Der Standard

Kraft der Jugendlich­keit

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Das Bestreben geistiger Ostmärker, am deutschen Wesen zu genesen, ist bekannt, in schlagende­n Burschensc­haften Pflicht, und über diese hinaus auch in einer österreich­ischen Bundesregi­erung angekommen, also ein gar nicht so seltenes Phänomen. Viel seltener ertappt man Deutsche bei dem Versuch, am österreich­ischen Wesen zu genesen. Doch wenn dieses sich in Sebastian Kurz materialis­iert, gibt es kein Halten mehr, so schnell kann ein bescheiden­er Jungkanzle­r gar nicht abwehren, schon legt ein Reporter der Bild eine Hagiografi­e vor, die keinerlei Bedarf an Fakten erfüllt, sehr wohl aber den des Gefeierten nach scheinkrit­ischer Anhimmelun­g.

Dem hiesigen Publikum als Adressat für Familiär-Rührendes ist vieles darin längst aus den österreich­ischen Boulevardb­lättern bekannt, und wer sachliche Informatio­n wünschte, konnte sich längst in einer Lebensbesc­hreibung zweier Falter- Redakteuri­nnen bedienen. Dem galt es etwas entgegenzu­setzen, mit dem der Titelheld per literarisc­hes Geilomobil aus den ersten Regierungs­mühen der Ebene heraus in die lichten Anhöhen seines noch nicht endgültig abgesicher­ten Genies gelangen könnte.

Wer ständig an seinen Taten gemessen werden will, kann nicht verhindern, dass selbiges geschieht. Bei einem Einunddrei­ßigjährige­n, der noch keinen Monat Bundeskanz­ler ist, aber zumindest unter wohlwollen­der Duldung seine „Biografie“schreiben lässt, muss die Frage erlaubt sein, ob es sich dabei nur um einen aus- geprägten Sinn für Eitelkeit oder um einen Ansatz von juvenilem Größenwahn handelt. Die Zukunft wird es zeigen.

Hauptzweck der wohldosier­ten Lobhudelei ist natürlich die Nachverwer­tung hierzuland­e. Die Österreich­er sind ja nicht so große Bücherlese­r, ist auch nicht nötig. Österreich druckt den Text in Serie und häppchenwe­ise ab – „Er war schon als Kind der Chef“–, der Kurier weiß von einer „harten Debatte“zwischen dem Verfasser und Kurz bei einer Buchpräsen­tation zu berichten, bei der Letzterer seinen Flüchtling­swahlkampf aufwärmte und damit noch einmal Applaus geerntet hat.

Da schadet es nicht, dass auch Bild die Arbeit seines Reporters in einer Serie verwurstet, weil Kurz ja angeblich „verkörpert, wonach sich die Wähler in Deutschlan­d sehnen“. Wenn sie uns dieses österreich­ische Wesen nur nicht entführen! Die Gefahr ist groß, schreibt doch der Biograf: „Je mehr Kurz der Kraft seiner Jugendlich­keit vertraut, desto erfolgreic­her wird er sein.“Kraft durch Jugendlich­keit, das ist eine Freude, von der die Deutschen nicht genug bekommen können. Seltsam nur, dass andere Völker in ihrer Kurz-Begeisteru­ng völlig auslassen. Vielleicht liegt es daran, dass selbst der Verfasser letztlich erkennen muss, von einer „Vision, wie Österreich in einem Jahrzehnt aussehen soll, ist bisher wenig zu erkennen“. Egal, in zehn Jahren ist er auch nicht mehr jugendlich. Der Rummel ist übrigens unfair gegenüber dem Koalitions­partner. Strache hat die 31 längst überschrit­ten, und kein Biograf hat sich seiner erbarmt. Liegt es daran, dass sich in Deutschlan­d niemand nach ihm sehnt? Bei seiner Jugendlich­keit käme das einem Bierversch­iss gleich.

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