Der Standard

Behörde behielt Pässe in Wien, Familie Tikaev in Tschetsche­nien in Not

Kein Einzelfall: Unterstütz­er fordern „Mechanismu­s“, um derlei künftig zu verhindern, sowie verstärkte Bürgschaft­smöglichke­iten

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Grosny/Wien – Meldezette­l beschaffen: unmöglich. Wohnung und Arbeit suchen: keine Chance. Schulanmel­dung der Kinder: nicht realisierb­ar. Nach ihrer Abschiebun­g nach Moskau und weiter in die Kaukasusre­gion befindet sich die tschetsche­nische Familie Tikaev in großen Schwierigk­eiten.

Grund dafür vor allem: Die zwei Erwachsene­n und vier Kinder wurden ohne jegliche Papiere aus Österreich weggebrach­t, wo sie – wie berichtet – die vergangene­n sechseinha­lb Jahre gelebt und sich zunehmend integriert hatten. In Tschetsche­nien sind sie damit Unpersonen: offiziell gar nicht existent. Zudem wurde der Vater, Roman, kürzlich gewarnt. Die tschetsche­nischen Sicherheit­sbehörden hätten ein Auge auf ihn geworfen, weil er sich in Österreich schlecht über sein Land geäußert haben soll. Das habe er aber nie getan, betont er.

Vor wenigen Tagen gelang es den österreich­ischen Unterstütz­ern der Familie, die russischen Pässe der beiden Erwachsene­n und die Geburtsurk­unden der vier Kinder in Wien ausfindig zu machen: bei einer hiesigen Behörde, schildert Helfer Daniel Landau dem STANDARD. Derzeit überlege man, wie man die Dokumente ihren Inhabern schicken könne. Leicht sei das nicht: Mangels Ausweisen könnten die Tikaevs etwa kein eingeschri­ebenes Poststück abholen.

Ob die Pässe und Geburtsurk­unden der Familie aus Gedankenlo­sigkeit oder aus Absicht nicht mitgegeben wurden, ist unklar. In künftigen Fällen müssten solche Zusatzhärt­en jedoch unterbleib­en, fordert Landau. „Vor Abschiebun­gen muss es einen ergänzende­n Mechanismu­s geben, laut dem zu überprüfen ist, wo sich die persönlich­en Dokumente befinden und dass sie den Leuten mitzugeben sind“, sagt er. Dass Abge- schobene ohne jegliche Dokumente weggebrach­t werden, geschieht immer wieder.

Der Bleiberech­tsantrag der Familie Tikaevs wurde wenige Tage nach ihrer Abschiebun­g in erster Instanz abgelehnt. Ihr Anwalt Christian Schmaus wird gegen diesen Entscheid berufen.

Verzweifel­te Paten

Zunehmende Verzweiflu­ng herrscht unterdesse­n bei jenen Menschen, die im Rahmen einer Patenschaf­t unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­en helfen – sowie bei diesen vielfach inzwischen Volljährig­en selbst. Immer mehr von ihnen erhalten negative Asylbesche­ide und befinden sich in Abschiebun­gsgefahr, obwohl sie bei ihren Paten bereits zur Familie gehören.

„Diese Paten kommen in vielen Fällen jetzt schon für den gesamten Unterhalt ihrer Schützling­e auf“, sagt Herbert Langthaler vom NGO-Zusammensc­hluss Asylkoordi­nation. Seine Forderung: Die im Asylgesetz vorgesehen­e Möglichkei­t Privater, Bürgschaft­en zu übernehmen, um integriert­en, aber negativ beschieden­en Asylwerber­n einen Verbleib zu ermögliche­n, solle hier „gezielt angewendet werden“. (bri)

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