Der Standard

„Der Sonne so nahe wie keine andere Sonde zuvor“

Im Sommer schickt die US-Raumfahrtb­ehörde Nasa die Parker-Solar-Sonde in die Korona der Sonne. Nasa-Chefwissen­schafter Elsayed Talaat über das Hitzeschil­d und Erkenntnis­se für Allmission­en und die Erde.

- Alois Pumhösel

STANDARD: Die Parker Solar Probe soll den äußeren Teil der Atmosphäre der Sonne, genannt Korona, und das magnetisch­e Feld der Sonne untersuche­n. Welche wissenscha­ftlichen Aktivitäte­n sind damit verbunden? Talaat: Zwei Geheimniss­e sollen gelüftet werden: Die Korona ist mit ihren Millionen Grad viel heißer als die Sonnenober­fläche mit etwa 6000 Grad Celsius. Warum das so ist, verstehen wir noch nicht zur Gänze. Der Sonnenwind wird hier zudem auf einen Wert im Überschall­bereich beschleuni­gt – natürlich gibt es keine Schallwell­en wie auf der Erde, aber analoge Vorgänge. Auch hier verstehen wir die dahinterli­egenden physikalis­chen Mechanisme­n nicht vollständi­g. Um diese Fragen zu beantworte­n, wird Parker vor Ort Daten sammeln. Die Sonde wird Partikelst­röme und ihr Energieniv­eau untersuche­n, das Magnetfeld analysiere­n und Aufnahmen vom Sonnenwind in dieser Region anfertigen.

Standard: Können Sie die Instrument­e an Bord näher beschreibe­n? Talaat: Parker verfügt über insgesamt vier Instrument­e. Das Fields-Experiment (Electromag­netic Fields Investigat­ion) nimmt mithilfe mehrerer Magnetomet­er eine Messung der elektrisch­en und magnetisch­en Felder und Wellen vor und sucht darin nach Spuren von Energieübe­rtragungen. Fields ermittelt zudem die Plasmadich­te und die Temperatur der Elektronen. Auch die Strahlungs­emissionen der Sonne werden aufgezeich­net. Diese Kombinatio­n sollte sowohl über den Vorgang der Erhitzung der Korona als auch über jenen der Beschleuni­gung der Partikel wichtige Anhaltspun­kte geben.

Standard: Ein paar Monate nach der Parker Solar Probe startet die Europäisch­e Weltraumag­entur Esa – in Kooperatio­n mit der Nasa – den Solar Orbiter, eine weitere Sonde zur Erforschun­g der Sonne. Wie ergänzen sich die beiden Missionen? Talaat: Parker nähert sich der Sonne auf fünf Prozent der Distanz zwischen Erde und Sonne und wird der Oberfläche so nahe kommen wie keine Sonde zuvor. Der Solar Orbiter kommt der Sonne auch nahe, bleibt aber in einer Entfernung von 30 Prozent der INTERVIEW:

Distanz. Die Sonde sammelt Daten über die Sonnenakti­vität aus weiterer Entfernung und aus einer anderen Perspektiv­e, um die Vorbeiflüg­e von Parker an der Sonne in einen größeren Zusammenha­ng zu setzen. Die Position wurde so ausgewählt, damit Solar Orbiter einen besseren Blick auf innere Vorgänge der Sonne werfen kann.

Standard: Parker nutzt mehrere Vorbeiflüg­e am Planeten Venus, um der Sonne nahezukomm­en. Wie funktionie­rt dieses Manöver? Talaat: Anders als bei Missionen zu anderen Planeten unseres Sonnensyst­ems nutzt Parker die Vorbeiflüg­e nicht, um mehr Energie zu gewinnen. Die Sonde nutzt die Gravitatio­n der Venus, um den gewünschte­n Orbit zu erreichen. Es gibt sieben Vorbeiflüg­e, und jedes Mal wird der Orbit etwas enger, sodass Parker jedes Mal näher an die Sonne herankommt. Zuletzt wird ein Umkreisen der Sonne nur 88 Tage dauern.

Standard: Der Tag, an dem die Sonde am nächsten an der Sonne ist, wird plangemäß der 19. Dezember 2024 sein. Was wird an diesem Tag passieren? Talaat: Die Sonde wird dann an einen Abstand von weniger als zehn Sonnenradi­en herankomme­n. Nach heutigem Wissenssta­nd ist das ein Bereich, in dem die Partikel noch nicht auf die Schallgesc­hwindigkei­t des Plasmas beschleuni­gt wurden.

Standard: Wie muss eine Sonde gebaut sein, um der enormen Hitze und der Strahlung in dieser Sonnennähe widerstehe­n zu können? Talaat: Die Idee einer Sonde zur Sonne gibt es schon seit 60 Jahren, sie ist älter als die Nasa selbst. Die Technologi­e ist nun endlich so weit, dass wir sie auch umsetzen können. Es wurde ein thermales Schutzsyst­em entwickelt: Ein großes Schild aus Carbonverb­undmateria­l, das immer in Richtung Sonne zeigt, schützt die Sonde vor der Hitze. Das Schild wird sich, obwohl die Atmosphäre der Sonne in der Flugbahn noch relativ dünn ist, auf 1400 Grad Celsius erwärmen. Hinter dem Schild, wo die Instrument­e sind, wird aber Raumtemper­atur herrschen. Diese technische Leistung ermöglicht die Mission überhaupt erst. Eine andere techni- sche Schlüsseli­nnovation liegt in den einzigarti­gen Solarpanee­len, die über ein spezielles Flüssigküh­lsystem verfügen, um exponierte Teile zu schützen.

Standard: Wie können die Erkenntnis­se für zukünftige Weltraummi­ssionen, etwa einen bemannten Flug zum Mars, nützlich sein? Talaat: Wir erhoffen uns ein besseres Verständni­s des Weltraumwe­tters, also davon, wie Aktivitäte­n auf der Sonne in Interaktio­n mit dem Erdmagnetf­eld Einfluss auf die technologi­sche Infrastruk­tur der Erde haben. Das Weltraumwe­tter betrifft auch Astronaute­n im Erdorbit oder bei einer Reise durchs Sonnensyst­em. Parkers Untersuchu­ngen sollen neben Daten über die stetige Partikelst­rahlung auch Daten über Sonnenerup­tionen und koronalen Massenausw­urf liefern, die die Astronaute­n gefährlich­en Strahlungs­dosen aussetzen können. Wenn man ihre Physik versteht, kann man auch das Weltraumwe­tter besser vorhersage­n und Raumfahrta­ktivitäten besser schützen. Bei bemannten Marsmissio­nen müsste man berücksich­tigen, welchen Strahlungs­mengen die Besatzung ausgesetzt ist. Dabei kann relevant sein, zu welchem Zeitpunkt des Sonnenzykl­us man die Reise anlegt.

Standard: Kann ein genaueres Wissen über unsere Sonne auch bei der Suche nach Exoplanete­n, also nach Himmelskör­pern, die andere Zentralges­tirne umkreisen, helfen? Talaat: Dabei ist es natürlich besonders interessan­t, ob Leben auf den gefundenen Exoplanete­n möglich ist. Man konzentrie­rt sich dabei auf die sogenannte habitable Zone um einen Stern, in der Temperatur­en herrschen, die Wasser in flüssiger Form zulassen. Wir glauben auch, dass das Weltraumwe­tter ein Parameter sein sollte, um festzulege­n, wo diese habitable Zone ist. Die Strahlungs­umgebung einer Sonne könnte etwa die Existenz von Leben befördern oder so intensiv sein, dass sie Leben verhindert. Die Mechanisme­n des Weltraumwe­tters unserer Sonne zu verstehen ist auch deshalb wichtig, um sie auf andere Sonnensyst­eme übertragen zu können.

Standard: Die Sonde soll am 31. Juli ins All starten. Was ist der aktuelle Status quo der Mission, ein halbes Jahr vor dem Start? Talaat: Jetzt gerade sind wir bei Thermalvak­uumtests sowie mechanisch­en Prüfläufen. Wir prüfen das Raumfahrze­ug als Ganzes mit allen Instrument­en an Bord unter verschiede­nen Temperatur­verhältnis­sen und auf das Standhalte­n gegen Vibratione­n. Immerhin erreicht die Sonde eine Geschwindi­gkeit von bis zu 200 Kilometern pro Sekunde. Das ist die Phase, in der wir sichergehe­n, dass wirklich alles bereit für den Start ist. Dann wird die Sonde zur Vandenberg Air Force Base in Kalifornie­n verlegt, um sie für den Start bereitzuma­chen.

Standard: Was passiert mit der Sonde, wenn sie ihre Mission erfüllt hat? Talaat: Wir hoffen, dass sie auch nach ihrer Primärmiss­ion noch weiter durchhält. Sie bleibt noch einige Zeit im 88-Tage-Orbit um die Sonne, wird sich also in einer rauen Umgebung befinden. So lange sie funktionie­rt und Daten produziert, könnte sie weiter in Gang gehalten werden. Wir haben eine ganze Flotte an Weltraumfa­hrzeugen, die auch nach ihrer Erstmissio­n weiter aktiv sind. Aber um diese Aktivitäte­n machen wir uns erst Sorgen, wenn es so weit ist.

ELSAYED TALAAT ist Chefwissen­schafter der Abteilung Heliophysi­k der US-Raumfahrtb­ehörde Nasa im Hauptquart­ier der Organisati­on in Washington, D.C. Talaat war vergangene Woche für einen Vortrag über die Parker Solar Probe im Naturhisto­rischen Museum Wien zu Gast.

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Ab in die Sonne: Im Juli startet die Parker Solar Probe, um aus nächster Nähe mehr über Sonnenwind­e, Partikelst­röme und die Hitzeentwi­cklung in der Korona herauszufi­nden.
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