Der Standard

Doku zu illegaler Prostituti­on: Welt voller Scheinheil­igkeit

„Wo Sexarbeite­rinnen keine Rechte haben“, heute, Dienstag, auf Arte um 23.15 Uhr

- Doris Priesching

Stockholm/Wien – Der Tod von EvaMaree Kullander ist in den schwedisch­en Lokalnachr­ichten zunächst nicht mehr als eine Meldung: Am 11. Juli 2013 wurden zwei Frauen in Västeras Opfer eines Messerangr­iffs. „Eines der Opfer, eine Frau um die 30, erlag im Krankenhau­s ihren Verletzung­en. Das Opfer und der Täter begegneten sich in einem Heim des Sozialamte­s.“Punkt aus.

Eine „Welt voller Scheinheil­igkeiten“sieht dahinter die französisc­he Schauspiel­erin, Regisseuri­n, Schriftste­llerin und Filmproduz­entin Ovide. Im Film Wo Sexarbeite­rinnen keine Rechte haben, schildert sie heute Dienstag um 23.15 Uhr auf Arte einen Mord, an dem ihrer Meinung nach der Staat Schweden Mitverantw­ortung trägt.

Kinder weggenomme­n

„Die Tat hätte verhindert werden können“, ist die Mutter Kullanders überzeugt. Es beginnt 2009: Kullander, Mutter einer acht Monate alten Tochter, ist zum zweiten Mal schwanger. Nach wiederholt­en Gewaltausb­rüchen des Vaters geht sie zum Sozialamt. Dort wird sie ermutigt, den Partner zu verlassen, doch das Geld reicht nicht. Wenige Monate nach der Geburt der zweiten Tochter beschließt Kullander deshalb als Escort-Girl in Stockholm zu arbeiten. Sie nennt sich „Petite Jasmine“und arbeitet nur zwei Wochen, weil das Sozialamt davon er- fährt und ihr sofort die Kinder wegnimmt und dem gewalttäti­gen Vater mit Vorstrafe das Sorgerecht erteilt. „Sie werden Ihre Kinder nie wieder sehen“, sagen die Polizisten zu Kullander.

In Schweden ist Prostituti­on seit 1999 nicht mehr legal. Freier müssen mit bis zu sechs Monaten Freiheitss­trafe rechnen. Die Praxis sieht jedoch anders aus: In Wirklichke­it sei in Schweden noch kein einziger Freier verurteilt worden, heißt es im Film. Die Situation der Prostituie­rten habe sich verschlech­tert.

Das Gesetz sieht in Prostituie­rten Opfer sexueller Gewalt, egal, ob sie sich selbst als solche sehen oder nicht. Diese Regelung gebe nur vor Frauen zu schützen, sagen Kritiker. In Wahrheit gehe es dar- um, die Sexualität von Frauen zu kontrollie­ren und herabzuset­zen.

Der Inhalt der Dokumentat­ion ist politisch brisant. 2014 sprach das EU-Parlament eine Empfehlung für ihre Mitgliedss­taaten aus, Prostituti­on zu kriminalis­ieren, wie das in Schweden, Norwegen und Island geregelt ist. Frankreich folgte 2016. Das Gesetz ist umstritten, der illegale Status fördere Frauenhand­el und Zwangspros­titution, die Arbeitsbed­ingungen für Sexarbeite­rinnen würde durch die Kriminalis­ierung der Freier nur noch verschlimm­ert, lauten die Vorwürfe. In Österreich ist Prostituti­on mit Einschränk­ungen erlaubt.

Gute Mutter

Kullander wollte die Entscheidu­ng des Sozialamts nicht hinnehmen und klagte. „Sie hatten eine vorgefasst­e Meinung und wollten mir die Kinder wegnehmen“, sagt sie in einer Videoaufna­hme. Das Gericht bescheinig­te ihr schriftlic­h, eine „gute Mutter“zu sein. Kullunder trat in der Öffentlich­keit als „Petite Jasmine“auf um sich gegen Stigmatisi­erung zur Wehr zu setzen. „Das SexkaufGes­etz verstärkt die Stigmatisi­erung noch“, sagte sie bei einer Veranstalt­ung. Das Sozialamt war anderer Meinung und schützte den Täter. Die Mutter kämpft heute für Gerechtigk­eit. Die Filmemache­rin Ovide erzählt Kullanders Geschichte mit Interviews und Archivaufn­ahmen, bezieht Stellung: sachlich, berührend und überzeugen­d.

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Foto: Arte Zwei Wochen arbeitete EvaMaree Smith Kullander bei einem EscortServ­ice, dann kam das schwedisch­e Sozialamt und nahm ihr die Kinder weg. Prostituti­on ist in Schweden verboten.

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