Kims „Charme-Intrige“als Provokation für die USA
Die Welt soll Nordkorea als Atomwaffenmacht anerkennen – durch Attacken gegen die USA und China und Versöhnung mit Seoul. Ein gefährliches Spiel, meint ein chinesischer Experte.
Fast jeden Tag sorgt die Charmeoffensive von Kim Jong-un gegenüber Südkorea für neue Überraschungen. Zur Olympia-Eröffnung flog die bisher höchstrangige politische Delegation aus Nordkorea nach Seoul, angeführt vom 90-jährigen Kim Yong-nam, dem formellen Staatsoberhaupt Nordkoreas. Doch die spektakulärste Teilnehmerin ist Kim Yo-jong (30), die Schwester des Diktators.
Am Vortag hatten die Funktionäre noch an der Militärparade in Pjöngjang teilgenommen. Zwar wurde die Parade mit der potenziellen Atomwaffen-Trägerrakete Hwasong-15 nicht live übertragen, um die Festatmosphäre im benachbarten Seoul nicht über Gebühr zu strapazieren – doch Kims Botschaft war klar. Nordkoreas Militärmacht sei zur Weltklasse gereift, sagte Kim. Niemand werde die Souveränität seines Landes antasten können, „nicht einmal um 0,001 Millimeter“.
Sichtkontakt mit Pence
Für Samstag war ein Lunch seiner einflussreichen Schwester mit Südkoreas Präsident Moon Jae-in, wenn er die nordkoreanische Olympiamannschaft empfängt, vorgesehen. Das gab Moons Sprecher bekannt. Kims Schwester ist das erste Mitglied in den drei Herrschaftsgenerationen der KimFamiliendynastie, das südkoreanischen Boden betritt. Vermutet wird, dass sie ihm eine Einladung zu einem Nordkorea-Besuch überbringt. Am Eröffnungsabend zuvor sollte sie auch am Präsidentenempfang im Winterspielort Pyeongchang teilnehmen – erste Gelegenheit zum Sichtkontakt mit dem ebenfalls eingeladenen US-Vizepräsidenten Mike Pence und Japans Premier Shinzo Abe.
Das von Kim seit seiner Neujahrsrede angeheizte Tauwetter kam so plötzlich über Südkorea, dass dort das Wort von „olympischen Friedensspielen“die Runde macht. Kims Gesten des guten Willens richten sich aber nur an die Adresse von Seoul. Die Nachrichtenagentur KCNA forderte die USA und gleichzeitig auch China auf, sich aus dem innerkoreanischen Dialog herauszuhalten.
Spöttisch reagierte ein Abteilungsleiter aus dem Außenministerium auf unterschiedliche Signale von US-Politikern, ob es zu direkten Kontakten mit Nordkorea während der Eröffnung der Winterspiele kommen könne. „Das ist die Höhe an Sarkasmus. Wir haben nie um einen Dialog mit den USA gebettelt, weder jetzt, noch wollen wir das in der Zukunft.“
Pjöngjang bürstete auch Peking ab: Die KCNA warf China vor, „sich verabscheuenswert in die Angelegenheiten anderer einzumischen“. Sie attackierte am Freitag Chinas Staatsmedien, nicht besser zu sein als die „Reaktionäre der Geschichte“: Gemeint sind die USA und Japan. Es sei ein „Akt der Arroganz“, eine Denuklearisierung Nordkoreas zu verlangen und zu behaupteten, dass sonst die „jetzige Detente nicht von Dau- er sein kann“. Sie wollten nur die „Atmosphäre“und das „Fest“der Spiele verderben. Chinas angebliche „initiative und proaktive Nachbarschaftspolitik“sei nur darauf aus, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. „Die Winterspiele haben mit dem Thema Denuklearisierung nichts zu tun.“
Pjöngjangs Annäherung an Südkorea überrascht den Nordkorea-Experten an der chinesischen Parteihochschule, Zhang Liangui, nicht. Er nennt sie eine „CharmeIntrige“. Zwei Jahre lang hätte das Regime allen Sanktionen zum Trotz so extensiv aufgerüstet, dass es Nordkorea 2017 zur Nuklearmacht ausrufen konnte. Kims Ziel sei nun, international anerkannt zu werden. Er habe Südkorea und Präsident Moon als die schwächsten Bausteine in der Ablehnungsund UN-Sanktionsmauer gegen ihn identifiziert. Kim mache Moon nun zur „Schachfigur“seiner Absichten. „Wer immer in seinen Entspannungsschritten eine positive Entwicklung zu wirklicher Aussöhnung sieht, denkt oberflächlich und naiv. Tatsächlich schlittern wir noch schneller in eine sehr gefährliche Lage.“
Eskalation droht
Die Ereignisse könnten nach dem Ende der Winterspiele eskalieren. Die USA stünden dann vor einer Wende, falls bis dahin Nordkorea selbst unter den von den USA angedrohten „extrem verschärften Sanktionen“nicht zu Gesprächen über seine Atomwaffenabrüstung veranlasst werden könne. Washington bliebe dann die Wahl, entweder sein Scheitern einzugestehen oder zu gewaltsameren Maßnahmen zu greifen – wie etwa militärische Seeblockaden zu erzwingen. Falls Nordkorea darauf irrational reagiert, warnt Zhang, drohe der große Konflikt.