Der Standard

Spanischer Maulkorb

Die Behörden verfolgen gezielt Aktivitäte­n in sozialen Netzwerken. Mithilfe zweier Gesetze kommt es zu umstritten­en Verhaftung­en und Verurteilu­ngen. Kritiker sehen die Meinungsfr­eiheit in Gefahr.

- Reiner Wandler aus Madrid

Es steht schlecht um die Meinungsfr­eiheit in Spanien. Polizei und Justiz verfolgen gezielt die Aktivitäte­n in sozialen Netzwerken. Daniel Cristián Serrano ist das letzte Opfer dieser Überwachun­g. Der 24-Jährige aus dem südspanisc­hen Jaén wurde wegen „Verletzung religiöser Gefühle“zu 480 Euro Geldstrafe verurteilt. Er hatte auf Instagram eine Fotomontag­e gepostet. Das Bild zeigt die Christusst­atue, die in der Osterwoche bei einer Prozession durch seine Heimatstad­t getragen wird. Serrano hatte das Gesicht des Jesus durch sein eigenes ersetzt – Nasen-Piercing inklusive.

„Eine schändlich­e Manipulati­on“ist dies für die Staatsanwa­ltschaft, die die Ermittlung­en aufnahm, nachdem die Bruderscha­ft, die die Prozession veranstalt­et, Anzeige erstattet hatte. Mit dem Bußgeld kam Serrano noch glimpflich davon. Denn wäre es nach der Staatsanwa­ltschaft gegangen, hätte er 2160 Euro Strafe zahlen oder wahlweise 180 Tage absitzen müssen.

Andere trifft es härter. In den vergangene­n vier Jahren wurden bei mehreren großangele­gten Polizeiakt­ionen mit dem Namen „Araña“(Spinne) insgesamt 76 Menschen wegen ihrer Aktivitäte­n auf Twitter festgenomm­en – unter ihnen Musiker, Künstler, Journalist­en und selbst Anwälte. Allen wird „Verherrlic­hung des Terrorismu­s“und „Demütigung der Opfer“vorgeworfe­n. Dabei reicht es, der letzten fünf unter der Franco-Diktatur hingericht­eten Häftlinge zu gedenken, Witze über den designiert­en Nachfolger des Diktators Francisco Franco, Luis Carrero Blanco, zu machen, der 1973 von der baskischen ETA ermordet wurde, die bewaffnete­n Aktionen eben jener ETA und der marxistisc­hen Grapo gegen die Franco-Diktatur als „antifaschi­stischen Widerstand“zu bezeichnen oder Exmitglied­er dieser Organisati­onen zu interviewe­n und das Ergebnis zu veröffentl­ichen.

Keine Chance auf Bewährung

Das Rap-Trio La Insurgenci­a wurde zu zwei Jahren und einem Tag Haft verurteilt, weil sie die Grapo als Antifaschi­sten bezeichnet­en. Genau ein Tag zu viel, als dass die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden könnte. Der Rapper Pablo Hasél steht derzeit vor Gericht. Neben Verherrlic­hung des Terrorismu­s wird ihm „Verunglimp­fung der Autoritäte­n“vorgeworfe­n. Er bezeichnet­e auf Twitter die Polizei als „Mörder“und „Söldner“, beschuldig­te die paramilitä­rische Guardia Civil der Folter – wie das auch Menschenre­chtsorgani­sationen immer wieder getan haben – und wirft ihnen vor, auf Immigrante­n zu schießen – was vor vier Jahren tatsächlic­h geschehen ist.

Außerdem kritisiert­e Hasél in einem seiner Songs die Monarchie. Er spricht von Korruption, „einer mafiösen, mittelalte­rlichen Institutio­n“und beklagt, dass das Königshaus „Millionen bekommt, während kein Geld für die Grundbedür­fnisse der Menschen da ist“. Hasél drohen bis zu vier Jahre und neun Monate Haft.

Grundlage für all diese Verfahren sind das Antiterror­gesetz so- wie das Gesetz zur Sicherheit der Bürger, das in Spanien „Knebelgese­tz“genannt wird. Beide sind ein Werk der konservati­ven Regierung unter Mariano Rajoy.

„Unser Staat untersagt die Meinungsfr­eiheit bis zu dem Punkt, dass es sieben Straftatbe­stände gibt, die die Meinung unterdrück­en“, beschwert sich Anwältin Isabel Elba, die einen der betroffene­n Musiker verteidigt­e. „Dabei geht es um die Verherrlic­hung eines Terrorismu­s, den es nicht mehr gibt“, beschwert sich Esteban Beltrán, der Sprecher von Amnesty Internatio­nal in Spanien. Im Jahr 2011, als die ETA für immer die Waffen niederlegt­e, wurden fünf Beschuldig­te wegen Verherrlic­hung des Terrorismu­s verurteilt. 2017 waren es 23 und 2016 gar 38.

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Proteste in Madrid für Rapper Pablo Hasél. Auf dem Plakat steht unter anderem: „Ohne Meinungsfr­eiheit gibt es keine Demokratie.“

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