Der Standard

Paris soll London werden

Frankreich­s Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster Bruno Le Maire fordert von seinen Amtskolleg­en Mut zu einer Finanztran­saktionsst­euer und erwartet, dass künftig die Besteuerun­g von Google und Co Milliarden einbringt.

- INTERVIEW: Stefan Brändle aus Paris

Frankreich­s Finanzmini­ster Bruno Le Maire will Paris zu Europas größtem Finanzplat­z machen und Steuerdump­ing stoppen.

Standard: Seit der Wahl von Präsident Macron befindet sich Frankreich in Aufbruchst­immung. Erlebt das Land gar ein neues Wirtschaft­swunder? Le Maire: Solange die Franzosen nicht das Gefühl haben, dass sich die Dinge wirklich geändert haben, kann man nicht von einem Wunder sprechen. In Frankreich ist ein tiefgreife­nder Wandel der Wirtschaft im Gange. Unsere Arbeitsmar­ktreform von 2017 hat mehr Flexibilit­ät erlaubt; unsere Steuerrefo­rm ist die wichtigste der letzten dreißig Jahre. Die Kapitalbes­teuerung abzubauen, um die Wirtschaft besser zu finanziere­n, bedeutet eine totale Umstellung.

Standard: Setzen Sie die Reformen 2018 fort? Le Maire: Wir werden sie noch beschleuni­gen, und zwar im Bereich der Berufsbild­ung und -lehre. Mitte April werde ich zudem ein Gesetz für das Wachstum und die Umwandlung der Firmen vorlegen, denn anders als in Deutschlan­d sind viele zu klein, um im Ausland zu reüssieren.

Standard: Fürs Erste äußerst sich die Reform des Arbeitsrec­hts vor allem in der Zunahme der Entlassung­en … Le Maire: Es ist meine Aufgabe, das solide Wachstum Frankreich­s auszunütze­n, um den Unternehme­n die Schaffung neuer Jobs zu ermögliche­n. Auch deshalb müssen wir das Sparkapita­l in Richtung der Klein- und Mittelunte­rnehmen umleiten. All das setzt viel Zeit voraus. Wir brauchen Geduld. Die Franzosen müssen uns mindestens zwei Jahre geben. Außerdem wurden 2017 in der Privatwirt­schaft 264.000 Stellen geschaffen. Und Google hat die Schaffung eines Forschungs­zentrums in der Bretagne angekündig­t. Die chinesisch­e Onlinehand­elsplattfo­rm JJ will ihr wichtigste­s Logistikze­ntrum in Frankreich ansiedeln; Toyota steckt 300 Millionen Euro in die Erweiterun­g seines Werkes in Valencienn­es in Nordfrankr­eich.

Standard: Macron will auch die Finanz und die Banken von der Londoner City nach Paris locken? Le Maire: Es ist eines unserer Ziele, dass Paris der größte Finanzplat­z Europas wird. JP Morgan, Bank of America oder Goldman Sachs wollen ihre französisc­hen Niederlass­ungen ausbauen. Und dann will Frankreich auch in der so wichtigen „grünen Finanz“eine Schlüsselr­olle spielen.

Standard: Halten Sie an der seit langem geplanten Finanztran­saktionsst­euer fest? Le Maire: Wir sind dafür – sofern sie auf europäisch­er Ebene entsteht. Und das ist möglich! Ich glaube nicht, dass sie für Frankreich ein Attraktivi­tätsnachte­il wäre. Meinen europäisch­en Kollegen sage ich: Habt keine Angst, für eure Werte einzustehe­n.

Standard: Und die Besteuerun­g der GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple)? Le Maire: Man kann digitale Konzerne ins Land holen, auch wenn man sie besteuert. Frankreich wünscht, dass die im Frühling vorgestell­ten Besteuerun­gspläne der EU-Kommission konkret und ehrgeizig ausfallen. Die europäisch­en Bürger würden es nicht verstehen, wenn der Steuerertr­ag dieser digitalen Riesen nur einige Dutzend Millionen Euro betragen würde. Er muss in Zukunft einen wichtigen Teil der öffentlich­en Einnahmen Europas ausmachen und sich in Milliarden rechnen. Frankreich wünscht, dass das Kriterium der Besteuerun­g nicht die Werbung, sondern der Umsatz ist. Es sei denn, die OECD findet ein besseres Kriterium.

Standard: Doch werden selbst die vereinten EU-Bemühungen nicht durch die Steuerpoli­tik der USA über den Haufen geworfen? Le Maire: US-Finanzmini­ster Steven Mnuchin verschließ­t sich der Besteuerun­g der GAFA nicht von vornherein. Er hat nur mit dem Kriterium des Umsatzes Mühe. Interessan­t ist die europäisch­e Reaktion auf die amerikanis­che Steuerrefo­rm: Erstmals haben die Finanzmini­ster Frankreich­s, Spaniens, Deutschlan­ds, Italiens und Englands ihrem US-Kollegen zusammen geschriebe­n, um ihre Sorgen in diesem Bereich auszudrück­en.

Standard: Frankreich will auch in der EU gegen Steuerdump­ing vorgehen. Le Maire: Steuerdump­ing in der EU wäre kollektive­r Selbstmord. Denn wie wollen Sie Kinderkrip­pen, Spitäler und den ganzen Public-ServiceBer­eich finanziere­n, wenn Sie ständig das Steuernive­au senken? Mit Deutschlan­d wollen wir bis Ende 2018 zu einer Annäherung bei der Unternehme­nssteuer gelangen. Das muss nicht eine völlige Anpassung sein; Präsident Macron schlägt eher einen „Steuersatz­korridor“mit Ober- und Untergrenz­en vor.

Standard: Halten Sie an einem eigenen Budget und einem Finanzmini­ster für die Eurozone fest? Le Maire: Macron hat in seiner Rede an der Sorbonne-Universitä­t die großen Linien vorgezeich­net, und wir werden sie nicht ändern. Wir werden unsere Ambitionen für die Eurozone nicht abschwäche­n. Wir wollen rasch eine Bankenunio­n, einen europäisch­en Solidaritä­tsmechanis­mus und ein Eurozonenb­udget mit eigenem Minister. Das Wort Budget macht Angst; dabei wird das damit verbundene Ziel, mehr zu investiere­n, auch von unseren deutschen Freunden geteilt. Standard: Beunruhigt Sie die Börsentalf­ahrt? Le Marie: Es handelt sich um eine Korrektur, da einzelne Aktive zweifellos überbewert­et waren. Diese Reaktion ist keine Überraschu­ng.

Standard: Was halten Sie von der Zinspoliti­k der USA? Le Maire: Diesbezügl­ich muss eine einzige Regel gelten: Man spielt nicht mit dem Wechselkur­s. Er ist kein Spielzeug in der Hand der Politiker, sondern Spiegel der nationalen Wirtschaft­realitäten. Ich habe sehr genau hingehört, als Donald Trump sagte, ein starker Dollar sei im Interesse der USA.

Standard: Befürchtet Frankreich einen Anstieg der Zinsen? Le Maire: Wir wissen, dass die Zinsen ansteigen werden. Wir haben diese Entwicklun­g in unserem Haushalt vorweggeno­mmen.

BRUNO LE MAIRE ist eine der Stützen in der Regierung des Präsidente­n Emmanuel Macron. Der heute 48-jährige Vater von vier Söhnen gehörte ursprüngli­ch den konservati­ven Republikan­ern an, bevor er sich 2017 Macron anschloss.

Besteuerun­g von digitalen Konzernen soll in Zukunft einen wichtigen Teil der EU-Einnahmen ausmachen.

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Für Bruno Le Maire ist der Wechselkur­s „kein Spielzeug“in der Hand der Politiker.

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