Der Standard

Regisseure zwischen Genie und Tyrannei

Der im Standard veröffentl­ichte Brief von 60 Mitarbeite­rn des Burgtheate­rs, in dem diese Machtmissb­rauch in Kulturbetr­ieben anprangert­en, hat eine Diskussion ausgelöst. Wo liegt die Grenze zwischen Provokatio­n im Dienste der Kunst und verletzend­er Egomani

- Bert Rebhandl

Von dem Künstlerpa­ar JeanLuc Godard und Anna Karina gibt es eine berührende Szene. Viele Jahre nach dem Ende ihrer Beziehung sitzen sie in einer Talkshow und erinnern sich an die Zeit ihrer gemeinsame­n Arbeit in den Sechzigerj­ahren. Godard sagt dabei einen für ihn entscheide­nden Satz: „Alles, was ich ihr geben konnte, waren Filme.“Was er Anna Karina also nicht geben konnte, war ein Leben. Schon gar nicht ein gemeinsame­s, glückliche­s. Die Filme, die Godard damals mit Anna Karina in der Hauptrolle gemacht hat, sind längst Klassiker: Eine Frau ist

eine Frau oder Elf Uhr nachts. Aber auch die Beziehung zwischen Künstler und Star hat sich so in das allgemeine Gedächtnis eingeprägt, dass Michel Hazanavici­us (The Artist) im Vorjahr sogar einen Film darüber gemacht hat: In Le Redoutable sehen wir einen mürrischen, eifersücht­igen Godard, der alles tut, um seiner jungen Frau das Leben sauer zu machen.

In der Talkshow steht Anna Karina schließlic­h auf und lässt Godard noch einmal sitzen. Sie verzichtet auf Vorwürfe, aber sie ist so etwas wie ein lebender Vorwurf. Godard bleibt auf diesem Vorwurf sitzen, und er hat als Ausflucht nur eine klassische Begründung: Er wollte die Kunst mit dem Leben zusammenfü­hren, aber irgendwie hat es nicht geklappt. Wenn dieser Tage wieder viel von missbräuch­lichem Verhalten von Männern am Theater, im Kino und beim Fernsehen die Rede ist, dann muss man diese älteren Konstellat­ionen immer im Hintergrun­d behalten: Godard selbst berief sich auf Josef von Sternberg, der in Marlene Dietrich ein Modell und eine Muse hatte, die er ganz nach seinen Vorstellun­gen zu gestalten versuchte. Der männliche Künstler und das weibliche, formbare Wesen, von dem Inspiratio­n und erotische Energie ausgehen, das ist ein Topos, der bis in die Gegenwart wirkt und der noch immer dazu beiträgt, dass kreative Männer meinen, sich Freiheiten herausnehm­en zu können, die keine sind.

Gewalt als Instrument

Wenn Dieter Wedel sich bei Dreharbeit­en wie ein Tyrann verhält oder Matthias Hartmann bei Theaterpro­ben mit rhetorisch­en und anderen Tabubrüche­n spielt, dann tun sie das auch auf der Grundlage eines Kunstverst­ändnisses, das geradezu auf Regelverle­tzungen beruht. Wedel und Hartmann sind zwar keine Genies (während Godard durchaus von vielen als ein Genie des Kinos gesehen wird), aber sie agieren mit den Lizenzen, die man lange Zeit dem genialen Individuum zubilligte. Schon in der Klassik der Goethe-Zeit gab es einen Widerspruc­h zwischen den Harmonieid­ealen des Bildungsro­mans und revolution­ären Energien, für die es ein ganzes 19. Jahrhunder­t brauchte, um sie in eine bürgerlich­e Ordnung zu bringen. Es war aber gerade die Bourgeoisi­e, die als Gegenbild zum Philister das außergewöh­nliche Individuum erschuf.

Dass sexuelle Unersättli­chkeit auch als Ausweis von Genie gilt, sieht man an den großen Malerfürst­en der Moderne, von denen fast alle viele Geliebte hatten. Am Theater und vor der Kamera kommt allerdings noch ein weiterer Aspekt hinzu, der zwischen Maler und Modell noch anders strukturie­rt ist: Zwischen Regisseur und Schauspiel­er geht es ja um das lebendige Leben, das Spiel ist „live“oder soll zumindest als solches eingefange­n werden. Um dieses Leben in seiner ganzen Fülle zu finden, bedarf es eben auch dramatisch­er, notfalls paradoxer Techniken, muss man nach Möglichkei­ten suchen, an die eigenen Grenzen zu gehen – und darüber hinaus.

Macht und sogar Gewalt können also, wie Verführung und Spiel, als Instrument­e von Katharsis gesehen werden, als Techniken einer Entsublimi­erung, die in der Kunst eben das Gegenteil des Lebens sieht – das Leben ist normal, die Kunst ist extrem.

Ist die Popkultur schon weiter?

Alle diese Unterschei­dungen haben immer auch eine Geschlecht­erdimensio­n, werden also in die lange geläufigen Vorstellun­gen von Mann und Frau eingetrage­n. Für die modernen Gesellscha­ften stellt es einen höchst peinlichen Befund dar, dass ausgerechn­et in den Künsten die traditione­llen Hierarchie­n besonders hartnäckig zu sein scheinen. Denn eigentlich wäre doch gerade das Theater ein Ort, eine „moralische Anstalt“(Schiller), an dem man besonders kühn an der Aufhebung des Primats von Männern arbeiten könnte, die sich in jeder Hinsicht für zu wichtig nehmen. Die Popkultur ist da in vielerlei Hinsicht deutlich weiter als die Kultur, die man gern immer noch als die hohe bezeichnet.

Jean-Luc Godard traf übrigens später mit Anne-Marie Miéville eine Partnerin, die seine Misanthrop­ie offensicht­lich besser aushielt. Mit ihr lebt und arbeitet er seither in der Schweiz, und zwar so zurückgezo­gen, dass nicht mehr viel nach außen dringt, wie es sich mit Kunst und Leben im gemeinsame­n Haushalt genau verhält. Nackte Frauen sah man allerdings weiterhin so regelmäßig in den Filmen von Jean-Luc Godard, dass man von einem Klischee sprechen muss. Es ist ein sehr altes und wohl auch deswegen ein sehr hartnäckig­es.

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