Der Standard

„Wenn du heute von Liebe und Gefühlen redest, klingst du wie ein Idiot. Deshalb war es mir wichtig, vom Gegenteil zu erzählen: von der Menschlich­keit.“

Mit seinem mehrfach ausgezeich­neten Fantasymär­chen „The Shape of Water“ist Guillermo del Toro zum großen Oscar-Favoriten avanciert. Ein Gespräch über Außenseite­r, alte Musicals und echte Liebe.

- INTERVIEW: Michael Pekler

Der mexikanisc­he Regisseur Guillermo del Toro über sein jüngstes Werk, den Oscar-Favoriten „The Shape of Water“

STANDARD: „The Shape of Water“wird von der internatio­nalen Kritik als Ihr bester Film seit vielen Jahren gefeiert. Was halten Sie von dieser Einschätzu­ng? Del Toro: Ich würde schon sagen, dass er mir gelungen ist. Wobei man als Filmemache­r natürlich einen speziellen Blick auf seine eigene Arbeit hat. Im Nachhinein geht es darum, welche Beziehung man zu einem Film entwickelt hat. Die kann sich im Laufe der Jahre auch ändern. Man lehnt sich ja nicht zurück und schaut sich den fertigen Film an, sondern man hat die ganze Produktion miterlebt und verantwort­et.

STANDARD: Aber es gibt doch sicher eine Erwartungs­haltung? Del Toro: Die entscheide­nde Frage ist, ob das Risiko belohnt wird. Manchmal hat man eine Menge riskiert, und wenn man dann mit dem Ergebnis glücklich ist, genügt einem das als Belohnung. Und bei solchen Filmen, wie ich sie drehe, gibt es den programmie­rten Erfolg ohnehin nicht. Es kann sogar anders laufen: Man liefert einen Film ab, den das Publikum mag, den man aber selbst nicht leiden kann. Im konkreten Fall kann ich aber sagen: The Shape of Water sieht exakt so aus, wie ich es wollte.

STANDARD: Das klingt beruhigend, weil Sie ja für lange Vorarbeite­n bekannt sind. Del Toro: An The Shape of Water habe ich im Dezember 2011 zu schreiben begonnen, aber ohne Auftrag. Ein Jahr später habe ich mit Setdesigne­rn und bildenden Künstlern erste Ideen für die Kreatur und die Ausstattun­g gesammelt. Nach zwei Jahren Vorfinanzi­erung aus eigener Tasche hat es dann geklappt. Was sie mir bei Century Fox einzig nicht durchgehen ließen, war die Idee, dass ich den Film in Schwarzwei­ß drehe. Da gab’s keinen Verhandlun­gsspielrau­m. STANDARD: Eine märchenhaf­te Liebesgesc­hichte zu filmen mutet dieser Tage anachronis­tisch an. Del Toro: Wir leben in einer Welt, die von Zynismus bestimmt wird und in der ein intelligen­ter Diskurs nahezu unmöglich geworden ist. Es war noch nie so einfach wie heute, seinem Hass freien Lauf zu lassen. Wenn du heute von Liebe und Gefühlen redest, klingst du wie ein Idiot. Deshalb war es mir wichtig, vom Gegenteil zu erzählen: von der Menschlich­keit. Wir haben im privaten Leben und in der Öffentlich­keit ein großes Problem damit, Emotionen zu zeigen. Da fehlt der Mut.

STANDARD: Ihr Film spielt im Amerika der Nachkriegs­zeit, die Politik ist die des Kalten Krieges. Hatten Sie angesichts des politische­n Umbruchs nicht das Bedürfnis, den politische­n Aspekt stärker zu betonen? Del Toro: Keineswegs. Schauen Sie, ich bin Mexikaner, und ich sage Ihnen ehrlich: Ich habe diesen Zustand kommen gesehen, weil ich ihn als Einwandere­r und Außenseite­r jeden Tag erlebt habe. Für mich ist The Shape of Water also kein Film nur über das Jahr 1962, sondern auch über das Hier und Heute. Ein politische­r Film muss nicht von Politik handeln.

STANDARD: Sondern wovon? Del Toro: Zum Beispiel von jenem Hass, der aus der Angst entsteht. Nehmen wir zum Beispiel den Bösewicht, den Michael Shannon spielt: In einem Film aus den Fünfzigern wäre er wahrschein­lich noch der Held gewesen, der das Monster besiegt. Bei mir ist er von Blindheit gezeichnet, weil er nur das glaubt, was er in seiner kleinen Welt zu sehen meint. In Wahrheit sieht er nichts. Die Kreatur ist womöglich eine göttliche Gestalt, für ihn nur ein schmutzige­s Ding aus dem Sumpf. Die höchste Kunst der Menschlich­keit besteht darin, den anderen wahrzunehm­en. Wenn ich Sie anschaue, erkenne ich damit Ihre Existenz an. Ideologien und Religionen verhindern das. Dann sind Sie der Jude, der Mexikaner oder eben das Monster.

STANDARD: Ihr Film steckt voller historisch­er Referenzen, vor allem auf das Kino selbst: Musicals, Wasserball­ettfilme mit Esther Williams, es gibt diesen riesigen Kinosaal, in den sich später das Wasser ergießt. Del Toro: Das mag Sie überrasche­n, aber der Film, den ich mir zur Vorbereitu­ng am öftesten angesehen habe, war The Salesman (1969) von den Maysles-Brüdern, ein Dokumentar­film im Direct-CinemaStil. Einer der besten Filme über die amerikanis­che Desillusio­nierung. Und ganz viele Arbeiten von Douglas Sirk. Ich habe mir keinen einzigen Monsterfil­m angesehen, sondern Klassiker von Stanley Donen und die Tanzfilme mit Fred Astaire wie Top Hat oder Minnellis An American in Paris.

STANDARD: In Ihren Filmen spielt Sexualität stets eine große Rolle. In „The Shape of Water“sieht man, wie sich Elisa morgens in der Badewanne befriedigt. Das ist ja nicht gerade ein Bild, das man mit „Die Schöne und das Biest“verbindet. Del Toro: Von Beauty and the Beast gibt es zwei Versionen: Da ist die puritanisc­he, die die Sexualität komplett ausklammer­t. Also vielleicht haben die beiden, wenn das Biest ein Prinz geworden ist, irgendwann mal Sex. Und dann gibt es die eher perverse Vorstellun­g. Beides hat mich hier nicht interessie­rt. Der Sex in The Shape of Water verleiht der Liebesgesc­hichte höchstens ein Prickeln.

STANDARD: Vieles an dem Film erinnert selbst an eine Art von Fluss, etwa die langsamen Kamerafahr­ten oder Sally Hawkins’ beinahe grazilen Körperbewe­gungen. Del Toro: Ich habe die Rolle für Sally Hawkins geschriebe­n, ebenso die des Bösewichts für Michael Shannon. Sally, die im Film ja stumm ist, habe ich geraten, sich die Stummfilme von Harold Lloyd, Buster Keaton und Charlie Chaplin anzusehen. Es ist etwas völlig anderes, im Kino nur mit dem Körper und den Augen zu sprechen.

STANDARD: Es gibt einige Parallelen zu Ihrem während der Franco-Diktatur spielenden „Pans Labyrinth“, in dem ebenfalls Doug Jones das fremde Wesen spielt. Del Toro: Das Mädchen aus Pans Labyrinth könnte tatsächlic­h Elisa in The Shape of Water sein. Ich sehe Devil’s Backbone, der ja Geisterund Bürgerkrie­gsfilm in einem ist, Pans Labyrinth und The Shape of Water tatsächlic­h als lose Trilogie.

STANDARD: Bringt die Außenseite­rrolle, die Sie in Hollywood einnehmen, nicht auch Vorteile mit sich? Del Toro: Es ist wichtig zu wissen, was man nicht will. Ich mache einen Film und dann den nächsten. Das kann ein Blockbuste­r sein, ein Independen­tfilm oder meinetwege­n Laientheat­er. Das ist mir egal. Es gibt weltweit vier Regisseure, die auf das Marketing eines Films mit einem Budget von über 50 Millionen Dollar Einfluss haben. Hätte ich The Shape of Water für 70 Millionen gedreht, hätte ich die Kontrolle abgeben müssen und Sie hätten ein Horrormons­terspektak­el gesehen.

GUILLERMO DEL TORO (53) ist ein mexikanisc­her Regisseur, Produzent, Schriftste­ller und Drehbuchau­tor. Zu seinen bekanntest­en Arbeiten zählen „Pans Labyrinth“, „Hellboy“, „Crimson Peak“sowie die TV-Serie „The Strain“. Für „The Shape of Water“erhielt er den Goldenen Löwen beim Filmfestiv­al von Venedig und einen Golden Globe als bester Regisseur. Ab Freitag im Kino

Die Kreatur ist womöglich eine göttliche Gestalt, für den, der sie nicht wahrnimmt, aber nur ein Ding aus dem Sumpf.

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Unerhörte Liebe im Kalten Krieg: Noch sind die Putzfrau Elisa (Sally Hawkins) und der im unterirdis­chen US-Labor gefangene Amphibienm­ann (Doug Jones) getrennt.
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Foto: Reuters Golden-GlobeSiege­r: Guillermo del Toro.

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