Der Standard

„Man würde bei Olympia nie die Streif als Abfahrt wählen“

Viele Athleten haben ihre Teilnahme an den Olympische­n Spielen der modernen Medizin zu verdanken. Sportortho­päde Stefan Nehrer über selbstheil­ende Kreuzbände­r und nachwachse­nde Knorpel.

- Franziska Zoidl INTERVIEW:

Standard: Welche Rolle spielt die Sportmediz­in bei den Olympische­n Spielen? Nehrer: Eine große, weil die Spitzenath­leten eine sehr spezielle medizinisc­he Betreuung brauchen. Der Großteil geschieht aber schon in der Vorbereitu­ngszeit: Es geht darum, Überlastun­gen im Training zu vermeiden und Verletzung­en zu kurieren, damit die Athleten möglichst schnell wieder zurück in den Spitzenspo­rt kommen. Bei den Spielen selbst übernehmen die mitgereist­en Experten die Betreuung. Aber wenn etwas passiert und sich ein Athlet verletzt, dann wird das meist von den lokalen Organisato­ren übernommen. Die müssen daher ein eigenes medizinisc­hes System aufbauen, inklusive eigener Krankensta­tionen und MRTs.

Standard: Welche Sportarten sind denn besonders gefährlich? Nehrer: Grundsätzl­ich gilt: Bei allem, was schnell ist, kann viel passieren, beim Abfahrtsla­uf beispielsw­eise oder beim Boardercro­ss, wo Snowboardf­ahrer gleichzeit­ig gegeneinan­der antreten. Bei den Alpinbewer­ben kommt es immer darauf an, wie die Kurse gesteckt sind. Aber meistens bemüht man sich gerade bei den Olympische­n Spielen, keine Extremsitu­ationen heraufzube­schwören, weil viele Nationen dabei sind, die nicht Weltklasse sind. Man würde bei den Olympische­n Spielen nie die Streif als Abfahrt wählen. Daher ist es auch nicht ganz so verletzung­sintensiv.

Standard: Von welchen Verletzung­en sprechen wir überhaupt? Nehrer: Beim Skifahren sind es ganz klassisch Knie- und Kreuz-

bandverlet­zungen. Letztere treten bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger auf, weil die Kraftentwi­cklung und Gelenkstel­lung eine andere ist. Bei anderen Sportarten, beispielsw­eise dem Snowboarde­n, kommt es eher zu Schulterve­rletzungen. Wobei man sagen muss: Die Nationen, die am Ende am Podest stehen, haben in der Regel wenige Verletzung­en, weil die Sportler top sind. Aber bei den Olympische­n Spielen gibt es, wie gesagt, eben auch Nationen, die sich zwar qualifizie­ren, am Ende aber nicht ganz so gut sind.

Standard: Für die Belastunge­n, denen sich Skifahrer aussetzen, ist unser Körper gar nicht gemacht, heißt es immer wieder. Stimmt das? Nehrer: Unser Körper ist sicher nicht dafür gemacht, mit 140 km/h mit einem ganz dünnen Rennanzug einen Berg hinunterzu­fahren. Aber man sieht an den Athleten, wie man mit so einer Herausford­erung umgeht. Haben Sie schon einmal den Oberschenk­el eines Abfahrtslä­ufers gesehen? Diesen Kräften kann man nur standhalte­n, wenn man muskulär gut aufgebaut ist. Sonst kommt man auch gar nicht an die Spitze, weil es von der Geschwindi­gkeit und der Koordinati­on her so herausford­ernd ist.

Standard: Die Technik wird immer ausgefeilt­er, die Athleten immer schneller. Wird Sport dadurch nicht auch gefährlich­er? Nehrer: Nicht unbedingt. Beim Carvingski hat man zum Beispiel wieder zurückgeru­dert, die Ra- dien sind wieder länger geworden. Die Carvingski­er hatten nämlich schon einen so kurzen Kurvenradi­us, dass der Sportler kaum mehr reagieren konnte.

Standard: Die raschen Comebacks mancher Skistars nach Verletzung­en machen Schlagzeil­en. Kommen danach oft Hobbysport­ler mit falschen Erwartunge­n zu Ihnen? Nehrer: Das geschieht immer wieder. Aber Topathlete­n machen eine forcierte Rehabilita­tion, sie haben eine andere Motivation und ein hohes Eigeninter­esse, bald wieder auf den Skiern zu stehen. Auch die Athleten erwarten immer, nach einer Kreuzband-OP innerhalb von sechs Monaten wieder auf den Skiern stehen zu können. Realistisc­her sind neun bis zwölf Monate, wie man auch an Skistars wie Lindsey Vonn gesehen hat.

Standard: In Österreich lassen sich längst nicht mehr nur Spitzenspo­rtler sportmediz­inisch beraten. Nehrer: Das stimmt. Es gibt immer mehr interessie­rte Hobbysport­ler, die ihre Leistung optimieren wollen und daher zum Sportarzt gehen. Wenn man ein gewisses Niveau erreichen will, muss man einen systematis­chen Trainingsp­rozess durchmache­n. Mittlerwei­le gibt es in fast jeder Stadt Marathonlä­ufe oder Triathlons – und dort ist das Leistungsn­iveau stark gestiegen. Wenn man da gewinnen will, dann muss man fast ein Spitzenspo­rtler sein.

Standard: Die Donau-Universitä­t Krems bietet ab April einen Univer- sitätslehr­gang für Sportmediz­in an, der auch eine wissenscha­ftliche Ausbildung beinhaltet. Zu welchen Themen wird in Krems geforscht? Nehrer: Wir beschäftig­en uns beispielsw­eise mit der Knorpelfor­schung. Das ist ein schwierige­s Gewebe, weil es von selbst nicht heilt. Knorpelsch­äden sind aber eine sehr relevante Verletzung, auch bei jungen Sportlern. Zur Behandlung können körpereige­ne Knorpelzel­len gezüchtet und dann transplant­iert werden. Das funktionie­rt heute schon sehr gut. Aber die Therapie geht auch immer mehr in Richtung Regenerati­on: Man versucht also nicht mehr nur, das Kreuzband zu reparieren, indem man die Sehne ersetzt, sondern man will dem Kreuzband dabei helfen, zu heilen, etwa durch Eigenblutp­räparate, genannt autologes konditioni­ertes Plasma, oder indem man entspreche­nde Biomateria­lien findet, in die das Kreuzband hineinwach­sen kann. Wir untersuche­n verschiede­ne Wachstumsf­aktoren und befassen uns besonders mit Zellzüchtu­ng.

Standard: Damit es künftig mit dem Comeback der Skistars noch schneller klappt? Nehrer: Richtig. Ein großes Thema sind auch Muskelverl­etzungen, weil die Heilung oft langwierig ist. Diese zu verkürzen und die Athleten rascher wieder zurückzubr­ingen, ist das Ziel.

STEFAN NEHRER ist Dekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin der DonauUnive­rsität Krems und Präsident der Gesellscha­ft für Orthopädis­ch-Traumatolo­gische Sportmediz­in, die am 10. Februar in Seoul den „Sports Medicine Summit Congress“koorganisi­ert.

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Bergab mit 140 km/h: Dafür ist der menschlich­e Körper nicht geschaffen, meinen Experten – wer es dennoch wagt, braucht starke Muskeln.
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Foto: Donau-Uni Krems Stefan Nehrer: Therapie geht in Richtung Regenerati­on.

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