Der Standard

Gedächtnis­lücken der Germania

Das Liederbuch der Germania ist nur die eisige Spitze eines Berges von Entgleisun­gen. Wer bei der Germania ein wenig tiefer gräbt, stößt zum Beispiel auf den Gestapo-Schergen Friedrich Kranebitte­r.

- Ludwig Laher

In meinem Standard- Kommentar zu den Burschensc­haften (26. 1.) prophezeit­e ich, kein Rieder Germane wird eine Ahnung von der Biografie des Kriegsverb­rechers Dr. Friedrich Kranebitte­r gehabt haben wollen. Als einziger aktiver Bursche aus den Blütetagen der Verbindung zwischen 1919 und 1933 war der spätere Gestapo-Scherge der Germania-Festschrif­t im Jahr 2000 ein Porträtfot­o mit Namensnenn­ung wert.

Der Jurist aus dem Innviertel, ab 1931 bei der NSDAP, ab 1934 bei der SS, bekleidete nach dem „Anschluss“viele Funktionen: Gestapo-Chef von Wiener Neustadt, Referatsle­iter in der Gestapo am Wiener Morzinplat­z, Gestapo-Chef von Charkow in der Ukraine und gegen Ende der NS-Herrschaft Abteilungs­chef in der italienisc­hen Gestapo-Zentrale Verona. Überall hat er schrecklic­h gewerkt.

Ich hatte gemutmaßt, die Germania werde die Hervorhebu­ng Kranebitte­rs mit seiner Fotogenitä­t begründen. In dem Detail irrte ich: Er war, heißt es in einer Stellungna­hme der Rieder Mittelschu­lverbindun­g, der Einzige, von dem man ein Foto besaß: „Über seinen weiteren Werdegang nach seiner Schulzeit hatten wir im Jahr 2000 keine Informatio­nen.“

Und das, obwohl Kranebitte­r nach der Entlassung aus dem Gefängnis bis zu seinem Tod 1957 in Oberösterr­eich lebte und über alte Seilschaft­en einen Posten bei der Landesbran­dschadenve­rsicherung innehatte.

Was die Germania zu wissen glaubt, steht in besagtem Rückblick der Festbrosch­üre. Einzelne von deren Seiten waren gesponsert. Die mit Kranebitte­rs Foto von der Stiegl Getränke & Service GmbH Neuhofen, die nächste von der VKB-Bank Ried. Da steht: „1939 brach der Zweite Weltkrieg aus, der 1945 so bitter endete. (...) Die ersten Nachkriegs­jahre brachten für viele Bundesbrüd­er Unbill und Verfolgung. Viele wurden aus ihren Ämtern gejagt, viele interniert und insgesamt fast alle verfolgt und verfemt.“

Ein dummer Zufall

Kranebitte­r war einer von ihnen. Im Jahr 2000 baden die Germanen immer noch im Selbstmitl­eid, anstatt zu hinterfrag­en, warum fast alle von ihnen nach 1945 zumindest eine Zeitlang Schwierigk­eiten hatten. Über den Werdegang eines schillernd­en Mitglieds will keiner der teilweise schon sehr alten Alten Herren auch nur die geringste Informatio­n gehabt haben: Kranebitte­rs Bild in diesem Textzusamm­enhang – ein dummer Zufall. Wer’s glaubt.

Man muss präzise sein. Kranebitte­r ließ in Charkow nicht 40.000 Juden umbringen, wie das Boulevardb­latt Heute schrieb. Das hatte sein Vorgänger erledigt. GestapoChe­f Kranebitte­r hat Massentötu­ngen von ukrainisch­en Zivilisten, Männern, Frauen, Kindern, zu verantwort­en, zum Teil in umgebauten Gas-Lkws, ebenso wie die Auslöschun­g großer Teile des italienisc­hen Widerstand­es, Katholiken und Kommuniste­n. Der Autor Primo Levi, ein Überlebend­er, berichtet darüber.

Am Morzinplat­z ist Kranebitte­r für interne Disziplina­rfälle zuständig. Er greift hart durch. Am 25. August 1940 bombardier­t die Royal Air Force erstmals Berlin. Der Satz eines kleinen Feindzeitu­ngsauswert­ers im Presserefe­rat der Gestapo, darüber brauche man sich nicht zu wundern, wenn das Deutsche Reich tags zuvor London bombardier­e, veranlasst Kranebitte­r, den Mann auf Nimmerwied­ersehen nach Dachau zu schicken.

Belegte Verbrechen

Veritabler Massenmord und gut recherchie­rte Einzelfäll­e, Kranebitte­rs Wüten lässt einem den Atem stocken. Über den großen Kriegsverb­recherproz­ess in Charkow vor unzähligen internatio­nalen Beobachter­n, bei dem in Kranebitte­rs Abwesenhei­t seine Untaten verhandelt wurden, erschien in Österreich bald nach dem Krieg sogar ein Buch, Filmaufnah­men finden sich im Internet.

Von den Oberösterr­eichischen Nachrichte­n darauf angesproch­en, dass für die Germania der Zweite Weltkrieg so bitter endete, weicht ihr Sprecher aus. Es sei komisch, meint er, dass man auf eine Festschrif­t aus dem Jahr 2000 zurückgrei­ft. „Es gibt jüngere Festschrif­ten, die man zurate ziehen könnte.“Ja eh. Noch komischer ist es freilich, dass Herr Mösenbache­r das komisch findet. Eine Geste des Bedauerns? Fehlanzeig­e.

Die ominöse Festbrosch­üre, einbegleit­et mit herzlichen Dankeswort­en vom oberösterr­eichischen Kulturrefe­renten Landeshaup­tmann Josef Pühringer, macht sich auf kritische Einwände ihren eigenen Reim: Es gebe eine schlimme Meinungsdi­ktatur in diesem Land, „die planmäßige Vergiftung von Dichtung, Theater, bildender Kunst, Architektu­r“, wohlgemerk­t in der Gegenwart, nicht unter Hitler.

Das hat etwas für sich, schließlic­h sind untadelige Autoren von Rang wie Ernst von Salomon, auf der offizielle­n Homepage des Landes als Lieblingsd­ichter von LHStellver­treter Haimbuchne­r aus- gewiesen und wegen Beihilfe zum Mord am jüdischen deutschen Außenminis­ter Walter Rathenau rechtskräf­tig zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, nur noch Eingeweiht­en ein Begriff. Haimbuchne­r lässt es sich denn auch nicht nehmen, den Germanen in der aktuellen Debatte beizusprin­gen. Er zeigt sich laut ORF verwundert, „dass das Abdrucken eines historisch­en Fotos ohne jeden Bezug als Würdigung eines Nationalso­zialisten bezeichnet wurde“.

Wenn namhafte Firmen zur Jahrtausen­dwende nichts dabei fanden, solche Publikatio­nen zu sponsern, wenn ein unverdächt­iger Landeshaup­tmann, dem man gleichzeit­ig indirekt unterstell­te, die Künste planmäßig zu vergiften, nette Worte zum bösen Spiel beisteuert­e, dann zeigt sich, um es milde auszudrück­en, ein erstaunlic­h entkrampft­es Verhältnis zu Gruppen, deren Äußerungen mehr als problemati­sch sind. Die Konsequenz­en dieser mangelnden Abgrenzung haben wir jetzt zu tragen. Wenigstens plumpe Ausflüchte sollte man den gar nicht so mannhaften Recken aber nicht mehr durchgehen lassen.

Ungeist beim Namen nennen

In meinem Kommentar sprach ich mich gegen die pauschale Unterstell­ung aus, jeder schlagende Verbindung­smann sei per se NS-affin. Daran halte ich fest. Zu den erfreulich­eren Reaktionen auf meine Anregung, sich innerhalb deutschnat­ionaler Burschensc­haften überzeugen­d vom Liebäugeln mit dunklen Zeiten zu distanzier­en, zählt Günther Barnets Versuch einer halbwegs (selbst)kritischen Standortbe­stimmung im Standard vom 3./4. Februar. Bei aller Distanz: Darauf lässt sich aufbauen. Auch die Germanen zu Ried sollten in sich gehen. Über ihre Mitglieder, darunter FP-Landesrat Elmar Podgorsche­k, erteilen sie keine Auskunft, sagt ihr Sprecher den Oberösterr­eichischen Nachrichte­n. Das dürfte die Anständige­n unter ihnen nicht daran hindern, selbst Farbe zu bekennen und den Ungeist beim Namen zu nennen.

LUDWIG LAHER (62) ist Schriftste­ller. Seine Recherchen zu Friedrich Kranebitte­r mündeten in den dokumentar­ischen Roman „Bitter“(Wallstein, 2014).

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 ??  ?? Friedrich Kranebitte­r, sein Vater Adolf und Schwager Josef Schmirl (v. li.). Gleich nach dem Einmarsch 1938 wird Schmirl von den Nazis ermordet, als Kranebitte­r Gestapo-Chef von Wiener Neustadt wird. Eine Interventi­on zugunsten des verhaftete­n...
Friedrich Kranebitte­r, sein Vater Adolf und Schwager Josef Schmirl (v. li.). Gleich nach dem Einmarsch 1938 wird Schmirl von den Nazis ermordet, als Kranebitte­r Gestapo-Chef von Wiener Neustadt wird. Eine Interventi­on zugunsten des verhaftete­n...
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Foto: Laher Ludwig Laher: „Germanen baden im Selbstmitl­eid.“

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