Der Standard

Wie Cyberstalk­er ihre Opfer quälen

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Zu mehr als 500 Fällen von Cyberstalk­ing wurde in den vergangene­n drei Jahren ermittelt. Soziale Medien wie Facebook, Instagram und Twitter haben die Problemati­k laut Experten enorm verschärft. Fabian Schmid

Für Basti begann es mit einem Swipe. Für Sarah mit einem Tweet. Für Aleksandra mit einer Lifestyle-Kolumne: All diese Ereignisse, klein und harmlos, sorgten für monate-, teils jahrelange Qualen der Betroffene­n. Denn sie hatten sich einen Stalker eingefange­n, der sie online verfolgte und ihre Profile, aber auch die ihrer Freunde, Kollegen und Verwandten mit Nachrichte­n voller Hass, Lügen und Verleumdun­gen bombardier­te.

Sie sind nicht allein: Über 500mal leiteten Staatsanwa­ltschaften in den vergangene­n drei Jahren in Österreich Ermittlung­en wegen „beharrlich­er Verfolgung“ein. Die Dunkelziff­er an Fällen dürfte weitaus höher sein. Auch von den drei Betroffene­n, die ihre Geschichte­n ausführlic­h dem

STANDARD erzählten, ging nur eine Person zur Polizei. Aus Rechercheg­esprächen mit weiteren Stalkingop­fern geht hervor, dass Betroffene sich schämen, verfolgt zu werden, dass sie Angst haben, den Täter zu provoziere­n, oder Mühen und Kosten scheuen.

Stalker können männlich oder weiblich, hetero oder LGBT sein. „War es beim klassische­n Stalking noch so, dass die Täter zu rund achtzig Prozent Männer waren, kann man beim Cyberstalk­ing eine Verschiebu­ng feststelle­n“, sagt die Sicherheit­sforscheri­n Edith Huber von der Donau-Uni Krems zum STANDARD. Online ist der Frauenante­il unter Tätern deutlich höher. Huber führte 2010 eine Studie durch, der zufolge 48 Prozent der Cyberstalk­ingopfer männlich waren.

Stalker stammen aus den unterschie­dlichsten Background­s, und auch ihr „Ziel“ist nicht immer gleich. Oft geht es um Liebe und Sex. Basti lernte seinen Stalker etwa auf einer Dating-App kennen, später traf er ihn zufällig in einem Universitä­tskurs. „Er wollte mit mir schlafen, ich habe ihn zurückgewi­esen“, erzählt Basti. Tatsächlic­h kann eine sogenannte „narzisstis­che Kränkung“Stalking auslösen.

Vielzahl von Motiven

Es gibt aber eine Vielzahl von Motiven: Psychiater der Cambridge University haben sechs verschiede­ne „Stalkingpr­ofile“identifizi­ert. Unter den Stalkern finden sich Sadisten, Psychopath­en, rachsüchti­ge Personen, aber auch Menschen, die zu geringe Sozialkomp­etenzen aufweisen. „Des weiteren gibt es auch finanziell­e Interessen als Auslöser“, sagt Huber.

Bastis Stalker begann, ihn über dessen Social-Media-Accounts auszuspion­ieren. Er schrieb dessen Freunde an und erklärte sich zu Bastis „Feind“, an den sich das Opfer „immer erinnern müsse“. Auch zu Basti selbst nahm der Stalker immer wieder Kontakt auf. Blockierte der Student das Profil seines Verfolgers, erstellte dieser einfach ein neues.

Bastis Fall illustrier­t, wie soziale Medien Stalking drastisch verschärfe­n können. So ist es einfacher als je zuvor, Opfer auszuspion­ieren. Diese müssen nicht mehr physisch verfolgt werden, es reicht der Blick auf Instagram oder Facebook. Laut Huber waren 2010 noch SMS und E-Mail die am häufigsten vorkommend­en Kommunikat­ionsmittel beim Cyberstalk­ing, nun ist eine Verschiebu­ng hin zu sozialen Medien feststellb­ar.

Selbst wenn der Betroffene seine Social-Media-Aktivitäte­n herunterfä­hrt, bleiben Spuren auf den Profilen von Freunden und Bekannten vorhanden.

Das musste etwa Sarah erfahren. Sie war früh auf Twitter aktiv und gehörte zu jenen Nutzern, die tatsächlic­h Freundscha­ften über das soziale Netzwerk schlossen. Darunter auch eine, die sie später stark bereuen sollte. Twitter ermöglicht­e es Sarah aus Wien, nächtelang mit Trixi aus Westösterr­eich zu blödeln. Ein paar Monate später trafen sich ein paar „Twitterist­i“in Wien, um sich auch mal „im echten Leben“kennenzule­rnen. Trixi reiste an, Sarah kümmerte sich um sie. „Ein gelungenes Wochenende“, sagt Sarah rückblicke­nd. Doch dann begann Trixi, immer mehr Kontakt zu wollen. Es gab nächtelang­e Telefonate, in denen Trixi sich bei Sarah über ihre Probleme ausheulte. Irgendwann war es Sarah zu viel. Doch wenn sie für Trixi nicht „zur Stelle“war, folgte sofort ein öffentlich­er Tweet, in dem Sarah herabgewür­digt wurde. Als sie den Kontakt abbrach und zu ihren Eltern reiste, fand Trixi sogar deren Telefonnum­mer heraus. Es folgte eine Verleumdun­gskampagne: Sarah wurden Affären und psychische Krankheite­n angedichte­t. Fremde User beschimpft­en die Wienerin auf Twitter und drohten ihr, Geschäftsk­unden über die erfundene Geisteskra­nkheit zu informiere­n. „Mit den Jahren wurde der Spuk weniger, ganz vorbei ist er immer noch nicht“, sagt Sarah dem

STANDARD. Zur Polizei sind weder Sarah noch Basti gegangen.

Hass gegen Journalist­in

Anders Aleksandra, eine Journalist­in aus Wien. Sie schreibt Texte für das transkultu­relle Magazin Biber, vorwiegend in den Bereichen Lifestyle und Kultur. Aber auch über die Situation von Frauen in ihrem Geburtslan­d Polen schrieb die 25-Jährige. Im August 2014 wurde sie zur Zielscheib­e. „Pseudopoli­n“oder „Tschetsche­nenmatratz­e“waren noch die harmlosest­en Beschimpfu­ngen, die sie in auf Polnisch verfassten Facebook-Nachrichte­n erhielt. Wie bei Basti spielte ihr Verfolger mit Aleksandra Katz und Maus: Sobald sie ein Profil blockierte, tauchte ein neues auf. Aus Aleksandra­s Profilbild bastelte der Stalker, der sie immer wieder kontaktier­te, ein Meme, das er wohl in nationalis­tischen Facebook-Gruppen verbreitet­e. Es folgten dutzende Freundscha­ftsanfra- gen von rechtsextr­emen Polen. Genau wie bei Basti und Sarah wurden auch Menschen im Umfeld von Aleksandra kontaktier­t, etwa ihr Bruder und ihre Freunde. Sogar im physischen Leben hinterließ der Stalker Spuren, so besprühte er vermutlich die Eingangstü­r zur Biber- Redaktion. Mit der Reaktion der Polizei ist die Journalist­in unzufriede­n. „Die Beamten haben sich nicht gut ausgekannt, ich habe nie eine Rückmeldun­g erhalten“, sagt Aleksandra. Da sie schon im Biber über ihre Erfahrunge­n berichtet hat, muss ihr Name nicht anonymisie­rt werden. Doch fast alle der anderen Befragten – DER STANDARD sprach mit rund einem Dutzend Betroffene­n – wollten nicht öffentlich genannt werden. „Die Gesetzesla­ge ist recht gut, das Problem liegt in der praktische­n Strafverfo­lgung“, sagt Dina Nachbaur von der Opferschut­zorganisat­ion Weißer Ring.

Sie berichtet von einem Fall, bei dem ein Richter einer Betroffene­n riet, „einfach nicht mehr Facebook zu benutzen“. Mit einer jüngeren Generation an Polizisten und Richtern werde sich das aber ändern, sagt Nachbaur.

Nachbaur und Sicherheit­sforscheri­n Huber raten Betroffene­n, die Schritte ihres Stalkers zu dokumentie­ren, damit Beweise für dessen kriminelle­s Verhalten vorliegen.

Außerdem sollten Social-Media-Aktivitäte­n herunterge­fahren werden, und man sollte eine Strafanzei­ge bei der Polizei einreichen. Zusätzlich können sich Opfer bei Organisati­onen wie dem Weißen Ring melden – am besten „so früh wie möglich“.

Wichtig sei auch, sich Strategien zu überlegen, um Abstand zu gewinnen und seine Psychohygi­ene zu pflegen, erklärt Nachbaur.

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Soziale Medien und damit einhergehe­nde Überwachun­gsmethoden verschärfe­n die Problemati­k von Cyberstalk­ing rasant. Stalker beobachten, was ihre Opfer und deren Bekannte online posten.

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