Angst vor steigenden Zinsen geht um
Kursverluste an der Wall Street breiten sich weltweit aus
Wien – Die von den USA ausgehende Unruhe an den Aktienmärkten hat sich zu Wochenbeginn auf die wichtigsten globalen Märkte ausgebreitet. Kursstürze gab es keine, aber an asiatischen wie europäischen Börsen gab es zum Teil scharfe Kurskorrekturen. In Tokio gab der Nikkei um über 2,5 Prozent nach, auch in London und in Frankfurt gab es überwiegend Kursverlierer.
Für die Wall Street war die vergangene Handelswoche die schlechteste seit gut zwei Jahren. Hintergrund der Aufregung ist, dass Investoren fürchten, dass die Inflation 2018 stärker steigen könnte als prognostiziert. Das würde bedeuten, dass die Notenbank Fed, wo Jerome Powell am Montag den Chefposten übernahm, die Zinsen deutlich erhöhen müsste. Am Freitag hatte das USArbeitsmarktministerium bekannt gegeben, dass die US-Stundenlöhne im Vorjahr so stark gestiegen sind wie seit 2009 nicht mehr.
In Deutschland warnen Ökonomen seit Monaten davor, dass die Wirtschaft auf eine Überhitzung, also zu stark steigende Löhne und damit eine viel höhere Inflation, zusteuert. Der Ökonom Gustav Horn bezweifelt das allerdings im Gespräch mit dem STANDARD: Exessive Lohnsteigerungen gebe es in Deutschland bisher nicht. (red)
Wien – Die neue Woche hat begonnen, wie die alte endete: mit einer scharfen Korrektur bei Aktienpreisen. Nach einer schlechten Woche an der Wall Street breitete sich Unruhe auf den Aktienmärkten in Asien und Europa aus. Der Nikkei in Tokio gab 2,6 Prozent nach, verlustreich war der Handelstag auch in Hongkong. Diverse „Angstbarometer“, die messen, wie stark die Volatilität am Markt ist, zeigten am Montag mehrmonatige Höchststände an. Händler in Frankfurt waren zum Beispiel schon seit zehn Monaten nicht mehr so nervös, wie sie es derzeit sind.
Als Hauptursache für die Turbulenzen haben Analysten und Börsenkommentatoren die Angst vor einer steigenden Inflation ausgemacht. Die Furcht der Anleger ist, dass die Preissteigerungen in den kommenden Monaten höher als erwartet ausfallen und damit auch die Leitzinsen wieder steigen werden. Auslöser dafür war ein Bericht des Arbeitsministeriums in Washington vom Freitag, wonach die Stundenlöhne in den Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr am schnellsten seit Beginn der Krise gestiegen sind.
Geld für den Konsum
Ganz von der Hand zu weisen ist die Furcht der Anleger nicht. Die Arbeitslosenrate in den USA liegt bei vier Prozent und ist damit auf einem historischen Tiefstand. Das Wachstum ist kräftig. Wenn es zu einem Mangel an Arbeitskräften kommt, müssen Unternehmer die Löhne typischerweise erhöhen, wollen sie Beschäftigte finden. Diese Lohnsteigerungen bedeuten, dass die Menschen mehr Geld haben, um sich neue TV-Geräte, Autos und Kühlschränke zu kaufen. Die Nachfrage steigt.
Wenn die ohnehin gut ausgelasteten Industriebetriebe mit der Produktion nicht nachkommen, beginnen die Preise zu steigen, so die ökonomische Theorie. Die Wirtschaft überhitzt, die Notenbanken erhöhen dann Leitzinsen, die Laune der Unternehmer und Konsumenten wird schlechter, die Konjunktur sackt ab. Könnte es bald so weit sein? Marktanalysten haben zuletzt häufiger darauf hingewiesen, dass auf jeden Aufschwung ein Abschwung folgt. Und das betrifft nicht nur die USA, sondern auch Deutschland.
Bereits im vergangenen Herbst hat der deutsche Sachverständigenrat – das ist eine Gruppe Ökonomen, die die Regierung in Berlin berät – vor einer Überhitzung der deutschen Wirtschaft gewarnt.
Die Produktionskapazitäten vieler Betriebe seien voll ausgelastet. Besonders in der Bauwirtschaft fehlten den Unternehmen die Ressourcen, um die Nachfrage zu befriedigen. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist in der Tat auf dem tiefsten Stand seit 25 Jahren. Arbeitskräfte sind also knapp – was in der Folge dazu führen könnte, dass die Löhne zu rasch steigen, so die Ökonomen.
Wer sucht, findet selbst in Österreich Anzeichen dafür, dass die Konjunkturlage so gut ist, dass erste Probleme auftauchen. Die Kapazitätsauslastung in der Industrie ist auf dem höchsten Stand seit 1995, wie Zahlen des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo zeigen. Die Luft nach oben wird dünn. Und selbst in Österreich, wo die Arbeitslosenrate höher als in Deutschland ist, wird es schwieriger, Arbeitskräfte zu finden. Ein beim Arbeitsmarktservice gemeldeter Job bleibt aktuell 37 Tage unbesetzt. Im vergangenen Jahr waren es im Schnitt bloß 31 Tage. Besonders in der Industrie wird es schwieriger, die richtigen Leute zu finden, die Vermittlungsdauer ist hier von 37 auf 46 Tage angestiegen.
Keine Exzesse
Überhitzt also die Konjunktur? Nein, sagt Wifo-Ökonom Marcus Scheiblecker. Wenn Unternehmen mit maximaler Kapazität arbeiteten, bedeute dies nicht automatisch, dass sie ihre Produktion nicht ausweiten können. Dazu investierten sie ja in neue Anlagen und Maschinen. Die Erfahrung aus der Vergangenheit zeige, dass ein Höchststand bei der Auslastung in der Regel zwei Jahre anhält. Sollte das auch diesmal der Fall sein, würde die Hochkonjunktur bis 2019 anhalten.
Für den Ökonomen fehlt zudem die wichtigste Zutat für eine Überhitzungsphase: exzessive Lohnsteigerungen. Die Löhne steigen zwar nach einer längeren Flaute in Österreich wieder stärker an. Die Metaller haben erst im Herbst ein Lohnplus von nominell drei Prozent ausverhandelt, auch im Handel fiel das Plus mit 2,3 bis 2,6 Prozent stärker aus als die Jahre da- vor. Doch das sind laut Scheiblecker keinesfalls problematisch hohe Abschlüsse. So ähnlich argumentiert der deutsche Ökonom Gustav Horn, der die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung leitet. Ja, die Arbeitslosigkeit in Deutschland sei extrem niedrig, die Auslastung hoch. Aber von sehr stark steigenden Löhnen und Preisen fehle jede Spur. Die Gehäl- ter sind 2017 im Schnitt um 2,4 Prozent gestiegen. Von einer Überhitzung zu reden sei verwegen.
Aufschluss darüber, wie es weitergeht, könnten die deutschen Metaller liefern. Sie verlangen über die kommenden zwölf Monate ein Lohnplus von sechs Prozent. Nach Warnstreiks wurde am Montag intensiv verhandelt.