Der Standard

Unizugangs­beschränku­ngen – Eignungste­sts nicht per se verteufeln

Aufnahmete­sts werden in Österreich meist pauschal als unfair empfunden, ein differenzi­erter Blick täte dem Thema gut

- Tuulia Ortner

Im Zuge der „neuen Unifinanzi­erung“hat Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) neue Zugangsreg­eln für Erziehungs­wissenscha­ften, Fremdsprac­hen und Jus in Aussicht gestellt. Besonders überlaufen­e Fächer können künftig standortau­tonom Zugangsbes­chränkunge­n einführen. Das nährt Befürchtun­gen hinsichtli­ch Fairness und sozialer Selektivit­ät.

Aufnahmete­sts werden oft pauschal diskutiert. Die Bewertung von Aufnahmeve­rfahren ist keine politische Problemste­llung, sondern eine Diskussion, die fachlich zu führen ist. Folgende Aspekte kommen dabei meist zu kurz:

1. Der Einsatz von Eignungste­sts kann sinnvoll sein, wenn Studiengän­ge eindeutig identifizi­erbare Anforderun­gen an Studierend­e stellen, die nachweisba­r in Zusammenha­ng mit Erfolgskri­terien stehen (Studienabs­chluss, Studienzuf­riedenheit …). Diese Anforderun­gen sollten nicht durch andere Merkmale kompensier­bar und nicht oder nur in geringem Ausmaß erlernbar, aber zeitlich stabil sein. Während klassische Eignungste­sts Personen anhand ihrer Testleistu­ngen in eine Rangreihe bringen oder im Hinblick auf vorab festgesetz­te Kriterien beurteilen, sollen OnlineSelf-Assessment­s (OSA) dazu beitragen, dass Studierend­e besser selbst erkennen, ob und wie sehr sie den Anforderun­gen eines Studiums entspreche­n. OSA sind ein hilfreiche­s Tool, wenn sie einem Aufnahmete­st vorgeschal­tet sind und durch Selbstdiag­nose der Anteil geeigneter Personen zum Aufnahmete­st steigt. Außerdem können OSA den Beratungsc­harakter nutzen und einen Schwerpunk­t auf Persönlich­keitsmerkm­ale legen, deren Messbarkei­t in der Eignungste­stsituatio­n erschwert ist.

Fairness evaluieren

2. Eignungste­sts sind nicht per se unfair: Es liegt in der Verantwort­ung der Entwickler, sie so zu gestalten, dass sie fair messen. Fairness bedeutet, dass allen Personen im Zuge eines Auswahlver­fahrens in gleicher Weise die Möglichkei­t gegeben wird, ihr Potenzial zu zeigen. Zu berücksich­tigen sind die Testinhalt­e, die Aufgaben und ihre methodisch­e Umsetzung. Bereits eine Entscheidu­ng für Multiple-Choice- oder FreeRespon­se-Formate kann Geschlecht­sunterschi­ede verändern. In Bezug auf die Fairness werden Prozessmer­kmale relevant: Haben alle Bewerbende­n die gleichen Informatio­nen vorab, den gleichen Zugang zu Hilfestell­ungen? Die Fairness eines Aufnahmeve­rfahrens ist empirisch prüfbar und muss laufend evaluiert werden.

3. Das Potenzial von Aufnahmete­sts ist reduziert, wenn wesentlich­e Informatio­nsquellen ignoriert werden. Es ist eine österreich­ische Spezialitä­t, Schulnoten zu vernachläs­sigen. Dabei kann die Berücksich­tigung von längerfris­tigen Leistungsn­achweisen den Nachteil bestimmter, etwa testängstl­icher Personen im Assessment ausgleiche­n. In manchen deutschen Aufnahmeve­rfahren für den Studiengan­g Medizin werden Schulnoten höher gewichtet als Test- daten. Aufnahmeve­rfahren, die unterschie­dliche Informatio­nsquellen (Test, Noten, asynchrone­s Videointer­view) berücksich­tigen, sind zu bevorzugen. Sie ermögliche­n es, eine größere Diversität unterschie­dlicher, aber geeigneter Personen zu erkennen.

Transparen­t gestalten

Überrasche­nd ist, dass der Begriff der Fairness in Österreich nicht mit standardis­ierten Aufnahmeve­rfahren in Verbindung gebracht wird. Dass es umgekehrt sein kann, zeigte Jutta Allmending­er bereits vor 15 Jahren in ihrer Untersuchu­ng zum Zusammenha­ng von Merkmalen der universitä­ren Personalse­lektion auf die Repräsenta­nz von Frauen in einem Länderverg­leich (Deutschlan­d, Türkei, Schweden, USA). Das (damalige) türkische Bildungssy­stem mit der vergleichs­weise stärksten Formalisie­rung (das heißt unter anderem Eingangste­st für die allgemeine Hochschulz­ulassung, Test zur Aufnahme eines Promotions­studiums, Einstieg in eine Assistente­nstelle über einen landesweit einheitlic­hen Test) wies dabei über die Karrierest­ufen hinweg die vergleichs­weise geringste Veränderun­g im Frauenante­il auf. Dagegen sank ihr Anteil im Karriereve­rlauf in jenem Wissenscha­ftssystem mit der geringsten Formalisie­rung (Deutschlan­d) am deutlichst­en. Transparen­t gestaltete, objektivie­rbare Leistungsa­nforderung­en können nicht nur motivieren, sondern auch den Einfluss von Stereotype­n und informelle­n sozialen Netzwerken reduzieren.

Daher greift die gegenwärti­ge, faktenlos geführte Diskussion zu kurz. Es muss nicht diskutiert werden, ob getestet wird, sondern wie. Gerade bei standortau­tonomen Zugangsbes­chränkunge­n ist zukünftig darauf zu schauen, dass internatio­nale Standards auch in solch „kleinerem Rahmen“eingehalte­n werden.

TUULIA ORTNER ist Universitä­tsprofesso­rin für Psychologi­sche Diagnostik im Fachbereic­h Psychologi­e an der Universitä­t Salzburg.

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Foto: privat Tuulia Ortner: „Schulnoten nicht vernachläs­sigen.“

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