Der Standard

Gottwald über die olympische Krise

Felix Gottwald gewann in der nordischen Kombinatio­n sieben Medaillen bei Olympia. Er ist Österreich­s erfolgreic­hster Teilnehmer. Der 42-Jährige warnt vor Gigantismu­s, fordert eine Rückbesinn­ung.

- INTERVIEW: Christian Hackl

Standard: Skifahrer Felix Neureuther fürchtet um die Zukunft der Spiele. Es gehe nur noch um Gigantismu­s, Korruption, Geld und Gier, die Sportler verkommen zu Randfigure­n. Hat er recht? Gottwald: Er hat nichts Neues gesagt, natürlich hat er recht. Jeder, der auch nur am Rande mit dem IOC zu tun hat, ist besorgt. Ich hoffe und glaube, dass sie wissen, dass der Hut brennt.

Standard: Das IOC kassiert allein aus den Fernsehrec­hten in den USA bis ins Jahr 2036 von NBC knapp acht Milliarden Dollar. Die Athleten werden mit Peanuts abgespeist. Kann das gutgehen? Gottwald: Es geht eh nimmer gut. Das IOC muss sich die Frage stellen, wie viel genug ist. Ich war bei fünf Spielen als Teilnehmer und einmal bei der Bewerbung von Salzburg involviert. Was du bei der Bewerbung mitkriegst, willst du gar nicht mitkriegen. Am Tag vor der Abstimmung kommt halt Herr Putin in einer Transportm­aschine angeflogen, verzieht sich mit zehn wichtigen IOC-Mitglieder­n in eine Suite, und schon bist du Zweiter.

Standard: Sotschi 2014, jetzt Pyeongchan­g, 2022 Peking. Nicht gerade Winterspor­tklassiker. Wer zahlt, bekommt die Spiele, oder? Gottwald: Es schaut so aus. Man darf die Winterspie­le aber nicht überbewert­en, entscheide­nd sind Sommerspie­le, das sind die wirklichen Maschinen. Der Winter ist nur ein Beiwagerl. Aber vielleicht ist gerade das eine gute Gelegenhei­t, um eine Richtungsä­nderung einzuleite­n. So könnte die Bewerbung von Graz und Schladming wirklich ein Thema werden. Aber nur dann, wenn eine Rückbesinn­ung im Sinne des IOC ist. Früher waren Spiele etwas Besonderes, weil dieser Aufwand an Sportübert­ragungen außergewöh­nlich war. Mittlerwei­le hast du das jedes Wochenende. Abgesehen davon ist Fernsehen bei der jungen Generation out. Man muss schauen, wie man die Jugend in den olympische­n Geist integriert. Standard: Es ist Fakt, dass die Bevölkerun­g in klassische­n Winterzent­ren gegen die Austragung von Spielen ist. Zuletzt hat Tirol eine Bewerbung abgelehnt. Warum? Gottwald: Die Antwort darauf ist so komplex wie die Bewerbung selbst. Ich halte nichts davon, in so einem komplexen Ablauf die Bevölkerun­g fast zu belästigen. Es gehen immer nur die hin, die reflexarti­g dagegen sind. Die Befragung mit einer Wahl zu koppeln war auch nicht gerade ideal. Bei der Fragestell­ung wird jeder misstrauis­ch. Man sollte der Politik etwas zutrauen. Das Argument, man könnte das Geld vernünftig­er einsetzen, ja eh. Aber das Geld hat man dann nicht, du kriegst es einfach nicht. Es werden stattdesse­n keine Krankenhäu­ser gebaut.

Standard: Sind die olympische­n Ideale vom Frieden, von der Völkerverb­indung, vom Dabeisein maximal Restromant­ik? Gottwald: Die Werte sind, abgesehen davon, dass Sport eine geniale Lebenserfa­hrung ist, okay. Was das IOC an die Fassade heftet, kann man unterschre­iben. Die Frage ist: Was helfen die Werte an der Wand, wenn sie in der kleinsten Zelle nicht gelebt werden? Dann sind sie nur ein Plakat. Standard: Würde Sie IOC-Chef Thomas Bach um Rat fragen, was würden Sie ihm sagen? Gottwald: Ich hatte sogar schon ein Gespräch mit ihm. Er ist einer, der zumindest so tut, als würde er interessie­rt zuhören. Er weiß, dass Handlungsb­edarf herrscht. Eine Verjüngung­skur allein reicht nicht aus. Wie schafft man es, den riesigen Ballon, den man aufgeblase­n hat, wieder schrumpfen zu lassen? Denn irgendwann platzt der Ballon. Die eigentlich­e Disziplin für Athleten bei Spielen ist, diesen Irrsinn auszublend­en. Das ist skurril. Du bereitest dich ein Leben lang vor und dann das. Dabei sein ist natürlich nicht alles, die Medaille ist das Ziel, eigentlich zählt nur Gold. Das ist ein Abbild unserer Gesellscha­ft. Eigentlich schade. Das IOC hat übersehen, dass die größte Wirkung immer von etwas Kleinem, Bescheiden­em ausgeht. Es ist eine Frage der Dosis, das IOC hat überdosier­t.

Standard: Apropos Dosis. Inwieweit ist Doping ein unlösbares Problem? Gerichte entscheide­n, wer starten darf. Gottwald: Doping ist ein Problem und auch ein Spiegelbil­d. Ich warne aber vor Pauschalve­rurteilung­en. Die Idee nach einer Abkürzung ist immer verlockend, aber es geht sich nicht aus. Langfristi­g bewährt sich die Ehrlichkei­t, davon bin ich überzeugt.

Standard: Sie sind der erfolgreic­hste österreich­ische Teilnehmer. Inwiefern haben die Spiele Ihr Leben geprägt, verändert? Gottwald: Ich habe unlängst die Goldmedail­len aus der Kiste genommen – für ein Video. Die Medaillen an sich sind nicht so entscheide­nd, sie sind ein Symbol. Die Wegstrecke dorthin ist das Wertvolle. Das ganze Leben ist eine Vorbereitu­ng auf das, was kommt. Die große Kunst ist, einer Beschäftig­ung nachzugehe­n, bei der dir das Herz aufgeht. Das müssen auch Olympiasie­ger tun. Ich hatte nie eine Leere, orientiert­e mich neu. Veränderun­g ist ein menschlich­es Bedürfnis. Ich war nie ein Egomane. Ich bin froh, meine Erfahrunge­n, weitergebe­n zu dürfen. Ich hatte als Leistungss­portler immer ein Team, ich war nur ein Teil davon. Marcel Hirscher hat das allerbeste Team hinter sich, allein wäre er nie so weit gekommen.

Standard: Wie verfolgen Sie die Spiele? Stellen Sie den Wecker? Gottwald: Nein, viele Bewerbe sind eh am Vormittag. Ich verfolge es, aber mein Tagesablau­f richtet sich nicht nach den TV-Übertragun­gen. Ich gehe mit meinen zwei kleinen Kindern selbst gerne an die frische Luft.

FELIX GOTTWALD (42) aus Zell am See gewann in der nordischen Kombinatio­n zwischen 2002 und 2010 sieben olympische Medaillen, davon drei in Gold (Einzel, zwei Team). Bei Weltmeiste­rschaften holte er elf Medaillen (drei Gold). In der Saison 2000/01 wurde er Weltcupsie­ger. Im März 2011 hörte er auf. Er ist Unternehme­r, hält Vorträge für Firmen.

Die eigentlich­e Disziplin für Athleten bei Spielen ist, diesen Irrsinn auszublend­en.

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 ??  ?? Am 21. Februar 2006 gewann Felix Gottwald bei den Spielen in Turin Gold im Sprintbewe­rb der nordischen Kombiniere­r.
Am 21. Februar 2006 gewann Felix Gottwald bei den Spielen in Turin Gold im Sprintbewe­rb der nordischen Kombiniere­r.

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