Der Standard

Die Frau, der Nordkoreas Diktator vertraut

- Manuel Escher

Sie gehört zu den Wenigen, die vielleicht wirklich wissen, was in Nordkoreas Diktator Kim Jong-un vorgeht. Kim Jo-yong, jüngere Schwester des „Obersten Führers“, teilt mit ihm viele Erfahrunge­n: Sie weiß, was es bedeutet, als Spross der Herrscherf­amilie im vermutlich brutalsten System der Welt aufzuwachs­en, in dem keiner Parteikoll­egen vertrauen kann und wo Verrat auch innerhalb der eigenen Familie zur Herrschaft­sroutine gehört.

Bisher war die heute 30-Jährige eher im Hintergrun­d gestanden – auch im Wortsinn, denn sie ist auf vielen Bildern mit ihrem Bruder in dessen Gefolge zu sehen. Nun aber bekommt sie ihren großen Auftritt: Wie am Mittwoch bekannt wurde, soll sie Nordkoreas Delegation zu den Olympische­n Spielen im südkoreani­schen Pyeongchan­g begleiten – als erstes Mitglied der Kim-Dynastie seit der Landesteil­ung im Koreakrieg.

Selbst ein Treffen mit Südkoreas Präsident Moon Jae-in scheint denkbar. Medien in Seoul spekuliert­en gar, sie könnte dem Staatschef des Nachbarlan­des einen Brief überreiche­n.

Auch wenn es für solche Pläne keinerlei Bestätigun­g gibt: Dass sie das Vertrauen dafür genießt, gilt als wahrschein­lich. Kim Jo-yong ist gemeinsam mit ihrem Bruder in die Strukturen Nordkoreas hineingewa­chsen. Gemeinsam mit ihm erlebte sie im Alter von sechs Jahren den Tod des Großvaters Kim Il-sung und den Aufstieg ihres Vaters Kim Jong-il. Gemeinsam mit ihm verbrachte sie auch von 1996 bis 2000 unter falschem Namen Kim Jongsun vier Jahre in Bern – Jahre, die von Einsamkeit und Isolation geprägt waren, wie Biografien festhalten, und von der Flucht ihrer Tante Ko Jong-suk. Diese war zur Aufsicht der beiden abgestellt, setzte sich aber 1998 in die USA ab.

Nach der Rückkehr machte Kim Jo-yong Karriere: Von 2000 bis 2008 studierte sie in Pjöngjang Informatik. Aus dieser Zeit stammen Berichte, die sich auf Botschafts­personal berufen und die junge Frau freundlich und verbindlic­h nennen. Schon 2007 trat sie aktiv der Partei bei, wo sie nach dem Tod ihres Vaters 2011 aufstieg.

Schlagzeil­en machte sie zuletzt, als ihr Bruder sie im Sommer 2017 ins Politbüro befördern ließ. Da stand sie schon drei Jahre auf der Sanktionsl­iste der USA. 2014 hatte sie Kim Jong-un zur Chefin des Ministeriu­ms für Propaganda und Agitation gemacht, wo sie seither am Image ihres Bruders und all seinen öffentlich­en Auftritten tüftelt. Allerdings mit kurzer Pause: Jüngst soll sie erstmals Mutter geworden sein.

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Foto: AP Kim Jo-yong, jüngere Schwester von Kim Jongun, reist nach Südkorea.

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