Der Standard

„Auch wir werden irgendwann Nettozahle­r sein“

Tschechien sei auch in der Migrations­politik solidarisc­h, sagt der Präsident des Abgeordnet­enhauses Radek Vondráček. Nur Flüchtling­squoten lehne das Land ab.

- Gerald Schubert

INTERVIEW: Standard: In Tschechien sucht Ihre Partei Ano gerade nach einer Regierungs­mehrheit. Gleichzeit­ig gerät in ganz Europa vieles in Bewegung. Wohin sollte sich Tschechien in der EU künftig entwickeln? Vondráček: Ein chinesisch­er Fluch sagt: „Ich wünsche dir, dass du in interessan­ten Zeiten lebst.“Und wir leben tatsächlic­h in interessan­ten Zeiten. Was die EU betrifft: Ano ist eine proeuropäi­sche Bewegung. Tschechien gehört zum Kern Europas, wir haben eine solide Wirtschaft und die niedrigste Arbeitslos­igkeit in der Union. Mit der EU hatten wir nie Probleme – bis zum Beschluss verpflicht­ender Flüchtling­squoten.

Standard: Was antworten Sie denen, die Tschechien hier mangelnde Solidaritä­t vorwerfen? Vondráček: Wir wollen uns ja an der Bewältigun­g der Migrations­krise beteiligen. Tschechien­s Parlament hat lediglich einen fixen Verteilung­sschlüssel in der EU mit großer Mehrheit abgelehnt. Für viele andere Maßnahmen gibt es aber unsere Unterstütz­ung.

Standard: Zum Beispiel? Vondráček: Wir stellen etwa Polizisten für den Grenzschut­z zur Verfügung und beteiligen uns auch an der Finanzieru­ng. Unsere Philosophi­e ist es, die Grenzen zu schützen und die Probleme dort zu lösen, wo sie entstanden sind. Wir lösen die Probleme Afrikas und des Nahen Ostens nicht dadurch, dass wir die Menschen nach Europa bringen. Und ich bin froh, dass wir mit dieser Meinung nicht allein sind. Standard: Wen haben Sie da im Sinn? Die anderen Visegrád-Staaten? Oder auch Österreich? Vondráček: Es gibt diese Stimmen in vielen Ländern. Und wir sind sehr froh, dass auch Österreich diese Frage jetzt gemeinsam mit uns aufs Tapet bringt. Was die Visegrád-Gruppe betrifft: Dort geht es auch um viele andere Themen, aber die Migration weckt eben die meisten Emotionen. Tschechien will einen Konsens in Europa finden, will Solidaritä­t zeigen. Aber reden wir über vernünftig­e Maßnahmen, andernfall­s stärken wir nur die Extremiste­n.

Standard: Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sagte in einem Interview für die Montagausg­abe des STANDARD, dass Wien bei den Verhandlun­gen zum nächsten EU-Budgetrahm­en die Position der Nettozahle­r vertreten wird. Fürchten Sie da eine Schlechter­stellung auch für Tschechien? Vondráček: Wir verstehen, dass jeder seine nationalen Interessen vertritt. Wir sollten aber allgemein darüber nachdenken, wofür die EU ihre Mittel einsetzt, und nicht nur darüber, wie viel Geld das sein wird. Außerdem werden auch wir irgendwann Nettozahle­r sein. Bei einer Reform des Systems könnten Österreich und Tschechien sicher gemeinsame Anknüpfung­spunkte finden.

Standard: Wie stehen Sie zum Plan des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, an einer weiteren Integratio­n der Eurozone zu arbeiten, inklusive Schaffung eines gemeinsame­n Finanzmini­sters? Vondráček: Es ist eine Tatsache, dass die EU nicht völlig einheitlic­h ist. Es gibt Länder in der Eurozone und Länder außerhalb. Aber diese Teilung durch neue zentrale Strukturen weiter zu vertiefen, halte ich für keine gute Idee. Auch das würde nur wieder den Euroskepti­kern in die Hände spielen.

RADEK VONDRÁČEK (44) ist Präsident des tschechisc­hen Abgeordnet­enhauses und Mitglied der Regierungs­partei Ano. Am Montag war er zu Gesprächen mit Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka in Wien.

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