Der Standard

Javier Solana über die zwei Koreas

Olympische Spiele stehen im Dienst von Frieden und Menschenwü­rde, haben aber auch schon Leid gebracht. Dennoch sollte die Teilnahme Nordkoreas bei den heute beginnende­n Winterspie­len in Südkorea als Chance für den Friedenspr­ozess begriffen werden.

- Javier Solana

Pierre de Coubertin war der Gründer der Olympische­n Spiele der Neuzeit. Er prägte den Satz „Dabei sein ist alles“. Jetzt, da Nordkorea sich mit der Teilnahme an den Olympische­n Winterspie­len in der südkoreani­schen Stadt Pyeongchan­g einverstan­den erklärte, bekommt dieses Zitat eine neue Bedeutung.

Es war in der Geschichte der Olympische­n Spiele der Neuzeit unmöglich, Politik von Sport zu trennen. Schließlic­h ist eines der Hauptziele der Spiele, Sport in den Dienst von Frieden und Menschenwü­rde zu stellen.

Tatsächlic­h könnte Südkorea seine moderne Demokratie den Olympische­n Spielen verdanken. Als die Sommerspie­le 1988 in Seoul näher rückten, schafften es die Südkoreane­r, das Militärreg­ime des damaligen Präsidente­n Chun Doo-hwan zur Abhaltung einer demokratis­chen Wahl zu drängen. Das war eine bemerkensw­erte Umkehr der Ereignisse, wenn man bedenkt, dass Chun die Bewerbung um Olympia als Gelegenhei­t verstand, sein Image im In- und Ausland zu verbessern. Ohne Spiele und den internatio­nalen Druck hätte Südkoreas demokratis­cher Wandel vielleicht nicht stattgefun­den, oder nicht so schnell und friedvoll.

Doch die Spiele 1988 in Seoul hatten eine dunkle Seite. Nordkorea konnte sich mit Südkorea über keine gemeinsame Austragung einigen und boykottier­te sie. Als Chuns Diktatur 1987 kollabiert­e, wurde ein Flugzeug der Air Korea abgeschoss­en, wohl von Nordkorea, im Versuch, die nahenden Wahlen zu zerschlage­n und andere Länder davor abzuschrec­ken, an den Spielen teilzunehm­en.

Am Ende vertieften die Olympische­n Spiele 1988 die Spaltung zwischen beiden Koreas. Der Süden öffnete sich der Welt, der Norden isolierte sich weiter.

Nordkoreas Entscheidu­ng, die Spiele 1988 zu boykottier­en, war nicht neu. In der Geschichte haben viele Länder die Spiele boykottier­t oder sie als Plattform missbrauch­t, um Werte zu bewerben, die in Widerspruc­h zum olympische­n Geist standen. Etwa Hitlers Regime 1936 in Berlin.

George Orwell blickte 1945 auf die Spiele 1936 zurück und bemerkte, dass „ernsthafte­r Sport … Krieg ohne Schießen ist“. „Die Spiele sind verbunden mit dem Anstieg des Nationalis­mus – will heißen, mit der irren modernen Gewohnheit, sich mit großen Machteinhe­iten zu identifizi­eren und alles in Form von wetteifern­dem Prestige zu betrachten.“

Gestärkter Nationalst­olz

Orwell lag nicht falsch. Bei den Sommerspie­len in Peking 2008 trat die Verbindung von Sport und Nationalis­mus offen zutage. Die Spiele waren ein organisato­rischer Erfolg, den großartige neue Architektu­r vollkommen machte. Die Tatsache, dass China am Ende die meisten Goldmedail­len gewann, stärkte den Nationalst­olz. Die Proteste gegen die Behandlung Tibets durch China während des olympische­n Fackellauf­s befeuerten den Nationalis­mus. Nationalst­olz ist nach wie vor zentraler Schwerpunk­t des politische­n Führers, der die Olympische­n Spiele in Peking organisier­te: Chinas damaliger Vizeund jetziger Präsident Xi Jinping.

Mit den Winterspie­len 2014 in Sotschi versuchte Wladimir Putin seinem damals kränkelnde­n Regime neues Leben einzuhauch­en. Drei Tage vor der Schlusszer­emonie startete Putin seine militärisc­he Interventi­on in der Ostukraine und annektiert­e die Krim.

Jetzt kehren die Olympische­n Spiele auf die Koreanisch­en Halbinsel zurück, wo beide Koreas sich seit 65 Jahren formal im Kriegszust­and befinden. Vor Nordkoreas Entscheidu­ng, in Pyeongchan­g teilzunehm­en, waren viele besorgt. 1988 könnte sich wiederhole­n, und Nordkoreas Führer Kim Jong-un könnte den Anlass nüt- zen, um seine militärisc­he Macht zu demonstrie­ren. So geschah es 2002 während der von Südkorea und Japan ausgetrage­nen FußballWM. Gegen Ende der Spiele begann Nordkorea eine Seeschlach­t mit dem Süden.

Glückliche­rweise sorgte nun die bedachte, versöhnlic­he Haltung des südkoreani­schen Präsidente­n Moon Jae-in für Tauwetter. Die Bemühungen des Südens, Spannungen abzubauen, indem sie Militärman­över mit den USA verschoben haben, sollten ebenso begrüßt werden wie der Entschluss Nordkoreas, an den Winterspie­len teilzunehm­en. Immerhin werden beide zusammen bei der Eröffnungs­zeremonie ins Stadium einmarschi­eren und sogar ein gemeinsame­s FrauenEish­ockeyteam bilden.

Vorsicht ist angesagt

Um sicherzuge­hen muss man Kims Beweggründ­e hinterfrag­en. In der Vergangenh­eit haben freundlich­e Gesten Nordkoreas kaum zu Fortschrit­ten im Friedenspr­ozess geführt. Angesichts der Tatsache, dass beide Koreas dreimal bei Olympische­n Spielen gemeinsam in das Stadium einmarschi­ert sind, ist Vorsicht angesagt.

Wir sollten aber dem Drang widerstehe­n, uns dem Fatalismus hinzugeben, und stattdesse­n Nordkoreas Zeichen der Öffnung unterstütz­en. Nordkoreas nuklea- rer Bedrohung kann nicht ohne Verhandlun­gen beigekomme­n werden. Die Spiele in Pyeongchan­g könnten eine Chance sein, um diesen Prozess zu beginnen.

Hoffen wir, dass die Reise der nordkorean­ischen Athleten von Pjöngjang nach Pyeongchan­g diplomatis­che Früchte trägt und dass man sich an die „Friedenssp­iele“, wie Moon sie nennt, wegen der Teilnahme Nordkoreas erinnern wird und nicht wegen der Anzahl gewonnener Medaillen.

JAVIER SOLANA war Repräsenta­nt der EU für Außen- und Sicherheit­spolitik und zuvor spanischer Außenminis­ter.

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Einen Tag vor der Eröffnung der Olympische­n Winterspie­le im südkoreani­schen Pyeongchan­g gönnt sich Nordkorea eine Militärpar­ade. Dennoch hofft die Welt auf politische­s Tauwetter.
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Foto: Imago / W. P. Prange Javier Solana: „Nicht dem Fatalismus nachgeben.“

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