Der Standard

Das Handy, mein Aushilfsth­erapeut

Bei einer Psychother­apie finden wichtige psychische Prozesse oft nicht während, sondern zwischen den Sitzungen statt. Um diese Prozesse zu erfassen und bei Bedarf auch die Gedanken in die richtige Richtung zu lenken, entwickeln Forscher nun eine Handy-App

- Doris Griesser

Psychother­apie aus dem Internet ist mittlerwei­le eine weitverbre­itete Praxis. Immer mehr Menschen nutzen solche niederschw­elligen digitalen Angebote zur Behandlung von Depression­en, Angst, Burnout und mehr. Wobei die psychother­apeutische Fernbehand­lung via Skype, E-Mail und Co nicht grundsätzl­ich unseriöser sein muss als eine Behandlung in der analogen Welt. Die Digitalisi­erung bringt eben auch in diesem Bereich der Gesundheit­sversorgun­g einen tiefgreife­nden Wandel mit sich.

Gewisse Grundkonst­anten aber bleiben auch in der IT-gestützten Psychother­apie bestehen: So dauert eine Sitzung in der Regel 50 Minuten und findet meist einmal pro Woche statt – egal ob virtuell per Skype oder traditione­ll in physischer Anwesenhei­t des Therapeute­n. Die meiste Zeit verbringt ein Klient also auch während einer Therapie ohne seinen Therapeute­n. Therapiefo­rscher gehen davon aus, dass aber auch oder gerade in diesen Zwischenph­asen relevante Prozesse ablaufen.

Diese sogenannte­n Intersessi­on-Prozesse umfassen alle Gedanken, Gefühle, Erinnerung­en und Fantasien des Patienten in Zusammenha­ng mit der Therapie und dem Therapeute­n. „Wir wissen aus Untersuchu­ngen, dass diese Zwischensi­tzungsproz­esse unmittelba­r mit der therapeuti­schen Beziehung und dem Behandlung­serfolg verbunden sind“, sagt Sylke Andreas, Professori­n für Klinische Psychologi­e und Psychother­apie an der Uni Klagenfurt und im deutschen Witten-Herdecke.

Digitale Stütze

Um Einblick in diese wichtigen, bislang aber wenig beachteten Prozesse zu bekommen und sie für die Therapie zu nutzen, will die Psychologi­n gemeinsam mit dem Doktorande­n Thorsten Gablonski die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung auch für die therapiefr­eie Zeit nutzen und eine spezielle Handy-App für Psychother­apiepatien­ten entwickeln. Finanziert wird das Vorhaben vom Jubilä- umsfonds der Österreich­ischen Nationalba­nk.

Die App soll mit Informatio­nen gespeist werden, die vom Patienten vor der Therapie abgefragt werden. Einige Zeit nach einer Sitzung wird er digital aufgeforde­rt, bestimmte Fragen zu beantworte­n: etwa ob er sich in schwierige­n Situatione­n an unterstütz­ende Sätze aus der Therapie erinnert hat, ob er von ihm oder ihr geträumt hat. Eine Skala von „oft“ bis „nie“liefert schließlic­h jene Daten, aus denen Art und Ausmaß der Intersessi­on-Prozesse ermittelt werden können.

„Solche mentalen Repräsenta­tionen wirken auf die nächste Sitzung ein und beeinfluss­en die Therapie“, sagt Sylke Andreas. An die 90 Prozent der Behandelte­n geben an, dass sie derartige Prozesse bei sich beobachtet haben. Ein gutes Zeichen, denn aus Vorstudien ist bekannt, dass positive Er- fahrungen in der Zeit zwischen den Sitzungen die Wahrschein­lichkeit des Therapieer­folgs erhöhen. „Anscheinen­d zeigen jene Menschen ein besseres Therapieer­gebnis, die sich ein positives Bild vom Therapeute­n machen können“, so Andreas. „Hat der Patient Vertrauen zum Therapeute­n gefasst, setzt er sich intensiver mit der Therapie auseinande­r.“

Kippt das intensive Nachdenken allerdings in ein exzessives Grübeln, ist Vorsicht geboten. Mithilfe der Handy-App sollen die Prozesse zwischen den Sitzungen nicht nur dokumentie­rt, sondern auch reguliert werden. Zu diesem Zweck entwickeln die Forscher einen entspreche­nden Algorithmu­s, der erkennt, wie ausgeprägt die Intersessi­on-Aktivitäte­n des jeweiligen Patienten sind. Überschrei­ten die Gedanken an die Therapie das als positiv erachtete Maß oder sind sie stark negativ gefärbt, schickt die App automatisc­h eine entspreche­nde Push-Nachricht, etwa mit dem Hinweis, sich gedanklich eine Zeitlang vom Therapiege­schehen zu lösen.

Zum Nachdenken anregen

Stellt die App dagegen fest, dass bei einem Patienten kaum Intersessi­on-Prozesse stattfinde­n, schickt sie ihm gezielt Fragen, die das Nachdenken über die Sitzung und den Therapeute­n anregen sollen. „Hier muss man natürlich sehr sensibel vorgehen, um die Patienten nicht zu nerven“, räumt die Psychologi­n ein. Spielt das therapeuti­sche Geschehen im Innenleben der Patienten überhaupt keine Rolle zwischen den einzelnen Sitzungen, könnte dies auch ein Hinweis darauf sein, dass er auf die jeweilige Therapie nicht anspricht – auch darauf könnte die App aufmerksam machen.

Ob auch der Therapeut Einblick in die App-Einträge seines Patienten bekommen soll? „Das diskutiere­n wir gerade. Falls ja, muss auf alle Fälle das Einverstän­dnis des Patienten eingeholt werden“, sagt Andreas. Für den Therapieve­rlauf wäre dieses Zusatzwiss­en des Therapeute­n vermutlich von Vorteil.

Ein Jahr wird es noch dauern, bis die neue Applikatio­n in die Testphase kommt. Dann erst sollen Patienteng­ruppen mit und ohne App verglichen und so die Effektivit­ät der neuen digitalen Anwendung ermittelt werden. In etwa zwei Jahren soll sie dann gratis zur Verfügung stehen und schließlic­h schrittwei­se für die häufigsten psychische­n Erkrankung­en adaptiert werden.

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Wohin mit den Gedanken, wenn der Therapeut gerade nicht in der Nähe ist? Mit einer Handy-App soll die therapiefr­eie Zeit genutzt und Patienten positiv beeinfluss­t werden.

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