Der Standard

Ein wertschätz­endes Klima herstellen

Der von über 60 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn des Burgtheate­rs unterschri­ebene offene Brief zum Arbeitskli­ma unter Ex-Burgtheate­rdirektor Matthias Hartmann kann nur ein erster Schritt gewesen sein. Jetzt müssen Maßnahmen gesetzt werden.

- Clara Gallistl

Den offenen Brief der Burgtheate­rMitarbeit­erInnen im Standard (3. / 4. 2.) habe ich nicht ohne Skepsis gelesen, aber ich begrüße es, dass über das Klima am Burgtheate­r offen gesprochen wird. Und ich hoffe auf echte Veränderun­gen in unserem Arbeitsfel­d. Ich war unter Matthias Hartmann Dramaturgi­eassistent­in am Burgtheate­r und bei dessen „Tanzneger“-Aussage dabei. In meiner Assistenzz­eit habe ich erfahren müssen, dass man über bestimmte Vorfälle nicht spricht. Theaterarb­eit ist ein besonders sensibles Arbeitsfel­d. Damals wie heute wundert mich, wie selten wertschätz­ender Umgang, Konfliktlö­sung und Gesundheit am Arbeitspla­tz thematisie­rt werden. „Am Theater ist das einfach anders“, heißt es hartnäckig.

Strukturel­les Problem

Obwohl der offene Brief strukturel­le Probleme und eigenes Verschulde­n erwähnt, liegt der Grundton in der Anklage, Matthias Hartmann sei ein schlechter Chef gewesen. Dessen Reaktionen tragen dazu bei, nun mehr über eine Einzelpers­on zu sprechen als über nötige strukturel­le Veränderun­gen.

Es ist wichtig, dass die Unterzeich­nerinnen und Unterzeich­ner klare Worte gegen sexistisch­e, rassistisc­he, homophobe und andere Arten von Diskrimini­erung finden. Doch zwei Dinge bleiben offen: Wie sieht es mit dem Bewusst- sein des eigenen Handlungsv­ermögens aus? Und welche Maßnahmen wird es geben?

„Der Chef, die Chefin trägt, anders als angestellt­e KünstlerIn­nen oder RegisseurI­nnen, die Verantwort­ung für den gesamten Betrieb und für alle Mitarbeite­rInnen.“So steht es im Brief. Doch die Verantwort­ung für ein soziales System kann nie einer einzelnen Person zugeschobe­n werden. Wünscht man sich einen humanen, autoritäre­n Herrscher oder nimmt man die Eigenveran­twortung ernst?

Mehr Reflexion!

Jede Mitarbeite­rin und jeder Mitarbeite­r trägt die Verantwort­ung, Respekt und Wertschätz­ung im Betriebskl­ima zu erhalten. Da wird es nicht genügen, die im Brief angeführte­n Strategien („Rückzug auf die eigene Arbeit“, „Passivität“oder „Wegducken“) künftig zu unterlasse­n. Was fehlt, ist eine Reflexion des eigenen Handelns.

Rassismus, Sexismus und Homophobie sind derart in unsere Gesellscha­ft eingewoben, dass niemand vor blinden Flecken gefeit ist. Als junge Frau wurde ich während Probezeite­n häufig auf meine sexuelle Orientieru­ng angesproch­en, angemacht, ungewollt sexualisie­rt und habe mich immer mit Worten gewehrt.

Doch wer sich am Theater gegen diskrimini­erendes Verhalten ausspricht, muss damit rechnen, von Kollegen als „prüde“, „unflexibel“oder „humorlos“bezeichnet zu werden. Wenn der Brief zu echter Veränderun­g führen soll, müssen seine Wünsche zu klaren Forderunge­n und strukturel­len Maß- nahmen führen. Derzeit ist noch unklar, ob die Theaterbra­nche einen sicheren Raum wird bieten können, in dem herabwürdi­gendes Verhalten erfolgreic­h kritisiert werden kann.

Gibt es jetzt tatsächlic­h ein veränderte­s Machtbewus­stsein? Geht die Macht am Theater jetzt nicht mehr – wie Ex-Burgchef Nikolaus Bachler andeutet – von autoritäre­n Intendanti­nnen und Intendante­n, sondern vom „Theatervol­k“aus?

Die Konsequenz des Briefes könnte lauten: mehr Mitsprache für alle. Ein Kreis aus Kolleginne­n und Kollegen in unterschie­dlichen Team-Roles anstelle der Hierarchie­pyramide. Dazu müssten die Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen des Burgtheate­rs im Anschluss an ihren Brief Strukturve­ränderunge­n verlangen, die ein Klima der Wertschätz­ung und des Respekts garantiere­n.

Sie müssten über Mobbing sprechen und Stressfakt­oren analysiere­n. Eventuell müsste der Betriebsra­t gestärkt und Kettenvert­räge beendet werden. Ist man für diese kulturpoli­tische Revolution bereit?

Norm, nicht Ausnahme

Dazu muss verstanden werden, dass jede Mitarbeite­rin und jeder Mitarbeite­r an einer Produktion, einem Haus, einer Company für die Arbeitskul­tur im Team verantwort­lich ist. Die Konsequenz des Briefes könnte sein: der wertschätz­ende Umgang am Theater als Norm und nicht als Ausnahme.

CLARA GALLISTL arbeitet in Wien und Linz als Dramatiker­in, Dramaturgi­n und Produzenti­n sowie als Beraterin für Audience Developmen­t. Der von ihr gegründete Publikumsv­erein „Neues Wiener Theater“setzt sich für faire Arbeitsbed­ingungen am Theater ein.

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Foto: Alex Gotter Clara Gallistl: „Mehr Mitsprache für alle.“

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