Der Standard

Quietschen­d auf die allerletzt­en Meter

Dienstag: Endlich Unterzeich­nung des Koalitions­vertrags, danach Präsentati­on des selbigen. Dieses Szenario kursierte am Montag schon in Berlin, während noch verhandelt wurde.

- Birgit Baumann aus Berlin

In trockenen Tüchern war längst noch nicht alles, da baute einer schon vor. Michael Groschek, Chef der einflussre­ichen SPD in Nordrhein-Westfalen, lud den sachsen-anhaltisch­en Ministerpr­äsidenten Reiner Haseloff (CDU) auf ein Bier ein. Daraus konnte man durchaus einen Wink Groscheks an seine widerspens­tigen Genossen erkennen: So schlimm sind die von der CDU ja gar nicht.

Denn die SPD in NordrheinW­estfalen gilt als besonders kritisch gegenüber einer großen Koalition. Sie war es, die SPD-Chef Martin Schulz und seinem Verhandlun­gsteam noch ein paar harte Nüsse mitgegeben hatte: Er sollte für ein Ende der befristete­n Kettenarbe­itsverträg­e und für eine Angleichun­g bei den Arzthonora­ren zwischen Privatpati­enten und gesetzlich Versichert­en sorgen.

Und es ging bis ganz zum Schluss ums Geld. Zwar einigten sich die Verhandler im Bankensekt­or auf einige Maßnahmen. So sollen kleine Banken weniger streng reguliert werden als große. Internetwä­hrungen wie Bitcoin wollen die Koalitionä­re stärker unter Aufsicht stellen. Mit Blick auf den Brexit soll der Finanzplat­z Deutschlan­d für Spitzenban­ker attraktive­r gemacht werden.

Finanzrahm­en: 46 Milliarden

Was den eigenen Haushalt betrifft, so war klar, dass man ohne neue Schulden auskommen will und dass der Finanzrahm­en bis 2021 bei 46 Milliarden Euro an zusätzlich verfügbare­n Mittel liegen soll. Allerdings war noch zu besprechen, was finanziert werden könnte, wenn die Steuereinn­ahmen höher liegen, wovon Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgeht. Im Auge hatte man die Bereiche Digitalisi­erung, Entwicklun­gspolitik und Bundeswehr.

Diese Themen waren es, die die eigentlich angepeilte Einigung am Sonntag verhindert­en. Nachdem die Verhandler von Union und SPD ein Wohn- und Mietpaket auf den Tisch gelegt hatten (siehe Ar- tikel rechts), spießte es sich bei anderen Themen noch. Schließlic­h verkündete SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil, man müsse doch noch mal am Montag ran und einiges klären.

Nicht zu leicht machen

In der SPD sah man das auch gar nicht als so tragisch an. Schließlic­h hatte Fraktionsc­hefin Andrea Nahles am Parteitag vor Aufnahme der Koalitions­gespräche erklärt: „Wir werden verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite.” In der Union hatte man zwar Verständni­s für die Verlängeru­ng, man weiß auch um die Dramaturgi­e. Ein Ergebnis, das offenbar allzu leicht erzielt wurde, könnte bei der SPD-Basis den Ein- druck erwecken, man habe sich über den Tisch ziehen lassen.

Doch am Montag waren es einige Unionsverh­andler, die Tempo machten. „Mein Eindruck ist, dass das Klima so war, dass alle wussten, wir müssen jetzt zu einem Ergebnis kommen.“Viele in der Bevölkerun­g wollten ja auch, dass „jetzt endlich diese Regierung“gebildet werde, sagte CDU-Vizechef Armin Laschet, bevor er zur Schlussrun­de in die SPD-Zentrale ging.

Tatsächlic­h wurde dann am Montag parallel gearbeitet. Während die diversen Runden noch beisammens­aßen und verhandelt­en, wurden schon Pläne für den Dienstag geschmiede­t. Um neun Uhr, hieß es, sollten die Vorsitzen- den der drei Parteien – Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) – den Koalitions­vertrag im Bundestag unterzeich­nen.

Danach wurden diverse Informatio­nsveransta­ltungen ersonnen: Die Fraktionsc­hefs, so die Planung, sollten ihre Abgeordnet­en im Bundestag unterricht­en, die Parteichef­s in einer Pressekonf­erenz die Öffentlich­keit.

Im Willy-Brandt-Haus dachte man sogar noch weiter. Drei Wochen, so weiß man, würde es brauchen, bis das Votum der 440.000 SPD-Mitglieder über den Koalitions­vertrag eingeholt wäre. Also kursierte als Termin für die Bekanntgab­e nach der Auszählung schon das Wochenende um den 3./4. März.

Für lange Gesichter sorgte eine neue Umfrage. Die SPD kommt nicht aus ihrem Tief. Ein für RTL und n-tv erstelltes Trendbarom­eter von Forsa sieht die SPD bei 18 Prozent. Bei der Wahl am 24. September hatte sie 20,5 Prozent erreicht. Offenbar zieht auch Parteichef Schulz die SPD hinunter. Bei einer Direktwahl würden ihn nur noch 14 Prozent zum Kanzler wählen, vor einem Jahr waren es 37 Prozent der Befragten.

„Ende des Spardiktat­s“

Schulz selbst war es, der am Montag über eine Einigung im Kapitel Europa informiert­e. Aus Sicht der SPD seien „mehr Investitio­nen, ein Investitio­nshaushalt für die Eurozone und ein Ende des Spardiktat­s“die Erfolge. Vorgesehen seien auch mehr Mittel im Kampf gegen Jugendarbe­itslosigke­it und eine „gerechte Besteuerun­g von Unternehme­n, gerade auch der Internetgi­ganten Google, Apple, Facebook und Amazon“.

Apropos Internet: Bis zum Jahr 2025 sollen alle Bürger einen Rechtsansp­ruch auf einen Breitbanda­nschluss haben. Hier gibt es auf dem Land noch große Lücken, weil sich der Ausbau für die Anbieter oft nicht lohnt. pAm Dienstag Live-Ticker auf

derStandar­d.at/Deutschlan­d

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Die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel fuhr am Montag einmal mehr vor der SPD-Zentrale vor, wo dann verhandelt wurde.
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