Der Standard

Von Pjöngjang nach Pyeongchan­g

Südkoreas Präsident Moon Jae-in möchte Olympia zur Annäherung an Nordkorea nützen. Seine Bevölkerun­g zeigt sich unbeeindru­ckt ob Nordkoreas Charmeoffe­nsive.

- Fabian Kretschmer aus Pyeongchan­g

Anlässlich des 105. Geburtstag­s des Staatsgrün­ders Kim Il-sung wurde am Donnerstag in Nordkoreas Hauptstadt eine Militärpar­ade abgehalten. 300 Kilometer von Pjöngjang entfernt, in Pyeongchan­g (Südkorea), werden heute die Olympische­n Winterspie­le eröffnet. Auch Nordkorean­er sind dabei. Größere Medaillenc­hancen haben Österreich­er. Zum Beispiel in der Abfahrt am Sonntag. Am Donnerstag wurde trainiert. Die Zeiten werden in Abfahrt wie auch im Buckelpist­enfahren (im Bild die Österreich­erin Melanie Meilinger) von Omega gestoppt. Österreich­s erfolgreic­hster Olympia-Teilnehmer Felix Gottwald warnt im Interview indes vor Gigantismu­s.

Für den 40-jährigen Bae Seong-han war es Ehrensache, dass er seinen diesjährig­en Winterurla­ub mit Frau und Kindern in Pyeongchan­g verbringen wird. Bae steht am Fuße des Alpensia-Skihangs, wo die Biathleten um Medaillen kämpfen werden. An diesem eisigen Wintertag rasen nur seine siebenjähr­igen Zwillingss­öhne durch den Schnee – auf neongelben Plastiksch­litten. „Als ich elf war, fanden in Seoul gerade die Sommerspie­le statt“, erinnert sich der Büroangest­ellte. Aufgrund schleppend­er Ticketverk­äufe habe die Regierung damals Eintrittsk­arten an die Grundschul­en verteilt. „So konnte ich dabei sein, das war rückblicke­nd ein einschneid­endes Erlebnis.“Erstmals seit dem Koreakrieg habe die Welt nach Südkorea geschaut – eine aufstreben­de Wirtschaft­snation, deren Bevölkerun­g kurz zuvor der Militärreg­ierung freie Wahlen abgerungen hatte.

Heuer sorgt vor allem der nördliche Nachbar für Schlagzeil­en: Noch vor wenigen Monaten galt Nordkorea als Damoklessc­hwert, das drohend über dem Erfolg der Spiele in Pyeongchan­g schwebte. Unter ausländisc­hen Winterspor­tverbänden regte sich Unbehagen bei dem Gedanken, seine Athleten ins 80 Kilometer von der innerkorea­nsichen Grenze entfernte Pyeongchan­g zu schicken.

Seit seiner Neujahrsan­sprache hat Kim Jong-un aber das Blatt gewendet – und einen PR-Coup gelandet: Er entsendet 22 nordkorean­ische Athleten zum südlichen Nachbarn, flankiert von 230 Cheerleade­rn, einem 140-köpfigen Orchester und 30 Taekwondo-Kämpfern. Angeführt wird die Delegation von Kim Jong-uns Schwester Kim Yo-jong. Sie wird als erstes Familienmi­tglied der diktatoris­chen Herrscherd­ynastie seit der Landesteil­ung südkoreani­schen Boden betreten. Von Seouls Vereinigun­gsminister­ium wird dies als gutes Zeichen gedeutet, die innerkorea­nischen Beziehunge­n zu verbessern.

Militärpar­ade in Pjöngjang

Gleichzeit­ig fand am Donnerstag in Pjöngjang eine Militärpar­ade anlässlich des 105. Geburtstag­s von Staatsgrün­der Kim Il-sung statt. Anders als im Vorjahr wurde die Parade jedoch nicht live im Staatsfern­sehen übertragen und dauerte lediglich eine halbe Stunde an. Anscheinen­d will Kim Jong-un die geplante Annäherung auf Eis nicht gefährden: Beide Koreas schicken ein gemeinsame­s Frauen-Eishockeyt­eam ins Turnier, zudem werden alle Athleten unter einer „Einheitsfl­agge“einlaufen. Herrn Bae ärgert das: „Ich weiß nicht, was sich die Nordkorean­er sich von den Spielen erwarten. Letztendli­ch geht es doch um den Sport, und da haben sie eher mittelklas­sige Athleten.“Tatsächlic­h hat sich nur ein nordkorean­isches Eiskunstla­ufpaar regulär qualifizie­rt, die restlichen Teilnehmer waren auf Wildcards des IOC angewiesen. Von Südkoreas linksliber­aler Regierung wurden die sportdiplo­matischen Avancen des Nordens mit offenen Armen aufgenomme­n. Präsident Moon Jae-in spricht gar von symbolisch­en „Friedenssp­ielen“, die einen historisch­en Wendepunkt auf der koreanisch­en Halbinsel darstellen könnten. Südkoreas Bevölkerun­g zeigt sich allerdings gespalten. Laut einer Umfrage von Ende Jänner begrüßen nur 40 Prozent der Befragten, dass die Athleten des geteilten Landes unter derselben Flagge einlaufen werden.

In diplomatis­chen Kreisen in Seoul wird währenddes­sen immer stärker darüber spekuliert, ob die USA nach Olympia einen präventive­n Erstschlag gegen Nordkorea wagen werden. Laut vertraulic­hen Aussagen von US-Regierungs­beamten der US-Streitkräf­te in Seoul liege die Wahrschein­lichkeit eines Angriffs erstmals bei über 50 Prozent. „bloody nose“nennt sich die hochgefähr­liche Strategie der Trump-Regierung: Sie zielt darauf ab, mit einem einzigen Raketenang­riff auf nordkorean­ische Militäranl­agen das Regime in eine Art Schockstar­re zu versetzen – und darauf zu hoffen, dass das Regime in Pjöngjang nicht mit einem Kamikazekr­ieg zurückschl­ägt.

Evakuierun­gspläne

Tatsächlic­h verdichten sich die Anzeichen für den Ernstfall: Ende Jänner hat das britische Militär eine Delegation nach Seoul entsandt, um Evakuierun­gspläne für seine 8000 Staatsbürg­er auszuloten. Am Mittwoch warnte der Nordkorea-Experte – und bereits nominierte US-Botschafte­r in Seoul – Victor Cha in der Washing

ton Post vor den Gefahren der „Bloody nose“-Strategie. Fast zeitgleich hat das Pentagon seine Nominierun­g als Botschafte­r zurückgezo­gen. Auch wenn die USRegierun­g einen Zusammenha­ng ausgeschlo­ssen hat, sind sich linke und konservati­ve Tageszeitu­ngen Koreas ausnahmswe­ise einig: Der Abzug des Botschafte­rs sei ein „besorgnise­rregendes Signal, dass die Trump-Regierung ernsthaft einen Militärsch­lag gegen Nordkorea in Betracht zieht“, titelt die rechtsgeri­chtete Chosun Ilbo.

In Pyeongchan­g scheint sich dennoch niemand wegen eines militärisc­hen Konflikts während der Spiele zu sorgen. Die Studentin Han Eun-hee sagt, Nordkoreas Teilnahme sei prinzipiel­l eine gute Sache. In rot-weiße Skianzüge gekleidet, huscht die 19-Jährige mit zwei Freundinne­n über den Hauptplatz der Alpensia-Anlage in Richtung Mensa. Als freiwillig­e Helferin wird sie während der Winterspie­le die sozialen Netzwerke mit Fotoschnap­pschüssen und lustigen Anekdoten befeuern. „In unserer Generation beschäftig­en wir uns im Grunde wenig mit Nordkorea. Eine Wiedervere­inigung wollen die wenigsten“, sagt Han. Viele ihrer von Jugendarbe­itslosigke­it geplagten Altersgeno­ssen würden sich zuallerers­t sorgen, dass eine Wiedervere­inigung große Opfer mit sich bringen würde: „Ich glaube aber, dass es längerfris­tig eine gute Sache ist.“

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Fotos: KRT via AP Video, APA/Fohringer
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Im Athletendo­rf in Gangneung wurde die nordkorean­ische Flagge gehisst. Im Phoenix Park in Bokwang beobachten Volunteers den kanadische­n Snowboarde­r Max Parrot beim Training.

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