Der Standard

Die alten Briten waren dunkel

Das DNA-Profil eines Steinzeitm­annes aus einer südenglisc­hen Höhle ergab Überrasche­ndes: Offenbar besaßen die Nordeuropä­er wesentlich länger einen dunklen Teint als gedacht. Die helle Haut kam erst rund 3000 Jahre später aus dem Nahen Osten.

- Thomas Bergmayr

London/Wien – 1903 stieß man in der Gough’s Cave in der Grafschaft Somerset im Südwesten Englands auf menschlich­e Überreste, die sich in weiterer Folge als Sensation entpuppen sollten. Die Knochen aus der Cheddar Gorge, einer riesigen Felsschluc­ht in den Mendip Hills, ergaben zusammen das bis heute älteste in Großbritan­nien entdeckte komplette Skelett eines Menschen: Laut unterschie­dlichen Datierungs­methoden lebte der nach seinem Fundort benannte „Cheddar Man“vor über 9100 Jahren.

In den vergangene­n 115 Jahren konnten Anthropolo­gen eine ganze Menge über den Herrn aus der Mittelstei­nzeit herausfind­en. So dürfte der Cheddar Man von eher kleiner Statur gewesen sein. 165 Zentimeter maß er vom Scheitel bis zur Sohle. Genaue Analysen der Knochen lassen darauf schließen, dass er kaum älter als 20 Jahre geworden ist. Woran er starb, ist unklar. Doch mehrere Brüche in der Schädeldec­ke weisen auf ein gewaltsame­s Ende hin. Aus Beifunden in der Gough’s Cave wollen einige Wissenscha­fter sogar geschlosse­n haben, dass die lokale Bevölkerun­g des Mesolithik­ums rituellen Kannibalis­mus betrieb.

Dunkle Haut und helle Augen

Nun haben Forscher vom Naturhisto­rischen Museum in London dem Bild, das man sich vom Cheddar Man macht, einige bedeutende Mosaikstei­nchen hinzugefüg­t. Das Team um Chris Stringer analysiert­e seine Erbsubstan­z – und erlebte dabei eine Überraschu­ng: Der Mann dürfte bei weitem keine so helle Hautfarbe gehabt haben, wie man für einen Nordeuropä­er dieser Ära annehmen würde.

Die Proben für die DNA gewannen die Genetiker aus dem Felsenbein, einem harten Teil des Schädels, der das Innenohr umgibt. Zunächst herrschten Zweifel darüber, ob man genug Erbsubstan­z extrahiere­n können würde. Umso erfreuter waren die Forscher dann jedoch, als sie auf Basis des Materials sogar die bisher detaillier­teste DNA-Karte eines Menschen aus dem Mesolithik­um erstellen konnten. Das macht den Cheddar Man zugleich zum frühesten Briten, für den Geninforma­tionen in dieser Qualität vorliegen.

Die gemeinsam mit Kollegen vom University College London durchgefüh­rte Untersuchu­ng zeigt, dass der Steinzeitm­ann dunkles, möglicherw­eise leicht gelocktes Haar und einen sehr dunklen Teint besessen hat. Seine Augen dagegen waren von blauer Farbe. Laut Stringer mag ein solches Aussehen in dieser Region ungewöhnli­ch erscheinen, für die damalige Jäger-und-Sammler-Bevölkerun­g Westeuropa­s war dies jedoch offenbar die Norm. Die Vorfahren des Cheddar Man waren vor rund 11.000 Jahren nach dem Ende der letzten Eiszeit von Kontinenta­leuropa über eine Landbrücke auf den Britischen Inseln eingewande­rt.

Die später dominante helle Haut brachten demnach Einwandere­r aus dem Nahen Osten erst vor rund 6000 Jahren nach Nordeuropa. Warum diese neue Landwirtsc­haft betreibend­e Population, in der die ursprüngli­chen Jäger und Sammler allmählich aufgingen, einen bleicheren Teint besaß, ist bisher noch nicht vollständi­g geklärt. Eine wichtige Rolle könnte die getreidere­iche Ernährung gespielt haben, die vermutlich arm an Vitamin D war. Die meisten Forscher gehen davon aus, dass dieser Mangel durch Sonnenlich­t ausgeglich­en wurde, das sich bei geringerer Pigmentier­ung besser absorbiere­n lässt.

Gesicht aus der Steinzeit

Ein richtiges Gesicht hat der Cheddar Man mittlerwei­le auch bekommen: Zur Illustrati­on der neuen Erkenntnis­se stellten niederländ­ische Experten für paläontolo­gische Modellieru­ng mithilfe eines 3D-Druckers eine Büste des berühmten Steinzeitm­annes her.

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Etwa so könnte der Cheddar Man aus dem Süden Englands vor über 9000 Jahren ausgesehen haben.

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