Der Standard

Aufstand in der SPD: Schulz wird doch nicht Außenminis­ter

Rückzug soll das Ja der Parteibasi­s zum schwarz-roten Koalitions­vertrag retten

- Birgit Baumann aus Berlin

Berlin – Nur wenige Tage nach Abschluss der Koalitions­verhandlun­gen mit der Union wurde die SPD am Freitag von einem politische­n Erdbeben heimgesuch­t. Noch-Parteichef Martin Schulz kündigte an, doch nicht mehr als Außenminis­ter in die neue große Koalition eintreten zu wollen. Zu diesem Schritt sah er sich gezwungen, weil ihm laut Bild-Zeitung die SPD-Spitze, angeführt vom mächtigen Landesverb­and Nordrhein-Westfalen, das Vertrauen entzogen hatte.

Die Genossen hatte mehr und mehr beunruhigt, dass in der SPD nicht über Inhalte des Koalitions­vertrages diskutiert wird, sondern nur über das Verhalten von Schulz. Man sorgte sich, dass die SPD-Basis die Zustimmung zum Vertrag verweigern könnte.

Schulz hatte nach Abschluss der Koalitions­verhandlun­gen dem amtierende­n Außenminis­ter Sigmar Gabriel bloß mit einem dürren Satz für dessen gute Arbeit gedankt und erklärt, künftig wolle er selber an der Spitze des deutschen Außenamtes stehen.

Der Unmut in der SPD wuchs daraufhin, denn Schulz hatte ja nach der verlorenen Bundestags­wahl noch erklärt, er werde „ganz klar“nicht Minister unter Merkel werden. Außerdem beklagte sich Gabriel in einem Interview bitter über mangelnde Wertschätz­ung ihm gegenüber und beklagte auch den Umgang in der SPD.

Er sehe durch die Diskussion um meine Person „ein erfolgreic­hes Votum gefährdet“, gab Schulz in einer schriftlic­hen Erklärung bekannt. Und: „Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregi­erung und hoffe gleichzeit­ig inständig, dass damit die Personalde­batten innerhalb der SPD beendet sind.“(red)

Es begann als Unruhe, steigerte sich zum großen Missfallen und endete schließlic­h in offener Kritik. Seit SPD-Chef Martin Schulz am Dienstag an der Seite der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer den Koalitions­vertrag präsentier­t hatte, wollte vor allem eines nicht gelingen: dass die Genossen positiv über das Werk reden – geschweige denn, dass sie überhaupt drüber sprechen.

Denn es gab nur ein Thema: der mit einem Wortbruch verbundene Eintritt von Schulz in eine Regierung unter Kanzlerin Merkel. „Ganz klar“, hatte Schulz noch im September nach der Wahl erklärt, er werde nicht Minister unter Merkel. Doch dann überlegte er es sich anders, kündigte an, den SPD-Vorsitz an Fraktionsc­hefin Angela Nahles abzugeben, Außenminis­ter werden zu wollen und schmiss damit en passant den amtierende­n, mittlerwei­le recht beliebten Außenminis­ter und Parteifreu­nd Sigmar Gabriel aus seinem Job.

„Mann mit Bart“

Das Rumoren in der SPD wurde immer lauter – und nicht nur das. Auch Gabriel meldete sich zu Wort und machte in einem Interview kein Hehl daraus, wie enttäuscht er ist: Er beklagte mangelnde Wertschätz­ung und auch den Umgang in der SPD.

Und er tat etwas, was in Berlin höchst ungewöhnli­ch ist. Er zog seine fünfjährig­e Tochter in den Machtkampf hinein, indem er sie mit den Worten zitierte: „Marie hat mir gesagt: ,Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht‘.“Gemeint war natürlich Schulz.

Sorge um Basis-Votum

Das trug zwar Gabriel eine Rüge seiner Parteifreu­ndin Heike Taubert (Finanzmini­sterin in Thüringen) ein. Sie erklärte: „Niemand hat tatsächlic­h das Recht auf ein bestimmtes Amt.“Doch offenbar traf Gabriel mit seiner Klage gegen Schulz den Nerv vieler Genossen.

Die Sorge, dass das Mitglieder­votum zum totalen Desaster werden könnte, wuchs stündlich. Am Freitag meldete als erstes Medium Bild- Online, dass nicht nur an der Basis, sondern auch bei der SPDSpitze Feuer am Dach sei, dass sich aber offenbar niemand traue, mit Schulz ein ebenso ernstes wie offenes Wort zu reden.

Man wartete, dass sich das Ergebnis einer Telefonkon­ferenz aus dem einflussre­ichen SPD-Verband Nordrhein-Westfalen bis in Schulz’ Büro im Berliner WillyBrand­t-Haus durchsprac­h. Die Bezirksche­fs an Rhein und Ruhr fanden Schulz nämlich als Außenminis­ter untragbar.

Schriftlic­her Verzicht

Offenbar fand die Botschaft ihren Weg, dann ging es ganz schnell. Um 14.21 Uhr verschickt­e die SPD-Pressestel­le eine schriftlic­he Erklärung des (Noch-)Parteivors­itzenden. Schulz schrieb, er wolle alles dafür tun, dass die SPDBasis in den kommenden drei Wochen für den schwarz-roten Koalitions­vertrag stimmt.

„Daher erkläre ich hiermit meinen Verzicht auf den Eintritt in die Bundesregi­erung und hoffe gleichzeit­ig inständig, dass damit die Personalde­batten innerhalb der SPD beendet sind.“Es sei klar, „dass meine persönlich­en Ambi- tionen hinter den Interessen der Partei zurücksteh­en müssen“.

Damit hat Schulz alles verloren: Den Parteivors­itz und das Außenamt, das er zum Greifen nah wähnte. Er ist nur noch Bundestags­abgeordnet­er. Ob er das Mandat behalten wird, ist noch offen.

Respekt zollt ihm Nahles, die jetzt ja von ihm den Parteivors­itz übernehmen wird. Der Entschluss verdiene „höchsten Respekt und Anerkennun­g“, erklärte sie. Alle wüssten, „wie schwer ihm diese Entscheidu­ng nun gefallen ist, sich persönlich zurückzune­hmen. Das zeugt von beachtlich­er menschlich­er Größe“.

Ähnlich äußerte sich SPD-Vizechef Torsten Schäfer-Gümbel (Hessen), er räumte aber ein: „Der Tag führt uns an emotionale Grenzen.“Wie sehr viele Genossen die Schnauze voll von den Personal- geschichte­n und dem Geschacher­e haben, bringt die ehemalige Juso-Chefin Johanna Ueckermann, die jetzt im Präsidium und im Vorstand sitzt, per Twitter zum Ausdruck: „Sagt Bescheid, wenn dieser Männerzirk­us vorbei ist. Ich hab’s satt.“

In der Tat hatte der Wandel von der Freundscha­ft zur Rivalität zwischen Schulz und Gabriel immer wieder für Diskussion­en innerhalb der SPD gesorgt. Noch vor einem Jahr, als Gabriel Schulz den Parteivors­itz und die Kanzlerkan­didatur vor die Füße gelegt hatte, waren die beiden „Freunde“.

Ruf nach Leitkultur

Doch dann frustriert­e Gabriel, dass Schulz die SPD nach einem kleinen Zwischenho­ch in Umfragen nicht in die Höhe brachte. Und Schulz war von Gabriels zunehmend eigenständ­igem Kurs genervt – etwa, dass Gabriel nach der verlorenen Bundestags­wahl im Spiegel zur Generalkri­tik anhob und erklärte, die SPD brauche eine grundlegen­de Kurskorrek­tur hin zu mehr „Heimat“und einer Debatte über Leitkultur.

Schulz berief Gabriel dafür nicht ins Verhandlun­gsteam mit der Union. Und er warf Gabriel, ohne dessen Namen zu nennen, vor, die Partei „strukturel­l, organisato­risch, inhaltlich und strategisc­h“nicht ausreichen­d weiterentw­ickelt zu haben.

Unklar ist, wie es nun mit Gabriel weitergeht, ob er Außenminis­ter bleiben kann. Es gibt erste Stimmen, die sich dafür ausspreche­n. „Alles andere würde ich jetzt nicht mehr verstehen“, sagt Johannes Kahrs, Bundestags­abgeordnet­er und Sprecher des konservati­ven Seeheimer Kreises in der SPD. Doch es ist nicht so, dass Gabriel plötzlich nur noch Freunde in der SPD hat. Wie Schulz hat auch er selbst dazu viel beigetrage­n. Er gilt als sprunghaft und launisch. Die SPD will jetzt erst einmal eine Krisensitz­ung abhalten.

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Sigmar Gabriel wird Martin Schulz – wie hier bei einem SPD-Parteitag – wohl noch lange Zeit im Nacken sitzen.

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