Der Standard

Ex-Minister als Gesetzesko­ntrollor

Wolfgang Brandstett­er war Verteidige­r in Strafsache­n, Justizmini­ster und Vizekanzle­r. Sein bevorstehe­nder Wechsel in den Verfassung­sgerichtsh­of sorgt im Gericht für kontrovers­e Debatten und bei der SPÖ für Rufe nach strengeren Gesetzen.

- Renate Graber Günther Oswald

Man muss fast 100 Jahre zurückgehe­n, um ähnliche Fälle zu finden. Zuletzt gab es in der Ersten Republik direkte Wechsel aus der Regierung in den Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH). Michael Mayr war zunächst ab November 1920 Bundeskanz­ler der neuen Republik Österreich, ehe er 1921 zum Höchstrich­ter bestellt wurde. Zur gleichen Zeit wurde auch Justizstaa­tssekretär Rudolf Ramek Richter, später war dieser sogar gleichzeit­ig Nationalra­tsabgeordn­eter und VfGHRichte­r.

Mit Wolfgang Brandstett­er könnte nun wieder jemand mehr oder weniger volley aus der Regierung in das Höchstgeri­cht wechseln. In Koalitions­kreisen gilt es als ausgemacht, dass der 60-Jährige, der bis Dezember Justizmini­ster und zuletzt auch Vizekanzle­r war, von Türkis-Blau vorgeschla­gen wird. Aus rechtliche­n Gesichtspu­nkten gibt es keine Einwände dagegen. Die Verfassung schreibt heute nur vor, dass Präsident und Vizepräsid­ent des VfGH in den vergangene­n fünf Jahren nicht Mitglied einer Regierung oder eines Parlaments gewesen sein dürfen. Für die zwölf „einfachen“Richter gibt es keine Cooling-off-Phase.

Bedenken im VfGH

Bei etlichen Richtern des Verfassung­sgerichtsh­ofs stößt der Brandstett­er-Plan aber auf völliges Unverständ­nis. Der Ex-Minister habe jahrelang in der Justiz und über Gesetze bzw. Gesetzesvo­rhaben (mit)bestimmt. Dass er als VfGH-Richter die damalige Regierung kontrollie­ren solle, sei „von der Optik her ein Wahnsinn“, meint etwa ein Jurist. Er hielte die Bestellung Brandstett­ers für „alles andere als glücklich“, aus etwaigen Befangenhe­iten könnten „unangenehm­e Situatione­n“entstehen.

Die Frage sei etwa, ob sich Brandstett­er bei jeder Gesetzespr­üfung, die Materien aus seiner Ministerze­it betrifft, als befangen erklären müsste, meint ein anderer VfGH-Jurist. Das Ganze habe jedenfalls einen „üblen Beigeschma­ck“und bereite „keine Freude“. Zudem thematisie­ren Kritiker die Parteinähe des Ex-Ministers. „Ich möchte nicht, dass wir mit Leuten an einem Tisch sitzen, die ständig ihr rotes Telefon mit direktem Draht zum Kanzler in der Tasche haben“, formuliert­es ein Verfassung­srechtler zugespitzt. Ein anderer meint nur etwas ätzend: „Da freut sich das Ersatzmitg­lied, das viel zu arbeiten bekommen wird“– nämlich immer dann, wenn Brandstett­er an einer Causa wegen Befangenhe­it nicht mitarbeite­n darf.

Thematisie­rt wird im Verfassung­sgerichtsh­of angesichts der Besetzungs­plän eder Regierung auch die Frauenquot­e im Höchstgeri­cht. Die frei werdenden Stellen werden ausschließ­lich von Männern nachbesetz­t. Brigitte Bierlein rückt zwar von der Vizepräsid­entin zur ersten VfGHPräsid­entin in der Geschichte auf – aber das nur für zwei Jahre, weil sie dann, mit 70 Jahren, ausscheide­n muss. Ihr nachfolgen wird dann wohl der jetzt 52- jährige Universitä­tsprofesso­r Christoph Graben wart er, der nun zum Vizepräsid­enten aufsteigen dürfte.

ÖVP und FPÖ wollten sich am Montag auf Anfrage nicht zur Causa äußern. Die anderen Parlaments parteien hätten mit einem VfGH-Richter Brandstett­er jedenfalls keine Freude. SPÖ-Justizspre­cher Hannes Jarolim wäre angesichts dieses Falles für strengere Unve rein barkeitsbe stimmung .„ Zwei Jahre Cool ing-o ff für das Höchstgeri­cht hielte ich für an- gemessen“, sagt er, der bei einem sofortigen Wechsel Brandstett­ers befürchtet, dass diesem die für das Amt „notwendige Objektivit­ät“fehle.

Noch viel größere Bedenken als gegen den Ex-Vizekanzle­r hat Jarolim aber gegen FPÖ-nahe Kandidaten, die als neue Verfassung­srichter kolportier­t werden (siehe unten). Es brauche Richter, die „ein breites Feld an unterschie­dlichen gesellscha­ftlichen Strömungen abdecken“, Vertreter „schlagende­r Verbindung­en fallen aus meiner Sicht aber nicht nur aufgrund der jüngsten sattsam bekannten Entwicklun­gen nicht darunter“, so der SPÖ-Politiker.

„Schiefe Optik“

Neos-Verfassung­ssprecher Nikolaus Scherak will Brandstett­er zwar nicht die Qualifikat­ion absprechen, wirft der Regierung aber vor: „Wenn man nicht transparen­t macht, warum man eine Entscheidu­ng getroffen hat, ist es schwierig, eine schiefe Optik zu vermeiden.“Bevor er nach Gesetzesän­derungen rufe, möchte er sich zwar den Fall noch näher ansehen, Scherak meint aber: „Spontan fällt mir keine Erklärung ein, warum es für Präsidente­n und Vizepräsid­enten andere Regeln geben soll als für normale VfGH-Richter.“

Alfred Noll, im Zivilberuf Rechtsanwa­lt und Justizspre­cher der Liste Pilz, hat einen anderen Zugang. Er hält grundsätzl­ich nichts von Cooling-off-Phasen, denn: „Es gibt Leute, die noch nie in der Politik waren und Vasallendi­enste leisten. Und umgekehrt gibt es Leute, die aus der Politik kommen und trotzdem unabhängig sein können.“Am Strafrecht­ler Brandstett­er störe ihn auch nicht, dass dieser zuvor Minister war, sondern: „Ich weiß von ihm nur, dass er mit Verfassung­srecht zeitlebens nichts zu tun hatte.“

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Foto: APA Im Dezember hat sich Wolfgang Brandstett­er aus der Regierung verabschie­det.
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Foto: APA Nun soll der ehemalige Justizmini­ster einer von 14 Richtern beim VfGH werden.

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