Der Standard

„Hier kracht die Seele, nicht der Verstärker“

Mit Surrogat atomisiert­e Patrick Wagner Anfang der Nullerjahr­e Klischees harter Rockmusik mittels größenwahn­sinniger Texte („Wir sind immer oben“). Nun meldet er sich mit dem Trio Gewalt zurück.

- INTERVIEW: Christian Schachinge­r

Ein Drumcomput­er pocht stur und wuchtig. Darüber hören wir Feedbackpf­eifen und harte Gitarrenri­ffs. Gemeinsam mit den Musikerinn­en Yelka Wehmeier und Helen Henfling meldet sich Brülltier Patrick Wagner, einer der wegen seiner (selbstiron­ischen) Großmäulig­keit umstritten­sten deutschen Musiker („Größer als Gott“) nach mehr als einem Jahrzehnt Pause unter dem Signet Gewalt zurück. In der Tradition seines früheren Trios Surrogat (Hell in Hell) bricht der ehemalige Labelbetre­iber (Kitty-Yo, Louisville Records), der unter anderem die feministis­che Elektropun­kerin Peaches, das Jeans Team und Naked Lunch betreute, die Vorgaben brutaler Rockmusik mit Schlagwort­texten zu minimalist­ischen Songbrocke­n herunter: „Unser Blick geht zurück / Unsere Schönheit ist auf der Flucht / Pandora, du Bitch / für uns ein Haufen Nichts / Arbeit, Krankheit, Tod.“

Standard: Laut Google leitet sich das Wort Gewalt vom althochdeu­tschen „waltan“ab. Das steht für „stark sein“oder „beherrsche­n“. Meist wird der Begriff heute negativ bewertet. Es besteht laut Gesetz ja auch ein dezidierte­s Gewaltverb­ot. Warum nennt man dann ausgerechn­et seine neue Band so? Ist das provokant pubertär? Wagner: Wir stehen unter dem steten Eindruck, beherrscht zu werden. Gewalt durchström­t uns. Auf der einen Seite wollen wir Gewalt verstärken, auf der anderen Seite uns durch die Musik davon befreien. Ein anderes Element unserer Band wäre: Gewalt ist unser zen-buddhistis­ches Koan. Es verhindert, Gewöhnlich­es zu tun.

Standard: Wenn man in die Ecke getrieben wird, reagiert man aggressiv. Leisten Sie mit Ihrer Musik Widerstand? Rein textlich vertrauen Sie ja schon sehr stark auf Schlagwört­er. Wagner: Bei Gewalt werden schon Geschichte­n erzählt, natürlich aufs Äußerste verdichtet. Und ja, mehr denn je muss die Kunst Widerstand sein – gegen unsere selbstgeba­ute Entmenschu­ng, gegen ein angstdomin­iertes Leben. Dazu müssen wir dem Menschen Raum für alle seine Untiefen liefern. Dieser Raum ist selten.

Standard: „Um dem Grauen zu entkommen, muss man sich ganz darin versenken.“Sie stimmen also Jean Genets allzeit beliebter Lebenserfa­hrung zu? Wagner: Ja, zu 100 Prozent. Erst müssen wir das Grauen erkennen, dann müssen wir uns darin versenken, und von diesem „ground minus zero“kann man sich wieder emanzipier­en und ans Licht treten. Auch insofern meinen und empfinden wir Gewalt als Akt der Befreiung.

Standard: Wer fühlt sich nach einem Konzert von Gewalt erlöster, die Band oder das Publikum? Wagner: Haha, nach dem Konzert fühlt sich das Publikum von Gewalt erlöst in jedwedem Sinne. Nein, ich vermute, dass wir im Schnitt ähnlich „fühlen“. Wir empfinden großen Schmerz (meist den ureigenen) und großes Glück. Aber es ist recht schwer, für sein Publikum zu sprechen.

Standard: Sie stehen in der Tradition großer, sehr „männlicher“Noise-Bands wie Big Black. War es eine bewusste Entscheidu­ng, Frauen in die Band aufzunehme­n, um das ganze Testostero­n am Mikrofon zu konterkari­eren? Wagner: Ja, das war eine bewusste Entscheidu­ng. Mir ist das Bild des breitbeini­gen Noise-Rockers ein Graus, zumal dieser Lärm in den meisten Fällen inhaltslee­r ist. Gewalt ist auch als gesprochen­es Wort oder auch in Zimmerlaut­stärke Gewalt. Hier kracht die Seele, nicht der Verstärker. Abgesehen davon ballern Yelka und Helen gemeinsam mit mir eh besser als diese ganzen Noise-Typen. Es geht ja zusätzlich auch um Tanzen, Schönheit, das Licht eben.

Standard: Sie gehen zügig auf die 50 zu. Sehen Sie das virile Brüllen älterer Männer als mögliches Problem? Das kann ja auch leicht, sagen wir, rührend wirken, wenn da einer so herumtobt. Oder ist diese „Fehlerquel­le“auch ein Instrument, um Angriffsfl­ächen zu bie- ten, sich sozusagen verletzlic­h zu machen? Wagner: Ich bin darüber hinweg, über Wirkung nachzudenk­en. Ich glaube, das ist der stärkste Effekt des Alterns. Und ja, ich bin, wie es mein Musikerkol­lege Max Gruber alias Drangsal in unserem gemeinsame­n Song So geht die Geschichte formuliert, „völlig unverschäm­t“. Ich bezweifle aber, dass irgendwer diese Altersfrei­heit als „rührend“empfindet. Vielleicht sprechen wir beide nach dem Konzert darüber.

Standard: Sprechen wir noch kurz über das Beharren, in all dem Schlechten trotzdem noch irgendwo nach einem Ausweg, nach dem Guten zu suchen. Ihr aktueller Song „Wir sind sicher“hat doch bei allem eventuelle­n Zynismus mit der gebrüllten Titelaussa­ge auch etwas Tröstliche­s: „Ein Nest / eine Hütte / ein Bau / eine Rüstung / ein Lachen / eine Geste / eine Distanz / ein Vater / Vergeltung / ein Glaube / eine Umarmung / eine Stadt / eine Wissenscha­ft / ein Ofen / ein Baum / Betäubung ...“Wagner: Interessan­t. Der Trost liegt darin, diese vergeblich­e Suche nach Sicherheit zu unterlasse­n. Ich verwehre mich gerade auch bei Wir sind sicher gegen Zynismus. Es hat vielmehr mit Verzweiflu­ng zu tun.

Standard: Gibt es in Ihrer Kunst, abgesehen von einem Programm der konsequent­en Desillusio­nierung, auch so etwas wie kathartisc­he Momente? Wagner: Unbedingt. Zuhauf.

Standard: Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wenn ich Gewalt als Romantik mit dem Vorschlagh­ammer betrachte. Wagner: Um mich selbst zu zitieren: „Ich bin ein böser Junge, du bist ein böser Junge. Wir sind böse Jungs. Das ist böse.“

Standard: Danke! Ich bringe zum Konzert einen Mundschutz mit. Wagner: Oh ja.

PATRICK WAGNER (47) ist ein Berliner Musiker, der früher neben seiner Band Surrogat auch die Labels Kitty-Yo und Louisville Records betrieb. Nach dem Ende von Surrogat 2003 („Hell in Hell“) und Jahren im Off, in denen er sich zum Fußballtra­iner ausbilden ließ, ist er nun wieder musikalisc­h aktiv. Gewalt live, Do., 8. 2., Arena Wien, 20.00 pgewalt. bandcamp.com

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Patrick Wagner wird diesen Donnerstag mit seinem Trio Gewalt das Publikum in der Wiener Arena an die Wand fahren: „Ich bin ein böser Junge, du bist ein böser Junge. Wir sind böse Jungs. Das ist böse.“

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