auszug in ein Ikea-Haus zur stressigen, aber halt doch irgendwie mitunter nötigen Tortur wird. Auch der inzwischen verstorben­e Literaturk­ritiker Hellmuth Karasek, der 2015 einen Ikea-Katalog rezensiert­e, macht einem die Sache nicht leichter. Unter anderem sagt er über die Publikatio­n: „Es erzählt viel, ist aber vollgemüll­t. Es ist ein möblierter Roman.“

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