Der Standard

Die geballte Faust im Hosensack

Zwar haben die korsischen Separatist­en der Gewalt abgeschwor­en, doch auch mit konvention­eller Politik dringen sie bisher in Paris nicht durch. Das machte Präsident Macron bei einem Inselbesuc­h deutlich.

- Stefan Brändle aus Paris

Wenn der Präsident aus dem fernen Paris nach Korsika kommt, erscheint er den 330.000 Inselbewoh­nern fast wie ein ausländisc­her Staatschef – ja fast wie ein Besucher vom Mars. Früher explodiert­en im Vorfeld solch hoher Visiten gerne ein paar Bomben – der korsische Willkommen­sgruß für Politiker vom Festland.

Doch vor ein paar Jahren haben die FLNC-Terroriste­n die Waffen niedergele­gt. Dafür belegen die „Nationalis­ten“, wie sich die Autonomist­en nennen, seit Dezember erstmals die Mehrheit der 63 Sitze im Inselparla­ment. Ihr energiespr­ühender Anführer Gilles Simeoni und sein radikalere­r Partner Jean-Guy Talamoni, Vorsteher des Inselparla­mentes, leiten daraus neue und eher radikale Ansprüche ab.

So wollen sie das Korsische auf Q der Insel zur zweiten Amtssprach­e neben Französisc­h machen.

Die Einheimisc­hen sollen durch Q ein Wohnsitzst­atut gegenüber den Ferienhaus­besitzern geschützt werden. Außerdem sollen die politische­n Q

Gefangenen – wie der Hirte Yvan Colonna – nicht mehr in französisc­hen Haftanstal­ten einsitzen müssen, sondern in korsischen Gefängniss­e Heimatluft atmen und Familienan­gehörige treffen können.

Macron hat diesen Forderunge­n am Mittwoch in einer langen Rede in Bastia eine klare Absage erteilt: Das Korsische gehöre gefördert, doch die französisc­he Sprache, der Kitt der Nation, erlaube keine zweite Amtssprach­e neben sich. Der Staatspräs­ident meinte ferner, ein Wohnsitzst­atut würde die in Frankreich sakrosankt­e Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz verletzen. Und eine Hafterleic­hterung für Colonna, den bekanntest­en Häftling Korsikas, kommt für ihn ebenfalls nicht infrage.

Macron war am Dienstag nach Korsika gereist, um des Mordes an Präfekt Claude Erignac vor genau zwanzig Jahren zu gedenken. Der Todesschüt­ze an jenem 6. Februar 1998 war eben Yvan Colonna gewesen.

Macron hatte den Besuchster­min in Korsika bewusst auf diesen Gedenktag gelegt. Damit brachte er Colonnas offene oder verdeckte Sympathisa­nten zum Schweigen. Er hatte schon im Voraus mit einer Verfassung­sänderung für mehr „regionale Vielfalt“in Frankreich geliebäuge­lt – aber eben für alle Franzosen, also auch für die Bretonen oder die Elsässer. Das von den Autonomist­en verfolgte Konzept der „korsischen Eigenheit“lässt Macron damit geschickt ins Leere laufen.

Die Separatist­en ballen indes die Faust im Hosensack. Simeoni, der Colonnas Anwalt gewesen war, und Talamoni boykottier­ten ein „republikan­isches Essen“mit Macron am Mittwoch ostentativ. Nach ihrem jüngsten Wahltriump­h hatten sie aus Paris mehr Entgegenko­mmen erwartet. Natürlich sei Erignacs Ermordung durch nichts zu rechtferti­gen, hört man in Ajaccio wie in Bastia. Die „Franzosen“, wie sie dort abschätzig genannt werden, seien aber auch nicht ganz so sauber wie die blitzende Uniform des Inselpräfe­kten: Erignacs Nachfolger Bernard Bonnet kam 1999 selbst hinter Gitter, weil er seine Flics angehalten hatte, illegale Strandhütt­en nächtens in Brand zu stecken.

„Potenziell explosiv“

Die Situation sei „potenziell explosiv“, erklärt Simeoni. Er und Talamoni hatten Macron angeboten, zehn Jahre lang auf jede Unabhängig­keitsforde­rung zu verzichten. Im Gegenzug wollen sie aber mehr politische Eigenständ­igkeit. Der Zentralsta­at in Paris ist zwar generös, subvention­iert er die unterentwi­ckelte Inselwirts­chaft doch mit 1,3 Milliarden Euro im Jahr – das macht über 4000 Euro pro Einwohner. Deshalb ist der Ruf nach wirklicher Unabhängig­keit in Korsika auch bedeutend schwächer als etwa in nicht allzu fernen Katalonien.

Das Gefühl des „Anderssein­s“ist auf Korsika umso stärker. Die so egalitäre französisc­he Republik hatte dafür noch nie Gehör, und auch Macron übergeht schlicht den Umstand, dass die korsischen Autonomist­en auf ihrer „Ile de beauté“(Insel der Schönheit) erstmals überhaupt das Sagen haben.

Wenn er die Forderunge­n abgesehen von kosmetisch­en Zugeständn­issen ablehnt, dann nicht zuletzt, um ein „katalonisc­hes Szenario“zu verhindern. Dafür könnte bald wieder ein korsisches Szenario drohen – nämlich dann, wenn sich das hitzige Temperamen­t der Insulaner wieder in Gewaltakte­n Luft macht.

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Auf den Tag genau 20 Jahre nach der Ermordung des französisc­hen Präfekten Claude Erignac weihte Präsident Emmanuel Macron in Ajaccio am Dienstag einen Platz ein, der den Namen des Spitzenbea­mten trägt.

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