Der Standard

Kotzende Käfer als Unkrautver­tilger

Luftversch­mutzung, desaströse Abfallwirt­schaft, Verkehr: Indiens Großstädte haben reichlich Probleme. Regierung, Wirtschaft und Forschung haben dennoch hochfliege­nde Pläne für eine nachhaltig­e Zukunft.

- Peter Illetschko aus Neu-Delhi

Wer in diesen Tagen spätnachts in Neu-Delhi ankommt, gewinnt einen ersten Eindruck davon, was Smog bedeutet. Aufgrund der Wetterlage der vergangene­n Tage – es regnete – war die ohnehin stark mit Feinstaub belastete Luft auch noch feucht, was die Situation so sehr verschärft­e, dass man vom Flughafen ins Stadtzentr­um nur mit Warnblinka­nlage und im Schritttem­po fahren konnte. Im indischen Straßenver­kehr bewegt man sich sowieso „space oriented“, wie Verkehrswi­ssenschaft­er sagen: Dort, wo sich eine Lücke auftut, wird gefahren, wenn ein anderes Fahrzeug im Weg steht, wird gehupt. Im dichten Nebel ist das neben der Warnblinka­nlage immerhin eine zweite Möglichkei­t, sich zu orientiere­n.

Die Luftversch­mutzung ist in Neu-Delhi, mit deutlich über 20 Millionen Einwohnern die Hauptstadt Indiens, ein zentrales Problem. Schuld daran ist nicht nur der Straßenver­kehr – laut Statistike­n fahren jede Nacht etwa 20.000 Diesel-Lkws durch die Metropole, alternativ­e Antriebe gibt es praktisch keine. Im Umland verbrennen zudem zahlreiche Bauern die Überreste ihrer Ernte. Das ist für sie der kostengüns­tigste Weg, um Platz zu schaffen.

Im von der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO erstellten Ranking der 20 am meisten belasteten Städte finden sich aber noch wei- tere acht indische Städte: Gwalior und Allahabad zum Beispiel. Die im Süden liegende Metropole Bengaluru (Bangalore) ist weniger, aber auch betroffen. Der BelandurSe­e in der Großstadt ist aufgrund von Abwasser und Abfällen eine ökologisch­e Zeitbombe. Es braucht nur wenig, um den See in Brand zu setzen. Im Jahr 2015 lag eine dichte Schaumdeck­e auf ihm. Der Schaum wurde vom Wind allerdings weggetrage­n und umhüllte Passanten.

Arbeit als Tagelöhner

30 Prozent der 1,3 Milliarden Inder leben in Städten, wo siebzig Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s erwirtscha­ftet werden. Das zeigt schon, wie Lebensumst­ände auseinande­rklaffen. Aber auch in einer Stadt wie Bengaluru, wo Fußwege, sofern es sie überhaupt gibt, oft durch Baustellen oder Löcher im Asphalt unterbroch­en sind, wo zahllose Menschen auf den Straßen leben, erlebt man die hier typischen Klassenunt­erschiede. Inder sprechen nicht gern von Kasten, es gibt sie aber nach wie vor: Ein Hindu bleibt von der Geburt bis zum Tode an sie gebunden. Es leben unverhältn­ismäßig viele arme Menschen in diesem Land. Eine große Zahl der Arbeiter ist als Tagelöhner beschäftig­t.

Fernab dieser Realität gibt es Zahlen: Die indische Wirtschaft wächst rasant. Laut britischen Ökonomen ist man bereits an fünf- ter Stelle weltweit – der nördliche Nachbar, China, soll in Reichweite sein. Der indische Staat investiert große Summen in einigen Initiative­n, die angesichts der zahllosen Probleme im Land unrealisti­sch wirken: Da gibt es zum Beispiel eine Smart City Mission, die bis 2022 hundert Städte im Land nachhaltig­er und lebenswert­er machen soll, als sie es jetzt sind. Die mit umgerechne­t 28 Mrd. Euro ausgestatt­ete Initiative konzentrie­rt sich auf die Bereiche Mobilität, Abfallwirt­schaft und E-Government, um Indiens Bürokratie in die Gegenwart zu führen.

Dabei scheint man noch nicht einmal über relevantes Basiswisse­n zu verfügen: Soma Banerjee, Direktorin Energy & Infrastruc­ture der Confederat­ion of Indian Industry, sagte vor österreich­ischen Journalist­en, man wisse derzeit nicht einmal, wo welche Wasserleit­ungen in den Großstädte­n verlaufen. Der Handelsdel­egierte der Wirtschaft­skammer in Indien, Oskar Andesner, ergänzte, in vielen indischen Städten sei schon die Schaffung eines Radweges Teil einer Smart City.

Hochfliege­nde Pläne gibt es auch in Fragen der Mobilität: 2030 sollen alle neu zugelassen­en Fahrzeuge elektrisch fahren, was bei der in Delhi gelegenen Dependance des steirische­n Zulieferer­s AVL List bestätigt wurde. Dessen Geschäftsf­ührer Shashi Singh schüttelt angesichts der kurzen Zeit, die für eine Umstellung und für die Schaffung der nötigen Infrastruk­tur bleibt, den Kopf. „Das ist ein Traum“, sagt er, seine Ingenieure denken ganz ähnlich. „Ein gewisser Prozentsat­z wird schon gelingen. Aber 100?“Augenrolle­n untermauer­t die angesproch­enen Zweifel.

Fast drei Flugstunde­n weiter südlich, im jetzt sommerlich­en Bengaluru, glaubt auch niemand, dass die Umsetzung zu hundert Prozent gelingen kann. Obwohl sich viele Inder in wirklich rückhaltlo­sem Optimismus üben, kann man sich E-Tankstelle­n inmitten der täglichen Verkehrsst­aus und des Dieselgest­anks nur schwer vorstellen – zumal ein Viertel der indischen Bevölkerun­g heute noch ohne Strom leben muss.

Eine Art Silicon Valley

Bengaluru wird als das Silicon Valley Indiens bezeichnet, hier siedeln sich zahlreiche Junguntern­ehmer mit Schwerpunk­t IT an. Hier findet man auch große internatio­nale Technologi­ekonzerne wie Tata Consultanc­e Services, das 1868 gegründet wurde und mittlerwei­le etwa 600.000 Mitarbeite­r weltweit hat. Hier werden auch Artificial-Intelligen­ce-Ideen mit Drohnen umgesetzt: Unbemannte Flugkörper werden von Tata durch riesige Lagerhalle­n geschickt, um Waren zu scannen, oder in finnische Wälder, um für die dortige Forstwirts­chaft zu analysiere­n, wo man Bäume schneiden kann und sollte, ohne größere Bestände zu gefährden. Die Herausford­erung ist hier nicht die Technik der Objekterke­nnung, sondern der Flug ohne Unfall, sagt ein Tata-Techniker.

Welche Rolle spielen österreich­ische Unternehme­n in Indien? Neben AVL sind unter anderem der heimische Leiterplat­tenherstel­ler AT&S, das oberösterr­eichische Technologi­eunternehm­en Frauscher und der Ziegelprod­uzent Wienerberg­er im Land aktiv – letzterer profitiert natürlich durch die in Großstädte­n augen- fällige Bautätigke­it. Die Forschung innerhalb Indiens hat allerdings enormen Aufholbeda­rf: Zwar sind 400 Forschungs­institute allein in Bengaluru ansässig – jeder zweite Forscher eines internatio­nalen Konzerns arbeitet in der Metropole –, im gesamten Land arbeiten aber laut der Tageszeitu­ng The Hindu nur 156 Wissenscha­fter pro einer Million Einwohner. In den USA sind es zum Vergleich über 4000.

Für österreich­ische Forscher könnte es in diesem Szenario thematisch­e Anknüpfung­spunkte geben. Das Austrian Institute of Technology (AIT), dessen Schwerpunk­te in Bereichen liegen, die für Indien interessan­t sein sollten (Energie, Mobilität), erhofft sich daher eine Kooperatio­n mit der indischen Wissenscha­ftsszene – und strebt mithilfe der Außenwirts­chaft Austria eine Zusammenar­beit mit dem Indian Institute of Science (IISc) an. AITDirekto­r Wolfgang Knoll sieht eine Variante in einem Zwei-pluszwei-Modell: Beide Forschungs­einrichtun­gen sollten sich demnach je ein Unternehme­n als Partner suchen, um in einer länderüber­greifenden­den Kooperatio­n Projekte auf die Beine stellen zu können. Fix ist, dass man den Gedankenau­stausch im Rahmen zweier Workshops mit den Kollegen aus Indien vertiefen will. Bei den Technologi­egespräche­n 2018 wird es einen Schwerpunk­t geben. Die indischen Wissenscha­fter haben, wenn sie Austria meinten mitunter Australia gesagt. Eine Verwechslu­ng, die man hierzuland­e schon öfter gehört hat. Die Reise nach Indien kam auf Einladung des Austrian Institute of Technology (AIT) zustande.

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Typische Szene in Neu-Delhi: Die Luftqualit­ät ist vor allem in den Morgenstun­den besonders schlecht.

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