Merkel und Schulz – Beide spüren parteiinternen Unmut
Die vierte Kanzlerschaft um jeden Preis? Dass Angela Merkel die wichtigsten Ressorts in der neuen Bundesregierung verschenkte, sorgt in der CDU für gehörigen Unmut.
Berlin/Brüssel – Normalerweise gibt es bei Abschluss eines Koalitionsvertrags glückliche Gesichter, in Deutschland waren sie am Donnerstag aber eher lang. Aus den Lagern der Union und der SPD hagelte es intern Kritik. Kanzlerin Angela Merkel habe wichtige Ressorts „verschenkt“, um zu einem Abschluss zu kommen, heißt es in der CDU. Bei den Sozialdemokraten stand das Zerwürfnis zwischen Martin Schulz und Sigmar Gabriel im Vordergrund: Diesem hat der Parteichef den Außenministerposten weggenommen.
Positiv klingen indes die Signale aus Brüssel: Der Koalitionsvertrag nehme die neue Aufbruchsstimmung in Europa vollumfänglich auf, freute sich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Donnerstag. „Das Europakapitel gefällt mir sehr gut“, sagte er. (red)
Muss man sich eine Lederhose kaufen? Wird der Sitz des neuen Heimatministeriums im Schloss Neuschwanstein sein? Kommt auch ein „Schunkelministerium“? Es gibt in diesen Tagen viel Spott im Netz, vor allem über CSU-Chef Horst Seehofer, der ja in der neuen großen Koalition nicht nur Innen-, sondern auch Heimatminister werden soll. #HeimatHorst lautet das entsprechende Hashtag.
Seehofer selbst ficht das wenig an, er ist höchstzufrieden mit dem Ergebnis. „Ich kann mich an keinen Koalitionsvertrag erinnern, in dem in dieser Dichte ein Arbeitsprogramm beschrieben ist“, erklärte er am Donnerstag und konnte auch gleich ein einstimmiges Ja des CSU-Vorstandes vermelden.
Deutlich schlechter ist die Stimmung bei der großen Schwester CDU. Dort herrscht Unmut über die Ressortverteilung – konkret darüber, dass Kanzlerin und CDUChefin Angela Merkel alle Schlüsselministerien der SPD und der CSU überlassen hat, um die Groko zustande zu bringen und um Kanzlerin zu bleiben.
„Nicht dolle abgeschnitten“
Rot sind Außen-, Finanz- und Arbeitsministerium, das um Heimatagenden erweiterte Innenministerium ging an die CSU.
„Da haben wir nicht so dolle abgeschnitten. Die Sozialdemokraten haben für sich eine Menge rausgeholt“, sagt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und mahnt: „Die Union braucht definitiv eine Erneuerung.“
Vor allem, dass Merkel das Finanzministerium, das acht Jahre lang von Wolfgang Schäuble (CDU) geleitet wurde, schließlich der SPD überließ, wurmt viele, wenngleich man sich noch an die gute Zusammenarbeit von Merkel und Peer Steinbrück (SPD) während der ersten großen Koalition (2005 bis 2009) erinnert.
„Das tut uns weh. Das ist unzweifelhaft so. Wir hätten das Finanzressort gern behalten“, sagt die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Sie steht zur Überraschung vieler nicht auf der schwarzen Ministerliste. In Berlin hatte man eigentlich damit gerechnet, dass sie einen Top-Job be- kommen wird, da sie als potenzielle Merkel-Nachfolgerin gilt.
Besonders deutlich werden CDU-Bundestagsabgeordnete, die den Mittelstand vertreten. „Der Kabinettszuschnitt ist ein politischer Fehler. Jetzt besteht die Gefahr, dass bei einem SPD-Finanzminister doch mehr SPD-Europapolitik ins Finanzministerium einzieht. Das ist sicherlich nicht gut“, sagt Christian von Stetten.
Keine Ausgewogenheit
Und Carsten Linnemann klagt: „Die Verteilung der Ressorts lässt jede Ausgewogenheit vermissen. Dieses deutliche Ungleichgewicht zulasten der Union und zugunsten der SPD ist bitter und wird lange in den Kleidern bleiben.“
Von Merkel war am Donnerstag nichts zu hören, doch man konnte sich auf Seehofer verlassen. Der schilderte ausführlich, wie Merkel am Schluss der Verhandlungen bei den Schlüsselministerien Außen, Finanzen sowie Arbeit und Soziales unter Druck geraten war.
Die SPD habe „sehr beharrt, dass sie diese drei Ministerien will, dass sie sonst nicht in die Regierung eintreten kann“, sagte Seehofer. Die Debatte darüber habe stundenlang gedauert, „auch mit stundenlanger Sprachlosigkeit“, so der CSU-Chef.
Zur Verteidigung Merkels meldete sich CDU-Vizechefin Julia Klöckner: „Wichtig ist, dass wir ein weiteres Schlüsselressort aber auf der anderen Seite bekommen haben, nämlich das Thema Wirtschaft.“
Es tut sich was in Berlin, und davon wird Brüssel nicht unberührt bleiben. Noch-SPD-Chef Martin Schulz hat Angela Merkel in der Europapolitik – wie auch in anderen Bereichen – einige Zugeständnisse abgerungen. Deutschland könnte auf Basis des neuen Regierungspapiers einen Gang bei der Vertiefung der Union zulegen. Bremser wie der frühere Finanzminister Wolfgang Schäuble, der größte Widersacher einer Fiskalunion, sind nicht mehr im Kabinett vertreten. Die SPD nutzte den Umstand und setzte Akzente.
Das fängt mit Symbolik an und hört beim Geld auf. Symbolisch kann gewertet werden, dass das etwas pathetisch betitelte EU-Kapitel – „Ein neuer Aufbruch für Europa“– gleich am Beginn des Regierungsprogramms steht. Beim Geld wiederum wurde das deutsche Spardiktat zumindest etwas aufgeweicht. Berlin erklärt sich explizit zu höheren Beiträgen für das EU-Budget bereit. Die werden schon deshalb notwendig, weil mit Großbritannien ein großer Nettozahler künftig wegfällt. Dass der bisherige Zahlmeister – Deutschland steht bei den EU-Beiträgen mit großem Abstand an der Spitze der Mitgliedsstaaten – Extrascheine in den Topf werfen will, ist ein starkes Signal.
Das wird auch in Wien deutlich vernommen. Kanzler Sebastian Kurz zeigte bisher keine Bereitschaft, die BrexitLücke im EU-Haushalt mit höheren österreichischen Zahlungen zu stopfen. Er thematisiert bereits Sparpotenzial bei den Regionalmitteln, die vor allem Osteuropa zugutekommen. Über eine Allianz der Nettozahler beim Finanzrahmen, die Kurz im Standard- Interview angekündigt hatte, kann man denken, wie man will. Die neue deutsche Spendierfreudigkeit lässt sie nicht allzu realistisch erscheinen.
Auch bei der Eurozone tut sich etwas, besser gesagt ein bisschen etwas. Zugeständnisse in Richtung Paris, wo man von einer echten Vertiefung der Eurozone träumt, wurden gemacht. Ein kleines Budget für die Währungsunion, ein Ausbau des bestehenden Krisenfonds: Die ausgestreckte Hand vom französischen Präsidenten Macron wird zumindest nicht ausgeschlagen. Abgesichert hat sich die CDU freilich auch. Ohne Zustimmung des nationalen Parlaments wird es keine Ausweitung gegenseitiger Haftungen geben.
Das macht schon deutlich, wo die roten Linien verlaufen. Über das Geld kann man mit Berlin reden, über die Abgabe von Kompetenzen entscheidet die Volksvertretung. Und deren Präsident ist ein gewisser Wolfgang Schäuble.