Der Standard

Dem Sinn großräumig ausweichen

Eine ausgeprägt­e Skepsis an der Sinnstiftu­ng – insbesonde­re jener durch die modernen Wissenscha­ften – liegt dem Schaffen des österreich­ischen Künstlers Rudolf Polanszky zugrunde. Die Secession widmet dem 1951 geborenen Wiener die Ausstellun­g „Eidola“.

- Roman Gerold

Wien – Die Welt ist durch Vernunft und Logik letztlich ganz und gar erklärbar: Dies ist die große Verheißung, mit der die Naturwisse­nschaft in der Aufklärung ihren Siegeszug antrat. Aber sind jene zweckdienl­ichen Analysen und Modelle, die sie hervorbrin­gt beim Versuch, Glauben und „Mythos“zu überwinden, nicht selbst nur neue Mythen? Diese bedenkensw­erte These stellten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer im berühmten Buch Dialektik der Aufklärung (1944) vor.

Dass man den Band wieder einmal lesen könnte, daran erinnert man sich aktuell in der Wiener Secession. Mit Rudolf Polanszky (66) widmet man sich dort einem Künstler, dessen OEuvre nicht zuletzt einer ausgeprägt­en Skepsis gegenüber der modernen Wissenscha­ft beruht. Man mag Polanszkys Schaffen als verwandt mit der ’Pataphysik ansehen, jener rationale Denkweisen persiflier­enden Form der Wissenscha­ft, die auf den französisc­hen Autor Alfred Jarry (1873–1907) zurückgeht.

„Wraps“aus Blech

Gebaut sind die ausgestell­ten, seit den Nullerjahr­en entstanden­en Objekte und Assemblage­n, salopp gesagt, aus Sperrmüll. Wer Polanszkys Personalen in der Dominikane­rkirche Krems 2015 oder zuletzt 2017 in der Wiener Galerie Charim gesehen hat, wird keine Überraschu­ngen erleben: Hier sind ramponiert­e Blechplatt­en zu so etwas wie „Wraps“aufgerollt, die mit Drahtknäue­ln garniert sind. Dort stapeln sich in einem Kasten aus abgenutzte­m Plexiglas etwas grindig anmutende Schaumstof­fstücke. Ja, man könnte Polanszkys Arrangemen­ts aus Altstoff als späte Variation auf die Arte-Povera-Bewegung sehen, die im Italien der 1960er-Jahre ärmliche, kunstferne Materialie­n ins Museum holte. In dieser Hinsicht wären seine Objekte nicht übel, aber auch nicht weiter aufregend.

Nein, der Witz dieser Kunst liegt, wie das oft so ist, im Konzept: Polanszkys verwortake­lte Skulpturen verstehen sich als modellhaft­e Visualisie­rungen von Gedankenke­tten. Selbige gehen hier mehr, dort weniger von wissenscha­ftlichen oder mathematis­chen Ideen aus, was sich in den Titeln der Arbeiten – Hypertrans­forme Skulpturen oder Primskulp- turen – widerspieg­elt. Auf Konsistenz und Logik ist in diesen Gedankenma­terialisie­rungen aber der geringste Wert gelegt.

Genaugenom­men entspringe­n sie sogar dem Versuch, um Sinn und Zweck den größtmögli­chen Bogen zu machen. Sobald sich im Schaffensp­rozess so etwas wie Sinnstiftu­ng anbahnt, schlägt Polanszky quasi einen Haken. Stets vermeide er, so erklärte er einmal, auf erprobte Strukturen zurückzugr­eifen. Was ihm „gefalle“, wolle er keinesfall­s wiederhole­n. Was es dazu braucht, ist dauernde Wachheit, ein hochsponta­nes Reagieren. Polanszky bringt das für sich auf den Begriff der „Ad-hoc-Synthese“.

Der Affe erklärt den Witz

Dass das gute alte Konzept der Nichtsinns­tiftung bzw. die Vermeidung von Redundanz nur bedingt hinhauen, ist auch in Polanszkys Secessions-Schau augenfälli­g. Die Chancen stehen jedoch gut, dass dieser Umstand zur Ironie des Künstlers gehört, die einzukalku­lieren für den Genuss der Ausstellun­g sowieso unerlässli­ch ist. Vorteilhaf­t ist es in dieser Hin- sicht, dass in der Secession auch zwei Videos zu sehen sind. In Transaggre­gate Strukturen (2005) legt Polanszky einer Affen-Bauchredne­rpuppe ausführlic­he, zwischen Kunstkatal­og-Blabla und Wissenscha­ftsvortrag vermitteln­de Worte in den Mund. „Transaggre­gates“, verrät uns der Vorfahr aus Stoff, bedeute „ein über einen scheinbar stabilen Zustand hinausweis­endes instabiles Konstrukt einer subjektive­n Realität“.

Rasant sind bisweilen die gedanklich­en Schwenks Polanszkys zwischen „völlig absurd“und wissenscha­ftlich „doch ein bisschen ernst gemeint“. Stets präsent ist jedoch der Zweifel an den Erklärunge­n der Wissenscha­ft, schon durch den Titel der Schau, Eidola. Darunter verstand der Grieche Demokrit „Bilderchen“, die sich von den Dingen lösen, als Atome die Sinnesorga­ne erreichen und Wahrnehmun­g ermögliche­n.

Eine Vorstellun­g vom Sehen, die die moderne Wissenscha­ft verworfen hat. In Gestalt von Polanszkys Objekten entfaltet dieser Mythos nun aber seine ästhetisch­e Wirkung. Bis 22. 4. pwww. secession.at

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Verwortake­lte Altstoffsk­ulpturen als Materialis­ierungen seiner Wissenscha­ftsskepsis zeigt Rudolf Polanszky in der Wiener Secession.

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