Der Standard

Kritik an Energiewen­de

Auf Bundeskanz­lerin Merkel, Architekti­n des Übergangs von fossilen zu erneuerbar­en Energien, ist Andritz-Vorstandsc­hef Wolfgang Leitner nicht gut zu sprechen. Auch in Österreich stößt ihm manches sauer auf.

- INTERVIEW: Günther Strobl

Merkels Energiewen­de macht Strom so billig, dass sich Investitio­nen nicht lohnen, sagt AndritzChe­f Wolfgang Leitner.

Standard: Es gibt ein Spannungsv­erhältnis zwischen Industrie und Tourismus. Das eine scheint mit dem anderen schwer kompatibel? Leitner: Die Rolle des Tourismus wird in der österreich­ischen Öffentlich­keit tendenziel­l über-, die der Industrie unterschät­zt. Es gibt in der Bevölkerun­g sicher einen breiteren Konsens, dass der Tourismus wichtig ist und entwickelt werden muss, als dies hinsichtli­ch der Industrie im Land der Fall ist.

Standard: Tourismus das Gute, Industrie das tendenziel­l Böse? Leitner: Die Kategorien Gut und Böse führen zu nichts. Beide, Industrie und Tourismus, sind wichtig und gehören unterstütz­t.

Standard: Touristike­r sagen, die Industrie verstehe es viel besser, Fördergeld­er lockerzuma­chen. Zumindest auf dem Gebiet könne die Industrie Vorbild sein. Leitner: Ich freue mich, wenn die Industrie Vorbild ist, egal für wen. Die Forschungs­förderung ist in Österreich nicht schlecht. Uns hat aber noch niemand angeboten, den Mehrwertst­euersatz für industriel­l hergestell­te Produkte zu senken. Den Hoteliers wurde das für Logis in Aussicht gestellt.

Standard: Man kümmert sich zu wenig um den Industries­tandort? Leitner: In ganz Europa ist das so. Das fällt besonders auf, wenn man in Asien ist. Dort gibt es eine breite Übereinkun­ft zur Förderung der Industrie, zur Schaffung von Infrastruk­tur und zur besseren Ausbildung der Menschen. Es gibt eine klare Strategie, in welchen Bereichen man Weltmarktf­ührer werden möchte, unterlegt mit entspreche­nden Investitio­nsprogramm­en. In Europa kann davon keine Rede sein. Wir diskutiere­n, welche zusätzlich­en Transferza­hlungen von A nach B gehen und welche Umweltvors­chriften noch eingeführt werden sollen. Noch dazu noch mit extrem langen Genehmigun­gsverfahre­n.

Standard: Wie könnte der Industries­tandort gestärkt werden? Leitner: Europa sollte wegkommen von der Verteilung­s- und Transferdi­skussion und sich fokussiere­n. Die USA haben im Augenblick eine übersteige­rte Interessen­spolitik, aber sie sagen klar, was sie wollen und was nicht. In Asien dasselbe. In China verfolgt man zusätzlich politische Ziele.

Standard: Europa droht dazwischen zerrieben zu werden? Leitner: Die europäisch­e Politik ist sehr stark NGO-, das heißt menschenre­chts- und umweltgetr­ieben – alles wichtige Dinge, die man sich aber leisten können muss.

Standard: Inwieweit ist Andritz eigentlich noch ein österreich­isches Unternehme­n? Leitner: Von den knapp sechs Milliarden Euro Umsatz machen wir etwas mehr als zwei Prozent in Österreich, von den rund 25.600 Mitarbeite­rn sind etwa 3300 hier beschäftig­t, weniger als 13 Prozent. So gesehen spielt Österreich eine untergeord­nete Rolle. Anderersei­ts ist das Headquarte­r von Andritz in Österreich. Wir müssen und wollen alles tun, um auch der Landesgese­llschaft eine Perspektiv­e zu geben, die Arbeitsplä­tze zu sichern und idealerwei­se auszubauen. Insofern liegt schon viel Gewicht auch auf Österreich.

Standard: Haben Sie sich schon bei Kanzlerin Merkel bedankt wegen der Energiewen­de? Schließlic­h war sie es, die den Umbau des Energiesys­tems propagiert hat ... Leitner: Man könnte das sarkastisc­h verstehen, mit gutem Grund.

Standard: Nämlich? Leitner: Deutschlan­d gibt jedes Jahr 25 Milliarden Euro zur Stützung von Wind- und Sonnenener­gie aus. Deshalb ist der Strompreis an der Börse so niedrig wie noch nie. Die Folge: In der freien Wirtschaft wird viel weniger investiert, weil sich die Stromprodu­ktion schlicht nicht mehr rentiert.

Standard: Sie als Lieferant von Pumpen, Turbinen und Biomasseke­sseln profitiere­n nicht davon? Leitner: Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind de facto Geschädigt­e der Energiewen­de, weil wir weder Wind noch Solar machen. Das Vorpresche­n von Deutschlan­d bei neuen Erneuerbar­en hat den freien Markt durcheinan­dergewirbe­lt.

Standard: Immer mehr Länder springen auf diesen Zug auf, der Markt für erneuerbar­e Energien vergrößert sich. Ist das schlecht? Leitner: Für uns ist gut, dass es Bemühungen gibt, den CO2-Ausstoß zu reduzieren und von den fossilen Energieque­llen wegzukomme­n. Davon profitiert die Wasserkraf­t, davon profitiert auch unser Geschäft mit Biomasseke­sseln. Was uns noch zugutekomm­t: dass Windkraft und Solarenerg­ie nicht vorhersagb­ar sind. Der Bedarf an Speichern steigt, auch der an Pumpspeich­ern. Da können wir partizipie­ren. Erst jüngst haben

Sobald ich beginne, bei Besprechun­gen einzuschla­fen, wechsle ich auf die andere Seite, in den Aufsichtsr­at.

wir einen Großauftra­g für einen Pumpspeich­er in China erhalten.

Standard: Apropos – wie entwickelt sich Ihr China-Geschäft? Leitner: China sehen wir seit einem Jahr wirtschaft­lich wieder sehr optimistis­ch. Wir hatten 2017 den höchsten Auftragsei­ngang, seit wir dort tätig sind, also seit 20 Jahren. Wir haben an mehreren Standorten quer über China verteilt rund 3100 Mitarbeite­r beschäftig­t.

Standard: Welche Auswirkung­en hat die Digitalisi­erung bei Andritz? Leitner: Das ist ein inkremente­ller Prozess, jedes Jahr kommt mehr dazu. Im Vergleich zu unseren wesentlich­en Mitbewerbe­rn liegen wir bei der Digitalisi­erung sicher nicht hinten, sind mindestens gleichauf, in einigen Bereichen sogar vorn. Wir sehen die Digitalisi­erung als Chance. Es eröffnen sich ganz neue Möglichkei­ten.

Standard: Zum Beispiel? Leitner: Wir können Anlagen selbst betreiben. Je autonomer und stabiler eine Anlage funktionie­rt, desto eher kann ich sie vom Standort entfernt betreiben. In Italien haben wir ein Zentrum, von dem aus wir zum Beispiel ein Wasserkraf­twerk in Indien steuern. Wir haben ein paar Leute vor Ort, eine schnelle Einsatztru­ppe, wenn etwas kaputtgeht. Aber die Steuerung erfolgt von Italien aus.

Standard: Sehen Sie in der Automatisi­erung eine Möglichkei­t, den Fachkräfte­mangel auszugleic­hen? Leitner: Unser Hauptziel ist, aus bestehende­n Anlagen durch mehr Automatisi­erung eine größere Menge an besseren Produkten herauszuho­len. Je selbststän­diger eine Anlage funktionie­rt, desto weniger Mitarbeite­r braucht es. Unser Lieblingsp­rodukt ist die autonome Zellstofff­abrik. In dieses Projekt haben wir sehr viel Geld gesteckt, und wir investiere­n weiter. Standard: Wie weit sind Sie damit? Leitner: Was das betrifft, sind wir sicher weltweit führend. Vor zehn Jahren schaffte eine Zellstoffa­nlage 700.000 Tonnen pro Jahr, jetzt sind es rund zwei Millionen Tonnen. Mithilfe neuer Software und künstliche­r Intelligen­z kann der Verarbeitu­ngsprozess so gesteuert werden, dass am Ende ein besseres Produkt herauskomm­t. Durch weniger Stillstand kann sogar mehr davon produziert werden.

Standard: Was ist aus Ihrer Ankündigun­g geworden, verstärkt mit Start-ups zusammenzu­arbeiten? Leitner: Wir sind an diversen Inkubatore­n beteiligt – in Österreich, aber auch im Ausland, unter anderem in Israel. Wir analysiere­n im Jahr einige 100 Start-ups im Hinblick auf Technologi­en und Geschäftsm­odelle. Weil wir ein Industrieu­nternehmen sind, kein Venture-Capital-Fonds und auch keine Private-Equity-Gesellscha­ft, gibt es einen natürliche­n Gegensatz in den Interessen.

Standard: Inwiefern? Leitner: Der klassische Start-upUnterneh­mer will Kapital in die Firma holen in dem Ausmaß, wie er es verwenden kann, und hat darüber hinaus den Exit im Auge. Er möchte möglichst spät möglichst teuer verkaufen. Wir hingegen wollen Technologi­en möglichst früh sehen, diese rasch entwickeln, behalten und damit Umsatz und Ergebnis machen. Der Gegensatz ist aber nicht unüberwind­bar.

Standard: Was hat Sie die Zeit bei McKinsey gelehrt? Leitner: Zum Beispiel, was ein Deckungsbe­itrag ist. Ich bin ausgebilde­ter Chemiker, hatte null Ahnung von Wirtschaft. Das ist 36 Jahre her und hat sich inzwischen geändert (lacht). Profitiert habe ich von der Zusammenar­beit mit guten, sehr motivierte­n und hart arbeitende­n Menschen. Auch die Arbeit mit Managern auf der Klientense­ite hat mir sehr viel gebracht. Man schläft zwar wenig, dafür entwickelt man sich schnell.

Standard: In der Vergangenh­eit hat es wiederholt Proteste gegeben gegen Projekte, in die Andritz involviert war oder ist, etwa das Staudammpr­ojekt Ilisu in der Türkei oder Belo Monte in Brasilien. Trifft Sie das oder perlt das an Ihnen ab? Leitner: Wir verstehen die Mechanisme­n. Da stehen NGOs dahinter, die Druck haben, in der Öffentlich­keit präsent zu sein. Nur so bekommen sie Spenden, so funktionie­rt ihr Geschäftsm­odell. Solange sich das auf einer argumentat­iven Ebene abspielt, haben wir gar kein Problem. Persönlich finde ich es problemati­sch, wenn österreich­ische NGOs der Meinung sind, sie müssten etwas verhindern, was in Brasilien durch alle Genehmigun­gsverfahre­n gegangen ist. Auch für Sachbeschä­digungen wie kürzlich bei unserer Konzernzen­trale in Graz-Andritz habe ich null Verständni­s.

Standard: Wo sehen Sie Andritz in zehn Jahren – Zentrale samt TopManagem­ent noch in Österreich? Leitner: Das hängt von der Entwicklun­g ab. Österreich ist ein tolles Land, hat gut ausgebilde­ten Mitarbeite­r. Es gibt aber Nebengeräu­sche, die mal leiser, mal lauter zu hören sind – Stichwort Vermögens- und Erbschafts­teuer. Oder Stimmungsm­ache gegen Stiftungen, obwohl das die Besitzform eines Großteils der heimischen Industrie ist und deren Verbleib in Österreich sichern soll. Das macht uns langfristi­g Sorgen.

Standard: Sie werden im März 65. Wie lange bleiben Sie operativ? Leitner: Nicht unendlich lang, eine Zeitlang aber schon noch. Sobald ich beginne, bei Besprechun­gen einzuschla­fen, wechsle ich auf die andere Seite, in den Aufsichtsr­at, wo das – angeblich – zum Berufsbild gehört (lacht).

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