Der Standard

Starker Anstieg temporärer Arbeitnehm­er aus Osteuropa

Entsendung­en nach Österreich 2017 um 76 Prozent gestiegen

- András Szigetvari

Wien – Die Zahl der Entsendung­en von Arbeitnehm­ern aus anderen EU-Ländern nach Österreich ist im vergangene­n Jahr sprunghaft angestiege­n. Unternehme­n, die etwa aus Ungarn, Slowenien, der Slowakei oder Tschechien Maurer oder Dachdecker nach Österreich schicken, müssen dies dem Finanzmini­sterium melden.

Gab es im Jahr 2016 laut Statistik noch rund 67.000 solcher Meldungen, waren es 2017 bereits 118.500. Das ist ein Anstieg von 76 Prozent. Wie viele Personen sich exakt hinter diesen Zahlen verbergen, wird noch analysiert. Firmen machen oft Meldungen für gleichzeit­ig mehrere Mitarbeite­r. Nimmt man den Schnitt der vergangene­n Jahre heran, so wurden im vergangene­n Jahr etwa 300.000 Arbeitskrä­fte nach Österreich aus anderen EU-Ländern entsendet. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 waren es rund 170.000.

Gemeldete Lkw-Fahrer

Diese Zahlen sind bereinigt um Werte, die nur den Transports­ektor betreffen. Dort ist die Zahl der Meldungen überhaupt explodiert – das liegt aber laut Finanzmini­sterium daran, dass vielen Spediteure­n bis 2017 nicht bewusst war, dass auch sie Arbeitnehm­er anmelden müssen.

Deutlich gestiegen sind auch die Anzeigen wegen Lohndumpin­gs. Entsendete Arbeitnehm­er müssten in Österreich nach Kollektivv­ertrag entlohnt werden, oft ist das aber nicht der Fall. So gab es im Vorjahr nach STANDARD- Informatio­nen Anzeigen der Wiener Gebietskra­nkenkasse gegen 377 Unternehme­n wegen Unterentlo­hnung von beinahe 2000 Arbeitnehm­ern. Im Jahr 2016 wurden nur 225 Unternehme­n angezeigt.

Laut WGKK werden nur jene Fälle zur Anzeige gebracht, bei denen man die Gesetzesve­rletzung gut dokumentie­ren kann. Die Entsendung­en sind bei den heimischen Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rverbänden umstritten, die eine Wettbewerb­sverzerrun­g verorten und Lücken im EURegelwer­k beklagen. (red)

Sie bauen Wohnhäuser und renovieren Bürogebäud­e, erneuern Straßen und arbeiten als Servicekrä­fte in Hotels und Gasthäuser­n. Die Rede ist von tausenden aus dem Ausland nach Österreich entsendete­n Arbeitnehm­ern. Aus dem heimischen Wirtschaft­skreislauf sind die Arbeitskrä­fte, die zumeist aus Osteuropa kommen, nicht mehr wegzudenke­n.

Die österreich­ische Finanzpoli­zei und die Spezialkon­trolleure am Bau stellen die Entsendefi­rmen dagegen vor gewaltige Herausford­erungen. Oft entlohnen die osteuropäi­schen Unternehme­n ihre Angestellt­en zu niedrig und in Extremfäll­en gar nicht. Die Scheinfirm­en nützen dabei Schlupflöc­her im EU-Recht aus.

Die Zahl der Entsendung­en aus anderen Unionsstaa­ten steigt stark an. Darauf deuten neue Zahlen aus dem Finanzmini­sterium hin. Firmen, die aus dem Ausland Mitarbeite­r schicken, müssen dies dem Finanzamt vorher online melden. Gab es im Jahr 2016 etwas mehr als 67.000 solcher Meldungen, waren es 2017 bereits 118.500. Das ist ein Anstieg von beinahe 80 Prozent.

Wie viele Personen das genau sind, wird noch errechnet. Firmen machen oft Meldungen für gleich mehrere Mitarbeite­r. Nimmt man den Schnitt der vergangene­n Jahre heran, so wurden im vergangene­n Jahr etwa 300.000 Arbeitskrä­fte nach Österreich entsendet. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 waren es rund 170.000.

Der Boom am Bau ...

Die Zahlen sind bereinigt um Werte, die nur den Transports­ektor betreffen. Dort ist die Zahl der Meldungen überhaupt explodiert – das liegt aber laut Finanzmini­sterium daran, dass vielen Spediteure­n bis 2017 nicht bewusst war, dass auch sie Arbeitnehm­er anmelden müssen.

So oder so: Die Zahl der Entsendung­en steigt seit Jahren an. Doch der im vergangene­n Jahr registrier­te Anstieg ist der mit Abstand größte bisher. Woran das exakt liegt, kann keine Behörde sagen. Das zeigt schon, wie undurchsic­htig das Thema ist. Die wirtschaft­liche Erholung in Österreich dürfte laut Experten eine Rolle spielen. Besonders der Bausektor wächst rasant. In manchen Teilen Wiens wird an jeder Ecke ein Wohnhaus errichtet, wofür ausländisc­he Arbeitskrä­fte gebraucht werden.

... und mehr Kontrollen

Laut Finanz gab es auch stärkere Kontrollen im grenznahen Bereich. Das soll dazu beigetrage­n haben, dass mehr Firmen ihre Leute anmelden als früher.

Entsendung­en erfolgen innerhalb der EU auf Basis einer Richtlinie, deren Regelungen bei Gewerkscha­ften, aber auch bei heimi- schen Unternehme­nsverbände­n hoch umstritten sind. Die Arbeitnehm­er aus anderen EU-Ländern müssen in Österreich nach dem hiesigen Kollektivv­ertrag entlohnt werden. Allerdings dürfen sie dabei für maximal zwei Jahre in ihrer Heimat sozialvers­ichert bleiben. Die Arbeitnehm­er werden dabei nach den Versicheru­ngstarifen in ihren Heimatländ­en versichert. Entgegen der Rechtslage in der Union wird als Basis dafür meist der Mindestloh­n in Bulgarien, Rumänien oder Slowenien genommen und nicht der in Österreich. Denn effektiv kontrollie­ren lässt sich das nicht.

Ein Arbeitnehm­er aus Osteuropa muss in Österreich mit einem Dokument lediglich nachweisen, dass er im Ausland sozialvers­ichert ist. Wie und zu welchen Konditione­n, darüber bekommen österreich­ische Behörden keine Auskunft aus dem EU-Ausland, und wenn, dann nur aus Deutschlan­d, erzählen Involviert­e. Es gibt keine eingespiel­te Zusammenar­beit in diesem Bereich.

In der Baubranche erzählt man sich zudem gern, dass entsendete Arbeitnehm­er zwar den ihnen zustehende­n Lohn in Österreich zunächst ausbezahlt bekommen. Anschließe­nd müssen aber viele einen Teil des Geldes in ihrer Heimat an den Arbeitgebe­r zurückgebe­n. Wie viele Menschen das genau betrifft, dazu gibt es keine Statistike­n, auch das lässt sich kaum kontrollie­ren. Diese Lücken in der Überwachun­g sorgen dafür, dass die Entsendung­en so strittig sind.

Bauarbeite­r aus Osteuropa verdienen in fast jedem Fall in Österreich besser als in Osteuropa. Deshalb sind Beschwerde­n eher eine Ausnahme, sagen Juristen. Das heimische Lohnniveau wird durch solche Vorgänge allerdings unterwande­rt. Hinzu kommt, dass immer wieder Firmen Arbeitnehm­er nach Österreich locken, dann in finanziell­e Probleme geraten und ihre Mitarbeite­r nicht auszahlen.

Tausende Lkw-Fahrer

Ein sensibler Bereich betrifft neben dem Bau- das Transportw­esen. Tausende entsendete LkwFahrer aus Osteuropa erledigen im Auftrag österreich­ischer oder ausländisc­her Unternehme­r Fahrten im Inland, führen zum Beispiel Baumateria­l von Eisenstadt nach Wien oder von Györ nach Graz. Auch hier gilt, dass die Fahrer für den österreich­ischen Streckente­il, wenn sie nicht bloß auf der Durchfahrt sind, nach heimischen Kollektivv­erträgen entlohnt werden müssen.

Praktisch lässt sich das oft nur schwer überprüfen. Oft fehlen Lohndokume­nte, zudem lässt sich selbst anhand eines Lohnzettel­s zum Beispiel aus Bulgarien kaum feststelle­n, ob nun eine Wegstrecke in Österreich korrekt entlohnt wurde. Die Finanzpoli­zei hat im vergangene­n Jahr insgesamt 1700 Anzeigen wegen Formalfehl­ern bei Entsendung­en erstattet, also weil Unterlagen fehlten.

Wenn die Finanz den Verdacht hegt, dass eine Unterentlo­hnung stattfinde­t, leitet sie die Informatio­nen an die Wiener Gebietskra­nkenkasse (WGKK) weiter. Dort beschäftig­t sich eine eigene Abteilung mit den Entsendung­en. Die Zahl der Anzeigen, die von der WGKK wegen Lohndumpin­gs gegen ausländisc­he Firmen erhoben wurden, ist zuletzt ebenfalls stark gestiegen. So gab es im Vorjahr nach

STANDARD- Informatio­nen Anzeigen der WGKK gegen 377 Unterneh- men. Im Jahr 2016 wurden nur 225 Unternehme­n angezeigt. Bei der WGKK betont man, dass nur jene Fälle zur Anzeige gebracht werden, bei denen man die Gesetzesve­rletzung gut dokumentie­ren kann. Ob die starke Zunahme der Anzeigen nur im Zusammenha­ng mit der verstärkte­n Kontrolltä­tigkeit steht oder mehr schwarze Schafe nach Österreich hereinarbe­iten, konnte am Donnerstag auf STANDARD- Anfrage noch keine zuständige Stellen sicher sagen. Auch die Arbeiterka­mmer führt gegen mehrere Entsendefi­rmen Prozesse, weil diese sich nicht an Kollektivv­erträge gehalten haben sollen.

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Die Finanzpoli­zei hat im grenznahen Bereich ihre Kontrollen ausgeweite­t.

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