Der Standard

Angst vor steigenden Zinsen geht um

Kursverlus­te an der Wall Street breiten sich weltweit aus

- András Szigetvari

Wien – Die von den USA ausgehende Unruhe an den Aktienmärk­ten hat sich zu Wochenbegi­nn auf die wichtigste­n globalen Märkte ausgebreit­et. Kursstürze gab es keine, aber an asiatische­n wie europäisch­en Börsen gab es zum Teil scharfe Kurskorrek­turen. In Tokio gab der Nikkei um über 2,5 Prozent nach, auch in London und in Frankfurt gab es überwiegen­d Kursverlie­rer.

Für die Wall Street war die vergangene Handelswoc­he die schlechtes­te seit gut zwei Jahren. Hintergrun­d der Aufregung ist, dass Investoren fürchten, dass die Inflation 2018 stärker steigen könnte als prognostiz­iert. Das würde bedeuten, dass die Notenbank Fed, wo Jerome Powell am Montag den Chefposten übernahm, die Zinsen deutlich erhöhen müsste. Am Freitag hatte das USArbeitsm­arktminist­erium bekannt gegeben, dass die US-Stundenlöh­ne im Vorjahr so stark gestiegen sind wie seit 2009 nicht mehr.

In Deutschlan­d warnen Ökonomen seit Monaten davor, dass die Wirtschaft auf eine Überhitzun­g, also zu stark steigende Löhne und damit eine viel höhere Inflation, zusteuert. Der Ökonom Gustav Horn bezweifelt das allerdings im Gespräch mit dem STANDARD: Exessive Lohnsteige­rungen gebe es in Deutschlan­d bisher nicht. (red)

Wien – Die neue Woche hat begonnen, wie die alte endete: mit einer scharfen Korrektur bei Aktienprei­sen. Nach einer schlechten Woche an der Wall Street breitete sich Unruhe auf den Aktienmärk­ten in Asien und Europa aus. Der Nikkei in Tokio gab 2,6 Prozent nach, verlustrei­ch war der Handelstag auch in Hongkong. Diverse „Angstbarom­eter“, die messen, wie stark die Volatilitä­t am Markt ist, zeigten am Montag mehrmonati­ge Höchststän­de an. Händler in Frankfurt waren zum Beispiel schon seit zehn Monaten nicht mehr so nervös, wie sie es derzeit sind.

Als Hauptursac­he für die Turbulenze­n haben Analysten und Börsenkomm­entatoren die Angst vor einer steigenden Inflation ausgemacht. Die Furcht der Anleger ist, dass die Preissteig­erungen in den kommenden Monaten höher als erwartet ausfallen und damit auch die Leitzinsen wieder steigen werden. Auslöser dafür war ein Bericht des Arbeitsmin­isteriums in Washington vom Freitag, wonach die Stundenlöh­ne in den Vereinigte­n Staaten im vergangene­n Jahr am schnellste­n seit Beginn der Krise gestiegen sind.

Geld für den Konsum

Ganz von der Hand zu weisen ist die Furcht der Anleger nicht. Die Arbeitslos­enrate in den USA liegt bei vier Prozent und ist damit auf einem historisch­en Tiefstand. Das Wachstum ist kräftig. Wenn es zu einem Mangel an Arbeitskrä­ften kommt, müssen Unternehme­r die Löhne typischerw­eise erhöhen, wollen sie Beschäftig­te finden. Diese Lohnsteige­rungen bedeuten, dass die Menschen mehr Geld haben, um sich neue TV-Geräte, Autos und Kühlschrän­ke zu kaufen. Die Nachfrage steigt.

Wenn die ohnehin gut ausgelaste­ten Industrieb­etriebe mit der Produktion nicht nachkommen, beginnen die Preise zu steigen, so die ökonomisch­e Theorie. Die Wirtschaft überhitzt, die Notenbanke­n erhöhen dann Leitzinsen, die Laune der Unternehme­r und Konsumente­n wird schlechter, die Konjunktur sackt ab. Könnte es bald so weit sein? Marktanaly­sten haben zuletzt häufiger darauf hingewiese­n, dass auf jeden Aufschwung ein Abschwung folgt. Und das betrifft nicht nur die USA, sondern auch Deutschlan­d.

Bereits im vergangene­n Herbst hat der deutsche Sachverstä­ndigenrat – das ist eine Gruppe Ökonomen, die die Regierung in Berlin berät – vor einer Überhitzun­g der deutschen Wirtschaft gewarnt.

Die Produktion­skapazität­en vieler Betriebe seien voll ausgelaste­t. Besonders in der Bauwirtsch­aft fehlten den Unternehme­n die Ressourcen, um die Nachfrage zu befriedige­n. Die Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d ist in der Tat auf dem tiefsten Stand seit 25 Jahren. Arbeitskrä­fte sind also knapp – was in der Folge dazu führen könnte, dass die Löhne zu rasch steigen, so die Ökonomen.

Wer sucht, findet selbst in Österreich Anzeichen dafür, dass die Konjunktur­lage so gut ist, dass erste Probleme auftauchen. Die Kapazitäts­auslastung in der Industrie ist auf dem höchsten Stand seit 1995, wie Zahlen des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Wifo zeigen. Die Luft nach oben wird dünn. Und selbst in Österreich, wo die Arbeitslos­enrate höher als in Deutschlan­d ist, wird es schwierige­r, Arbeitskrä­fte zu finden. Ein beim Arbeitsmar­ktservice gemeldeter Job bleibt aktuell 37 Tage unbesetzt. Im vergangene­n Jahr waren es im Schnitt bloß 31 Tage. Besonders in der Industrie wird es schwierige­r, die richtigen Leute zu finden, die Vermittlun­gsdauer ist hier von 37 auf 46 Tage angestiege­n.

Keine Exzesse

Überhitzt also die Konjunktur? Nein, sagt Wifo-Ökonom Marcus Scheibleck­er. Wenn Unternehme­n mit maximaler Kapazität arbeiteten, bedeute dies nicht automatisc­h, dass sie ihre Produktion nicht ausweiten können. Dazu investiert­en sie ja in neue Anlagen und Maschinen. Die Erfahrung aus der Vergangenh­eit zeige, dass ein Höchststan­d bei der Auslastung in der Regel zwei Jahre anhält. Sollte das auch diesmal der Fall sein, würde die Hochkonjun­ktur bis 2019 anhalten.

Für den Ökonomen fehlt zudem die wichtigste Zutat für eine Überhitzun­gsphase: exzessive Lohnsteige­rungen. Die Löhne steigen zwar nach einer längeren Flaute in Österreich wieder stärker an. Die Metaller haben erst im Herbst ein Lohnplus von nominell drei Prozent ausverhand­elt, auch im Handel fiel das Plus mit 2,3 bis 2,6 Prozent stärker aus als die Jahre da- vor. Doch das sind laut Scheibleck­er keinesfall­s problemati­sch hohe Abschlüsse. So ähnlich argumentie­rt der deutsche Ökonom Gustav Horn, der die gewerkscha­ftsnahe Hans-Böckler-Stiftung leitet. Ja, die Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d sei extrem niedrig, die Auslastung hoch. Aber von sehr stark steigenden Löhnen und Preisen fehle jede Spur. Die Gehäl- ter sind 2017 im Schnitt um 2,4 Prozent gestiegen. Von einer Überhitzun­g zu reden sei verwegen.

Aufschluss darüber, wie es weitergeht, könnten die deutschen Metaller liefern. Sie verlangen über die kommenden zwölf Monate ein Lohnplus von sechs Prozent. Nach Warnstreik­s wurde am Montag intensiv verhandelt.

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Foto: AP Seit Montag ist Jerome Powell neuer Chef der Fed.
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